Sucharit Bhakdi (thailändisch สุจริต ภักดี [sut̚˨˩.t͡ɕa˨˩.rit̚˨˩ pʰak̚˦˥.diː˧]; * 1. November 1946 in Washington, D.C.) ist ein deutscher Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie.[1] Er war bis zu seinem Ruhestand[2] Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und von 1991 bis 2012 Leiter des dortigen Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene.[3]
Für seine vorwiegend in Videos und Interviews geäußerten Thesen zur COVID-19-Pandemie wurde er mehrfach kritisiert. Seine Positionen wurden von Experten und Institutionen, darunter Vertreter der Universitäten Mainz und Kiel, scharf zurückgewiesen und als irreführend bis falsch beschrieben. Er ist Mitautor des Buchs Corona Fehlalarm?.
Bhakdi ist Sohn thailändischer Eltern im diplomatischen Dienst.[4] Seine Mutter studierte an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore.[5]
Er studierte von 1963 bis 1970 Humanmedizin an der Universität Bonn, davon 1966 bis 1970 als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Eine Zeitlang arbeitete Bhakdi als Privatassistent des Internisten Walter Siegenthaler.[5] Im Februar 1971 wurde er zum Dr. med. promoviert. Von 1972 bis 1974 verfügte er am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg über ein Stipendium der Max-Planck-Gesellschaft. Anschließend erhielt er von 1974 bis 1976 ebenfalls am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie ein Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung.
Nach einem einjährigen Aufenthalt an der Universität Kopenhagen arbeitete er von 1977 bis 1990 am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Im Juli 1979 habilitierte er sich. Er wurde 1982 zum C2-Professor und 1987 zum C3-Professor für Medizinische Mikrobiologie ernannt, bevor er 1990 an die Universität Mainz berufen wurde. Ab 1991 leitete er dort als C4-Professor das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene. Zum 1. April 2012 ging Bhakdi in den Ruhestand.[6] Bhakdi hat sich im Rahmen eines Gestattungsvertrages als Gastwissenschaftler an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel von 2016 bis 2020 an Forschungsprojekten beteiligt. Dieser Vertrag wurde zum 31. Dezember 2020 beendet.[7][8][9][10]
Im Herbst 2020 gehörte er zu den Erstunterzeichnern des Appells für freie Debattenräume.[11]
Bhakdi ist mit Karina Reiß verheiratet. Die beiden haben einen gemeinsamen Sohn.[12]
1978 entdeckte Bhakdi ein Protein, das Zellen durch Einsenkung in die Zellmembran mit daraus resultierender Bildung einer Pore angreift und schädigt (vgl. Membranangriffskomplex).[17] Es handelte sich um das Vollstreckermolekül des Komplementsystems, das als Ergebnis einer Kettenreaktion des Immunsystems auf der Oberfläche von fremden Zellen gebildet wird. Daraufhin folgte die Entdeckung, dass Bakterien ihrerseits auch porenbildende Proteine produzieren können.[18] Heute ist bekannt, dass die große Mehrzahl von krank machenden Bakterien Porenbildner produzieren, die zur Schädigung von Zellen des Wirts führen. Bhakdi erhielt 1984 die Einladung, das Konzept der Membranschädigung von Zellen durch Porenbildner vor der Royal Society in London vorzustellen.[19] Die Beschäftigung mit diesem Thema blieb fortan ein Schwerpunkt seiner Forschungsaktivitäten.[20]
Die Untersuchungen über das Komplementsystem führten Bhakdi auf das Gebiet der Atherosklerose. 1989 entdeckte er tierexperimentell, dass ein Bestandteil dieses Systems (Komplementkomponente C5) in Gefäßwänden dort aktiviert wird, wo das Low Density Lipoprotein (LDL) zur Ablagerung kommt.[21] Gemäß der aktuellen Lehrmeinung ist Atherosklerose eine polyfaktorielle, polygene Krankheit. Hierbei wird diese durch ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Umwelt- und genetischer Faktoren, insbesondere auch Cholesterin, verursacht.[22] Cholesterin wird via LDL im Blut transportiert und von den Zellen, die Cholesterin benötigen, über zellständige Rezeptoren aufgenommen.[23][22] Es kann sich aber während des Transportes in den Blutgefäßwänden ansammeln. Dieses wird dort bzw. bereits vorher oxidiert, wodurch Monozyten angelockt werden; diese nehmen das oxidierte LDL auf und verwandeln sich in sog. „Schaumzellen“. Diese stoßen dann chronische, gefäßwandschädigende Entzündungsreaktionen („Oxidationshypothese“) an.[22]
Bhakdi und seine Kollegen stellten 1998 dagegen eine Hypothese auf, nach der Atherosklerose rein monokausal durch den fehlenden Abtransport von LDL verursacht werde („Mainzer Hypothese“).[22] Demnach werde LDL grundsätzlich nicht oxidiert, und wie in der Oxidationshypothese wird auch Cholesterin von Monozyten aufgenommen und es bilden sich Schaumzellen. Jedoch besteht die Möglichkeit, dass das High Density Lipoprotein (HDL) Cholesterin wieder abtransportiert.[23] Falls sich aber ein gewisses Maß an LDL lokal an der Gefäßwand anhäuft und der Abtransport nicht hinterherkommt, werden über einen Teil des Immunsystems entzündliche Reaktionen verursacht, die zur Atherosklerose führen. Damit könnte bei einer Senkung des LDL-Blutspiegels (und Blutdrucks) und einer Erhöhung des HDL-Spiegels eine Atherosklerose im Frühstadium rückgängig gemacht werden.[22][23] Bhakdis Hypothese fand keinen Niederschlag in der gängigen Lehrmeinung.[22]
Bhakdi wurde 2009 für seine besonderen Verdienste in der Atheroskleroseforschung mit der Rudolf Schönheimer Medaille der Deutschen Gesellschaft für Arterioskleroseforschung ausgezeichnet.[24]
Als vielzitierter Wissenschaftler hat Bhakdi 2021 laut Scopus einen h-Index von 69.[25]
Am 18. März 2020 richtete Bhakdi einen eigenen YouTube-Kanal ein[26] und äußerte sich in drei kurz hintereinander veröffentlichten Videos kritisch zur Datengrundlage, die das Fundament für die verordneten Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie in Deutschland bildete. Er kritisierte, dass in den Massenmedien oft mit Infiziertenzahlen argumentiert werde, ohne nach der Schwere der Symptome zu differenzieren, und dass man Menschen als „Coronatote“ klassifiziere, wenn ein positives Testergebnis vorliege, ohne die Todesursache zu ermitteln, selbst dann nicht, wenn multiple Vorerkrankungen andere Ursachen nahelegten. Es sei auch methodisch falsch, das Verhältnis von Toten zu Infizierten aus der Anfangszeit der Epidemie zu verwenden, um neuere Infiziertenzahlen auf zu erwartende Tote hochzurechnen.[27]
Als einen Grund für die relativ hohen Todesraten in den städtischen Ballungsgebieten Nord-Italiens und Chinas nannte er, dass die starke Luftverschmutzung dort und die damit einhergehenden Vorschädigungen der Lunge die Auswirkungen von SARS-CoV-2 verstärke.[28] Am 26. März 2020 verfasste Bhakdi zu seiner Argumentation einen fünf Fragen aufwerfenden offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel[29] und verbreitete ihn am 29. März öffentlich, in dem er als viertes Video ähnlich der Kanzlerin eine Ansprache an seine „Mitbürger“ richtete. Sein Resümee war, dass er die verordneten Maßnahmen des Lock-down als Verletzung der Grundrechte klassifizierte.[27]
Bhakdi erreichte mit fünf Videos auf YouTube in sechs Wochen knapp 50.000 Abonnenten und über 4 Millionen Aufrufe, davon mehr als die Hälfte durch den Vortrag des offenen Briefes an Kanzlerin Merkel.[26][27] Im April 2020 gab Bhakdi Ken Jebsen im YouTube-Kanal KenFM ein Interview. Wie auch in anderen YouTube-Videos stellte er Behauptungen auf, die dem allgemeinen wissenschaftlichen Konsens zur Pandemie widersprachen.[30][31] Laut der Sozialpsychologin Pia Lamberty sind Personen wie Bhakdi zwar nicht „per se als Verschwörungstheoretiker“ einzustufen. Indem sie sich aber mit diesen gemein machten, etwa indem Bhakdi sich von Jebsen interviewen lasse, verliehen sie ihnen die Legitimation der Wissenschaft.[32]
Im November 2020 löschte Youtube Bhakdis Kanal aufgrund von Verstößen gegen die YouTube-Community-Richtlinien zu medizinischen Fehlinformationen über COVID-19.[33][34]
Im April/Mai 2020 war Bhakdi an der Erarbeitung eines Positionspapiers eines Mitarbeiters des Krisenmanagements der Abteilung KM4 (Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz – Schutz kritischer Infrastrukturen) des deutschen Bundesministeriums des Innern beratend beteiligt.[35][36][37] Das Bundesministerium distanzierte sich von dem Positionspapier als auf amtlichem Briefpapier zirkulierender „Privatmeinung“ und stellte den Erarbeiter Oberregierungsrat Stephan Kohn vom Dienst frei.[38]
Im Juni 2020 veröffentlichte Bhakdi das E-Book Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe. Es erschien als gedrucktes Taschenbuch am 21. Juni 2020 im Goldegg Verlag und erreichte den ersten Rang der Spiegel-Bestsellerliste in der Kategorie „Sachbuch Taschenbuch“.[39][40] Dort erschien bereits 2016 sein Buch Schreckgespenst Infektionen – Mythen, Wahn und Wirklichkeit.[41] Beide Bücher veröffentlichte er zusammen mit seiner Ehefrau Karina Reiß, Biologin und Biochemikerin am Quincke-Forschungszentrum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.[42]
Am 24. März 2020 kritisierte der Verein Mimikama unter dem Titel „Arzt verharmlost Coronavirus“ diverse Aussagen in Bhakdis erstem Video als unhaltbar. Dass nur 1 % der Infizierten erkrankten und im schlimmsten Fall 30 Personen pro Tag an COVID-19 stürben, stehe im Widerspruch zu den Angaben des RKI sowie der Situation in Italien und Spanien. Eine Zurückführung der höheren Todesraten in Wuhan und Italien auf Luftverschmutzung bzw. Umwelteinflüsse sei „nicht haltbar“. Bhakdi finde „dementsprechend […] auch in den meisten Medien und staatlichen Stellen wenig Widerhall“ und beschränke sich auf Youtube.[43] Ein statistischer Zusammenhang zwischen Luftqualität (Feinstaubbelastung) und COVID-19-Todesraten in den USA wurde indes Anfang April in einer Studie der Harvard University nachgewiesen,[44] wie das ZDF als Nachtrag zu seinem „Faktencheck“ vom 23. März 2020 später schrieb.[45]
Der MDR machte Bhakdis Ausführungen zum Thema der Folge 15 Der statistische Geburtsfehler der Covid-19-Fallzahlen seines Podcasts Kekulés Corona-Kompass mit dem Mediziner und Biochemiker Alexander S. Kekulé.[46]
BR24 kam in einem Beitrag der Reihe Faktenfuchs vom 1. April 2020, aktualisiert am 3. April, zum Fazit: „Bhakdi stellt (…) Fragen, die zum Teil auch unter Forschern diskutiert werden. Die Abschätzung der sogenannten Dunkelziffer (…) zum Beispiel oder die Frage (der) Tödlichkeit (…), wenn man nicht zwischen ‚an‘ und ‚mit‘ COVID-19 unterscheidet. Die Annahmen (…) suggerieren, dass die Gefährlichkeit (…) überschätzt werde, und verweisen vor allem auf Datenlücken. Forscher betonen: Die Lückenhaftigkeit der Datenlage sei kein Grund, Entwarnung zu geben.“[47]
Auf der deutschsprachigen Website der Medical Tribune wird festgestellt, dass von der „übergroßen Mehrheit der Experten“ die Thesen Bhakdis zu COVID-19 unwissenschaftlich genannt werden.[48]
Daneben befassten sich weitere Faktenchecks kritisch mit Bhakdis Aussagen, etwa bei dpa,[49] SWR3[50] oder correctiv.org.[51] Auf Grundlage der Faktenprüfungen von Correctiv, ZDF, die Welt, der Spiegel und des Bayerischen Rundfunks resümierte die Süddeutsche Zeitung: „Was Wodarg und Bhakdi sagen, ist nicht völlig falsch, jedoch vermischen sie Fakten mit Spekulation und Desinformation.“[52]
Auch die Publikation Corona Fehlalarm? wurde von Medien und in der Fachwissenschaft[53] überwiegend kritisch rezipiert.
Bhakdis ehemaliger Arbeitgeber, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz, distanzierte sich im Namen der Universitätsmedizin und des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene von den von Bhakdi vertretenen Positionen zu COVID-19, die diese als „irreführend bis falsch“ betrachteten. Die Universität betonte, er sei nicht „Emeritus“ der Universität, sondern „Professor im Ruhestand“.[54][55][56]
Am 15. Dezember 2020 verlieh die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) den Negativpreis Goldenes Brett vorm Kopf „für den größten unwissenschaftlichen Unsinn des Jahres“ 2020 an Bhakdi.[57]
Mehr als 300 Publikationen Bhakdis als Hauptautor und Mitautor sind bei Pubmed gelistet.[58]
Personendaten | |
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NAME | Bhakdi, Sucharit |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Mediziner und Autor |
GEBURTSDATUM | 1. November 1946 |
GEBURTSORT | Washington, D.C. |
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Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2021-06-12 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=4533796