Teigtascherlskandal (auch: Dim-Sum-Krise,[1] Teigtascherlmafia,[2] Teigtascherlnetzwerk[3] und ähnliche Bezeichnungen) ist der in den Medien verwendete Begriff für einen 2019 publik gewordenen Lebensmittelskandal in Österreich. In Wiener und Ebergassinger Privatwohnungen stieß die Polizei auf ein Netz illegaler Produktionsstätten chinesischer Lebensmittel. Die Arbeiter stellten dort in Handarbeit große Mengen Dim Sum her, darunter die namensgebenden Teigtaschen (Jiǎozi). Wörtlich übersetzt heißt „Dim Sum“ etwa „das Herz berühren“ – im Sinne von „Kleine Leckerbissen, die das Herz berühren“.[4] Da die Betriebe nicht angemeldet waren, folglich keine Steuern zahlten, die Angestellten illegal beschäftigt waren und die Umstände der Produktion gegen Grundsätze der Lebensmittelsicherheit verstießen, kam es zu umfangreichen Ermittlungen der Polizei und des Wiener Marktamtes, im Zuge derer 15 illegale Produktionsstätten und zwei Vertriebsstätten entdeckt wurden.[5][6]
Bereits 2014 war die Finanzpolizei auf eine illegale Produktionsstätte für chinesische Lebensmittel gestoßen,[7] folgenreich war jedoch erst ein Fund Ende Juli 2019. Nach einer anonymen Anzeige stießen die Ermittler in einer Privatwohnung im Bezirk Favoriten auf eine Vielzahl an Kühl- und Gefrierschränken, die randvoll mit Teigtaschen und Rohzutaten waren. Die sechs dort angetroffenen chinesischen Staatsbürger gaben an, für den familiären Eigenbedarf produziert zu haben, was die Ermittler aufgrund der Menge als nicht glaubhaft betrachteten.[8] Stattdessen wurde angenommen, dass Restaurants und Asiasupermärkte auf diese Art in großem Stil mit den maschinell kaum herstellbaren Produkten beliefert wurden. In den folgenden zwei Wochen wurden zwei weitere derartige Produktionsstätten entdeckt, sodass sich der Verdacht erhärtete, es handle sich um eine gängige Praxis.[3] Das zuständige Wiener Marktamt stellte 45 Inspektoren bereit, um alle 535 asiatischen Lokale bzw. Asiasupermärkte der Stadt zu kontrollieren.[9] Bis Ende Oktober 2019 waren insgesamt fünf Produktionsstätten für verschiedene Arten von Dim Sum bekannt geworden. Im März 2020 verlautbarte die Finanzpolizei, dass im vorhergehenden Jahr 11 „Teigtascherlfabriken“ gefunden worden waren.[10] Im Zuge der weiterhin laufenden Ermittlungen wuchs diese Zahl bis September 2020 auf 15 an.[5][6]
Nach Auskunft des Wiener Marktamtes ist die Produktion von Lebensmitteln für den privaten Verzehr erlaubt. Illegal ist jedoch die regelmäßige Produktion ohne Gewerbeberechtigung, aber mit Gewinnabsicht. Der Grund dafür, dass Restaurants oder Imbissbuden wissentlich auf solcherart produzierte Waren zurückgriffen, anstatt sie selbst zu produzieren, sei deren günstigerer Preis.[11] Anders als manchmal in den Medien formuliert, sind die einzelnen Produktionsstätten nicht Teil eines zentral organisierten, „mafiösen“ Netzes. Nach Einschätzung eines leitenden Beamten am Bundeskriminalamt sei es „einfach die chinesische Art, Geschäfte zu machen. Sie kennen das nicht so mit Genehmigungen“. Folglich sei auch das Unrechtsbewusstsein eher gering ausgeprägt.[12]
In den Medien wurde mitunter eine restriktive Einwanderungspolitik als Mitgrund für das Entstehen der heimlichen Teigtascherlfabriken benannt. Es gebe in Österreich schlicht nicht genug ausgebildete Köche, die die Nachfrage bedienen könnten.[1] Ein diesbezüglich 2018 unterzeichnetes Abkommen zwischen Österreich und China war erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 in Kraft getreten, hatte also nicht schnell genug Abhilfe schaffen können.[13][14]
Die Ermittlungen zogen zahlreiche Anzeigen wegen Verstößen gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz, wegen Lohn- und Sozialdumpings bzw. wegen nicht korrekt zur Sozialversicherung angemeldeter Personen nach sich. Bei involvierten Betrieben wurden Steuerprüfungen eingeleitet. Weitere Verstöße betrafen die Hygiene an den Produktionsstätten. Wenngleich betont wurde, dass die Produkte grundsätzlich genießbar seien, entsprachen die Umstände ihrer Herstellung nicht den gesetzlichen Standards. Im Zuge der Razzien 2019 waren 3,95 Tonnen an Zutaten und fertigen Produkten beschlagnahmt worden. Die beschlagnahmte Ware wurde in der städtischen Tierkörperverwertung kremiert.[15]
Zu Beginn der Ermittlungen bestand auch der Verdacht auf einen Zusammenhang mit Menschenhandel bzw. Schleusungskriminalität.[16] Dies bestätigte sich jedoch nicht.[15][12] Die kontrollierten Restaurantbetreiber fühlten sich durch den Generalverdacht, dem sie durch das Marktamt ausgesetzt waren, ungerecht behandelt. Sie äußerten die Vermutung, die Waren wären eher für Privathaushalte denn für die Gastronomie produziert worden.[17] Laut Wiener Marktamt konnte der Verkauf der illegal produzierten Lebensmittel „in 10 bis 15 Restaurants“ konkret nachgewiesen werden. Die resultierenden Verwaltungsstrafen hätten die Restaurants mehrere tausend Euro gekostet. Zu Gerichtsverfahren kam es bislang nicht, da die Ware nicht gesundheitsschädlich sei.[11] Auch wurde seitens der Polizei betont, dass Schwarzarbeit und unhygienische Zustände nicht die Regel in Chinarestaurants seien. Diese würden sauberer arbeiten als allgemein oft vermutet.[12]
Der Teigtascherlskandal hatte inmitten des medialen Sommerlochs begonnen und durch die beständig steigende Zahl gefundener Produktionsstätten und folglich neuer Pressemeldungen bald große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der bürokratische Ernst, mit dem gegen die oft als harmlos empfundenen Produzenten vorgegangen wurde, erzeugte in Österreich und dem angrenzenden Ausland einigen Spott.[18][19][20][21] Verstärkt wurde dies dadurch, dass die Republik währenddessen aufgrund der Ibiza-Affäre und deren Konsequenzen mit Skandalen weit größerer Tragweite konfrontiert war.[22]
Außerdem kam die Frage auf, ob derartige Netze nur in Wien existierten oder so ähnlich in jeder großen Stadt vorkämen.[23] Gleichzeitig lenkte der Umfang des gefundenen Netzes den Blick auf die Problematik illegaler Beschäftigung von Migranten unter unwürdigen Bedingungen.[16] Die sonst eher im Verborgenen bleibende chinesische Gesellschaft Wiens wurde viel stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert, als das bis dahin der Fall gewesen war.[4][2][24]
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