Tilman Jens (* 5. September 1954 in Tübingen; † 29. Juli 2020 in Leipzig)[1] war ein deutscher Journalist, Buchautor und Filmemacher.
Tilman Jens war der älteste Sohn der Schriftstellerin Inge Jens und des Altphilologen und Literaturhistorikers Walter Jens. Nach dem Abitur an der Odenwaldschule Ober-Hambach studierte er in Konstanz. Mitte der 1970er Jahre arbeitete er für das Fernsehen und war für Kultursendungen wie das NDR-Bücherjournal und Titel, Thesen, Temperamente des Hessischen Rundfunks tätig.
Aufsehen erregte Tilman Jens 1984 als Redakteur des Stern mit einer Reportage über den Tod des Schriftstellers Uwe Johnson. Zur Recherche war er in das leerstehende Haus des verstorbenen Dichters im englischen Sheerness eingestiegen. Der Stern trennte sich nach Bekanntwerden der Begleitumstände der Reportage von Jens.
In einem Bericht für den WDR-Kulturweltspiegel am 29. Mai 1994 beschuldigte Jens den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, bis dahin ein enger Freund seines Vaters, während seiner Zeit als Vizekonsul in London für den polnischen Geheimdienst regimekritische Exilpolen unter falschen Vorwänden „in ihre Heimat zurückgelockt“ zu haben.[2] Einige dieser Emigranten seien daraufhin vom polnischen Regime zum Tode verurteilt worden.[3] In seinen Erwiderungen, die er in seiner Biografie (1999) abschließend ausführte, widersprach Reich-Ranicki den „völlig erlogenen“ Unterstellungen der Beihilfe zum Mord. Sein weitgehendes Schweigen über seine geheimdienstliche Tätigkeit war auf eine Schweigeverpflichtung zurückzuführen, bei deren Bruch ihm „schärfste“ Konsequenzen angedroht worden waren. Er selbst hielt seine Arbeit für den Geheimdienst für „belanglos und überflüssig“.[3] Der Historiker Andrzej Paczkowski widersprach Jens; es gebe keine Belege dafür, „dass Reich während seiner Londoner Zeit daran mitgewirkt hat, Exilpolen in eine Falle zu locken“.[2]
Ab Mitte der 1990er Jahre war Jens Autor von Fernsehdokumentationen für die ARD. Neben Porträts von Prominenten wie Kurt Masur, Oswalt Kolle, Axel Springer und Harald Juhnke erstellte er Reportagen aus Kultur, Theologie und Politik. Darunter waren Reportagen über Schönheitschirurgie, den christlichen Fundamentalismus in Deutschland, die Arbeitsweise von Scientology, den Alltag der Sterbehilfe, die Bespitzelung des Springer-Konzerns durch die Stasi und die Hinrichtung von Tookie Williams.
In 2007 produzierte Jens eine Reportage zum Thema Kryonik. Die Deutsche Gesellschaft für angewandte Biostase, die sich für Kryonik einsetzt, nannte die Reportage „unreflektiert“. Der Journalist habe Experimente falsch dargestellt und unsachgemäße Vergleiche gezogen. Ein von Jens angebotenes Interview hatte sie jedoch verweigert.[4]
Am 4. März 2008 machte Tilman Jens die Demenz-Erkrankung seines Vaters im Feuilleton der FAZ publik[5] und löste damit eine Debatte in den deutschsprachigen Medien aus.[6][7][8] Im Juni 2009 erschien sein Buch Demenz. Abschied von meinem Vater, ein Jahr später antwortete er auf die Medienresonanz mit Vatermord. Wider einen Generalverdacht.[9] Vielen Rezensenten gilt das erste Buch über die Demenz seines Vaters als bedeutendes Werk, das mit journalistischer Präzision den körperlichen und intellektuellen Verfall erfasse; aber auch Kritik wurde geäußert zu seiner These, dass sein Vater mit der Krankheit seine frühere NSDAP-Mitgliedschaft vergessen und verschweigen wolle.[10]
Infolge der Berichterstattung über Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule veröffentlichte Tilman Jens, Ex-Schüler und Mitglied des Trägervereins der Odenwaldschule, im Mai 2011 das Buch Freiwild. Ein Lehrstück von Tätern und Opfern. Bei einer Buchpräsentation 2011 in Darmstadt mit anschließender Podiumsdiskussion mit Meinhard Schmidt-Degenhard und Bernhard Bueb – selbst ehemaliger Lehrer der Schule – sprach Jens von einer schiefgelaufenen bzw. gescheiterten Aufklärung der Missbrauchsfälle.[11] Zwei Tage zuvor hatte er bereits in einem Interview im Deutschlandradio die „Hatz“ auf nachweislich unschuldige Lehrer beklagt.[12] Jan Küveler kritisierte in seiner Buchrezension in der Welt, dass sich Jens in der „Verteidigung einzelner womöglich Unschuldiger“ zu Verallgemeinerungen hinreißen lasse, „die von Verharmlosungen kaum zu unterscheiden sind“.[13] Alan Posener nannte Jens’ Buch in der Welt am Sonntag ein „wichtiges Buch […], das hoffentlich den Beginn einer ernsthaften Diskussion um das Tabu des pädagogischen Eros markiert.“[14]
Dem 2013 erschienenen Band Der Sündenfall des Rechtsstaats. Eine Streitschrift zum neuen Religionskampf. Aus gegebenem Anlass. attestierte Matthias Dohmen wenig Ähnlichkeit mit den Streitschriften von Ludwig Börne, Heinrich Heine oder Friedrich Engels, vielmehr benutze Jens teilweise fragwürdige Argumente. So werde der Fall einer vergewaltigten Frau aus Köln schief wiedergegeben, der in einem kirchlichen Krankenhaus eben nicht wie von Jens behauptet, „eine gynäkologische Untersuchung verweigert“, sondern die „Pille danach“ vorenthalten wurde, was immer noch schlimm genug sei. Auch die von Jens behauptete angebliche Willfährigkeit der Politik gegenüber dem Zentralrat der Juden sei eine Unterstellung. Die These, eine „Koalition der Frommen“ ziehe in einen „Krieg gegen den Rechtsstaat“, müsse schon materialreicher unterfüttert werden, als Jens es tue. Dem Verlag wurde die Beschäftigung eines Lektors angeraten, da Jens den Juristen (und ehemaligen Baufacharbeiter) Rolf Schwanitz als „Bauchfacharbeiter“ bezeichnet hatte.[15] Tanjev Schultz bescheinigte dem Buch in der Süddeutschen Zeitung zwar Kurzweiligkeit, warf ihm jedoch Übertreibung vor, wenn es von einer „Koalition der Frommen“ spreche, die in einen Krieg gegen den Rechtsstaat ziehe. Mit solchen Reden schieße Jens „über das Ziel der gewünschten Debatte hinaus, weil er damit Vertreter des Glaubens in die Ecke eines Feindes rückt, gegen den Worte eigentlich kaum noch etwas ausrichten können“.[16]
Jens war zweimal verheiratet, arbeitete als freier Journalist für das Fernsehen und lebte in Frankfurt am Main[17] und zuletzt in Leipzig. Dort starb er im Alter von 65 Jahren nach langjähriger Diabetes-Erkrankung durch Suizid.[18]
Der Spiegel schrieb im Nachruf: „Jens beschäftigte sich in seinem Werk auch mit dem Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule, mit der Stasi, Scientology und Stephen Bannon, er ging keinem Ärger aus dem Weg. Dabei lag er nicht immer richtig, aber wer tut das schon? Jens war ein fleißiger, dabei brillanter Aufklärer, der vor Streit nicht zurückschreckte, die Republik wurde durch ihn wacher und klüger.“[19]
Personendaten | |
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NAME | Jens, Tilman |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Journalist und Buchautor |
GEBURTSDATUM | 5. September 1954 |
GEBURTSORT | Tübingen |
STERBEDATUM | 29. Juli 2020 |
STERBEORT | Leipzig |
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