Die Starfighter-Affäre (siehe auch Lockheed-Skandal) war eine politische Affäre in der Bundesrepublik Deutschland, die sich aufgrund der Umstände der Beschaffung des Kampfflugzeugs Lockheed F-104 „Starfighter“ für die Bundeswehr entwickelte. Im Kern betraf die Affäre zwei miteinander verbundene Aspekte. Einerseits wurde hinterfragt, warum die Bundeswehr unter Verteidigungsminister Franz Josef Strauß entgegen dem Rat einiger Experten ein offensichtlich unausgereiftes Flugzeug in großen Stückzahlen bestellt hatte, und zum anderen stellte sich folgerichtig die Frage, ob bei der Beschaffung – wie in anderen Ländern auch – Korruption im Spiel war. Strauß konnte keine Vorteilsannahme im Zusammenhang mit der Beschaffung des „Starfighters“ nachgewiesen werden.
Die Luftwaffe der Bundeswehr hatte 1957 bei der Suche nach einem modernen überschallschnellen Abfangjäger die Wahl zwischen den US-amerikanischen Maschinen Lockheed F-104 „Starfighter“ (Höchstgeschwindigkeit der Rekordversion etwa 2260 km/h), der Grumman F11F „Tiger“ (Höchstgeschwindigkeit etwa 1170 km/h), der französischen „Mirage III“ (Höchstgeschwindigkeit etwa 2150 km/h) und der noch in der Planungsphase befindlichen britischen Saunders-Roe SR.177 (P177) (Höchstgeschwindigkeit etwa 2400 km/h). Laut Generalleutnant Josef Kammhuber, dem Inspekteur der Luftwaffe, wurde ein Allwetter-Jäger benötigt, der idealerweise mit einer sehr kurzen Startbahn auskommen und eine Mach-Zahl von über 2 erreichen sollte, um überschallfähige sowjetische Bomber wie die Mjassischtschew M-50 wirksam bekämpfen zu können. Ein derartiges Flugzeug existierte Ende der 1950er-Jahre nicht.[1] Im Auftrage Kammhubers führte Walter Krupinski im Dezember 1957 Vergleichsflüge der beiden amerikanischen Muster in den USA und im Mai 1958 in Villaroche mit der Mirage durch.[2] Krupinski empfahl aufgrund dieser Tests die Beschaffung der F-104. Auch Kammhuber favorisierte den „Starfighter“.[3]
Auf diese Empfehlung hin wurde gegen den Rat einiger Experten von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß der „Starfighter“ als zukünftiger Abfangjäger vorgeschlagen. Strauß zielte mit seiner raschen Entscheidung auch auf eine Förderung der Luftfahrtindustrie im Süden Deutschlands ab, die den Großteil der Kampfflugzeuge in Lizenz bauen sollte. Weiterhin wollte er über die im NATO-Auftrag geplante Bewaffnung der Flugzeuge mit US-Atombomben die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik sicherstellen. Im Oktober 1958 informierte Strauß Lockheed, dass er sich für den „Starfighter“ entschieden habe.[4] Nach zweitägigen Beratungen stimmte der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages am 6. November 1958 einstimmig der „[…] Beschaffung des Flugzeugtyps F 104 (Lockheed ‚Starfighter‘) vorbehaltlich einer befriedigenden Lösung der preislichen und lizenzrechtlichen Fragen“ zu.[5]
Bereits vor Indienststellung versuchte man, bei den Prototypen aufgetretene gravierende Mängel zu beheben. Dazu bekamen die Prototypen der deutschen Version einen verstärkten Rumpf, ein anderes Triebwerk und eine komplett überarbeitete Navigationsausrüstung, was die Maschine schwerer und komplizierter machte. Obwohl von vornherein klar sein musste, dass man hier viel Geld für ein eigentlich nicht ausgereiftes Flugzeug ausgab, kam es schließlich zur Bestellung der F-104G (G für „Germany“).
Bei der Indienststellung der ersten F-104G im Februar 1960 zeigten sich eklatante Mängel hinsichtlich Fertigungsqualität und elementarer Funktionen. Die Mängel waren zum Teil durch Konstruktionsfehler bedingt, einige konnten nie behoben werden und zogen sich durch die gesamte Betriebsdauer des Starfighters.
Als erstes stellte man fest, dass einige Instrumente im Cockpit nicht funktionsfähig waren. Dies wurde reklamiert und später auch behoben. Am 21. Februar 1962 überführte Oberleutnant Schultz die erste F-104F zum Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“ auf den Fliegerhorst Nörvenich. Am 22. Mai kam es durch den Ausfall des Nachbrenners zum ersten tödlichen Unfall in Deutschland. Auch zuvor war es im Testbetrieb zu Triebwerksausfällen und zu einem Bruch des Bugfahrwerks gekommen, was auf einem Konstruktionsmangel beruhte.
Bis zum Juni 1962 waren genügend F-104 beschafft, um das erste Geschwader bilden zu können. Aus diesem Anlass sollten in Nörvenich am 20. Juni eine Feierstunde und ein Flugtag mit Kunstflugdarbietungen einer F-104F-Staffel mit vier Flugzeugen stattfinden. Am 19. Juni 1962, einen Tag vor der geplanten Veranstaltung, kam es aufgrund eines Pilotenfehlers zum Absturz der vier F-104, bei dem alle vier Piloten der Kunstflugstaffel ums Leben kamen.[6] Dieses war innerhalb weniger Wochen der zweite tödliche Unfall mit Starfightern in Deutschland. Die für den 20. Juni geplante Flugschau wurde abgesagt. Trotzdem erfolgte am 20. Juni die offizielle Indienststellung der F-104G beim Geschwader „Boelcke“.
Allein 1965 ereigneten sich 27 Starfighter-Unfälle mit 17 Toten. Nach weiteren, teilweise tödlichen Unfällen erhielt die gesamte F-104-Flotte der Luftwaffe im selben Jahr zweimal ein völliges Startverbot („aircraft grounding“). Doch auch verschiedene Maßnahmen hatten nicht den Erfolg, den Jet in einen dauerhaft flugsicheren Zustand zu bringen – zumindest nicht in der gelieferten Version mit amerikanischer Technik.[7][8][9]
Noch bevor weitere Unfälle geschahen, ergaben sich für den ehemaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ernsthafte Probleme aufgrund des „Starfighters“. Nach Enthüllungen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel 1966 interessierte sich die Öffentlichkeit plötzlich für die Umstände des Vertragsabschlusses mit Lockheed – vor allem wurde die Frage gestellt, warum nicht die technisch eindeutig bessere „Mirage“ gekauft worden war.[10]
Es wurde bekannt, dass Strauß als Verfechter der atomaren Aufrüstung Deutschlands ein Flugzeug haben wollte, das Atomwaffen „bis zum Ural“ tragen konnte. Jedoch war Paris nicht zu einem deutsch-französischen atomaren Bündnis bereit. Die Amerikaner dagegen versprachen Strauß, im Ernstfall auch nukleare Sprengköpfe zur Verfügung zu stellen. Es war außerdem bekannt, dass Lockheed beim Export des „Starfighter“ in andere Länder Schmiergeld an höchste Regierungsvertreter gezahlt hatte. Da auch Strauß vor seinem Besuch bei Lockheed noch die Mirage favorisierte und sich nach seiner Rückkehr für die F-104 aussprach, kam schnell der Verdacht auf, dass der deutsche Minister bestochen worden sei (siehe Lockheed-Skandal).[11][12] Ein entsprechender Untersuchungsausschuss des Bundestags kam aber zu dem Schluss, dass sich eine Bestechung nicht nachweisen ließ. Der Vorwurf wurde daher fallengelassen.
Am 25. August 1966 entließ Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel den Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Werner Panitzki, auf dessen Wunsch, da dieser in einem Interview die Beschaffung des Kampfflugzeugs als eine „rein politische Entscheidung“ kritisiert hatte. Ebenso schied der Kommodore des Jagdgeschwaders 71 „Richthofen“, Erich Hartmann, aus.
Grund für die häufigen Abstürze und den Tod zahlreicher Piloten blieben weiterhin Ausfälle und Defekte in allen Bereichen des Flugzeuges. Vor allem Elektronik, Triebwerk und damit verbunden die Hydraulik sorgten für Probleme, Mängel an der Rettungsausrüstung wurden nicht umgehend beseitigt. Als Ursachen hierfür sind mehrere Faktoren zu nennen:
Anfang 1966 hatte der Luftwaffeninspekteur Panitzki zusammen mit dem Sonderbeauftragten für das Waffensystem F-104 Generalmajor Dietrich Hrabak zahlreiche Einzelmaßnahmen zur Verbesserung definiert. Der Umsetzung stand jedoch die Bürokratie im Wege. Der Nachfolger als Luftwaffeninspekteur General Johannes Steinhoff erhielt im Herbst 1966 die erforderlichen Vollmachten für einen Umbau der Luftwaffe. Der umfasste unter anderem die Einführung eines technischen Gefechtsstandes in den Geschwadern, die Zentralisierung der Logistik auf Verbandsebene und die Verbesserung der Techniker-Ausbildung.[14]
Bei manchen Piloten war das Flugzeug trotz der vielen Abstürze aufgrund seiner Steig- und allgemeinen Flugleistungen beliebt. In der Öffentlichkeit hingegen behielt die Maschine bis zur endgültigen Ausmusterung ihren schlechten Ruf und wurde u. a. als Witwenmacher bezeichnet. Bis 1991 waren 916 Starfighter bei der Bundeswehr im Einsatz, 300 gingen durch Unfälle verloren, davon 269 durch Abstürze.[15] Einschließlich des letzten Unfalls im Jahr 1984 verunglückten 116 Piloten tödlich (108 Deutsche und acht US-Amerikaner).
Hauptmann Heltzels Notlandung in Nörvenich von 1965 fand nachträglich 1988 Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde, da die Landegeschwindigkeit mit 435 km/h die höchste Geschwindigkeit war, mit der je ein Flugzeug erfolgreich aufgesetzt wurde.
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