Klassifikation nach ICD-10 | |
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I67.6 | Nichteitrige Thrombose des intrakraniellen Venensystems |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Als Sinusthrombose (englisch sinus thrombosis[1]) wird eine in den Sinus durae matris – den großen, venöses Blut führenden Blutleitern der harten Hirnhaut im Schädel – auftretende Thrombose bezeichnet.
Sinusthrombosen behindern den Blutabfluss über die Hirnvenen aus dem Gehirn und sind eine seltene, aber gefürchtete Ursache von Infarzierungen des Hirngewebes, die sich als Schlaganfall zeigen können.
Thrombosen dieser venösen Sinus bleiben meistenfalls nicht isoliert, wenn sie länger bestehen. Da eine durch Strömungsverminderung und Stau hervorgerufene Hämostase die Blutgerinnung steigert, dehnt sich die Thrombose auf einmündende Venen aus. Entwickelt sich neben der Sinusthrombose auch eine Hirnvenenthrombose, so wird dies als zerebrale Sinus-/Venenthrombose[2] (SVT)[3] oder zerebrale Venen- und Sinusthrombose (CVST)[2] (englisch cerebral venous and sinus thrombosis[4] oder cerebral venous sinus thrombosis[5][6] oder thrombosis of the cerebral veins and sinuses[7]) bezeichnet. Der in diesem Zusammenhang oft synonym verwendete Ausdruck Sinusvenenthrombose ist ungenau, denn die duralen Sinus führen zwar venöses Blut, sind aber starrwandig, haben keine Gefäßwand und zählen somit anatomisch nicht zu den Venen.[8]
Die Häufigkeit von Sinusthrombosen ist nicht genau bekannt. Frühere Schätzungen, die bei jährlich etwa 0,2–0,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner lagen, werden nach Einführung verbesserter Diagnoseverfahren als zu niedrig angenommen und die jährliche Inzidenz auf rund 1–1,5 Fälle pro 100.000 Einwohner geschätzt.[9] Frauen sind möglicherweise häufiger als Männer betroffen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 30–40 Jahren.[10]
Eine 2012 veröffentlichte retrospektive Studie mit 94 Fällen in den Jahren 2008 bis 2011 in den Niederlanden schätzte die Inzidenz bei Erwachsenen insgesamt auf etwa 1,3 Fälle pro 100.000 Personenjahre (95 %-KI: 1,06–1,61), wobei in über zwei Drittel der Fälle Frauen betroffen waren, häufiger im 4. und 5. Lebensjahrzehnt (etwa 2,8 Fälle pro 100.000 Personenjahre; 95 %-KI: 1,98–3,82).[11] Eine retrospektive Studie von 2016 mit 105 Fällen in den Jahren 2005 bis 2011 in der südaustralischen Metropolregion Adelaide, 55 waren Frauen, schätzte die jährliche Inzidenz bei Erwachsenen auf etwa 1,6 Fälle pro 100.000 Einwohner (95 %-KI: 1,29–1,90).[12] Beide Untersuchungen orientierten sich an ICD-Schlüsseln, fassten Sinus- und Hirnvenenthrombosen unter zerebraler Sinus-/Venenthrombose (CVST) zusammen und bestätigten die Diagnose anhand vorhandener Aufnahmen des Gehirns.
Es gibt bei den unterschiedlichen Untersuchungen einerseits Hinweise, dass Frauen bis zu dreimal häufiger betroffen sind,[11][13] aber auch andere, bei denen keine signifikanten Unterschiede beim Geschlecht erscheinen.[9] Bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, erscheint das Risiko für eine Sinusthrombose erhöht.[14] Schwangere tragen ebenfalls ein erhöhtes Risiko. Die Häufigkeit wird auf 12 Sinusthrombosen pro 100.000 Geburten geschätzt.[15] Es ist dabei wichtig, diese Daten mit Sorgfalt zu betrachten, da bei einer relativ geringen Häufigkeit der Erkrankung einzelne Fälle mehr oder weniger die Statistik stark beeinflussen.
Sinusthrombosen werden gelegentlich durch eitrige Infektionen im Gesichtsbereich, Nasennebenhöhlenvereiterung, Mastoiditis oder Meningitis verursacht. In diesem Fall spricht man von einer septischen Sinusthrombose. Erkrankungen mit gesteigerter Blutgerinnung (Polyzythämie, Antithrombinmangel und andere) können eine Rolle spielen.
Einige Medikamente wie Kontrazeptiva und Kortikoide sind ebenfalls nachteilig. So kommt ein Meta-Review zu dem Schluss, dass die Anwendung oraler hormoneller Verhütungsmittel („Pille“) das Risiko für Sinusthrombosen etwa 7-fach erhöht.[16] Eine Hormonersatztherapie erhöht das Risiko um den Faktor 2 bis 4.[17]
Nach Impfung mit dem COVID-19 Impfstoff von AstraZeneca (Vaxzevria) entwickelten einige Personen eine Sinusthrombose. Dies betrifft vor allem Frauen jüngeren Alters (< 60 Jahre).[18]
Die Auslieferung des COVID-19 Impfstoffs von Johnson&Johnson wurde am 14. April 2021 ebenfalls unterbrochen, da auch hier Berichte über eine, möglicherweise damit in Zusammenhang stehende, Sinusthrombose eingingen.[19]
Die in engen Grenzen geregelte, wenig schwankende Durchblutung des Gehirns fordert außer einem andauernden, relativ gleichmäßigen Zustrom von Blut auch einen ungestörten Blutabfluss. Das venöse Blut fließt über oberflächliche Hirnvenen und über tiefe Hirnvenen ab, zwei Systeme dünnwandiger dehnbarer Gefäße. Beide Systeme münden noch innerhalb der Schädelhöhle in die teils weiten Sinus, die zwischen den Septen harter Hirnhaut liegen. Diese venösen Blutleiter sind weder dehnbar noch kontraktil, sondern starrwandig, sodass sich ihr Lumen auch bei erhöhtem Schädelinnendruck kaum ändert. Wird das Lumen durch Bildung eines Blutgerinnsels (Thrombus) verlegt, spricht man von Thrombose.
Bei einer Sinusthrombose sind meist mehrere Sinus betroffen oder neben Sinus oft zugleich auch tiefe Hirnvenen (Hirnvenenthrombose). Anders als bei arteriellen Verschlüssen, die recht plötzlich auftreten, bilden sich venöse Thromben allmählich infolge einer Störung des physiologischen Gleichgewichts zwischen prothrombotischen und thrombolytischen Prozessen. Der blockierte Abfluss des Blutes führt zu einer Stauung mit nachfolgender Drucksteigerung und kann auch Blutungen in das Hirngewebe oder die Ventrikel nach sich ziehen. Am häufigsten von Sinusthrombosen betroffen sind der Sinus sagittalis superior längs der Hirnsichel und die seitlichen Sinus transversi.
Die Symptome einer Sinusthrombose sind mehrdeutig: Kopfschmerzen, epileptische Anfälle und Wesensveränderungen sowie in fortgeschrittenen Stadien Lähmungen, Sehstörungen und Bewusstseinseintrübung bis hin zur Bewusstlosigkeit können auch bei anderen Erkrankungen beobachtet werden. Bei einer entzündlichen Beteiligung des Sinus cavernosus (etwa bei Sinusitis, Meningitis oder zunächst banal erscheinenden Entzündungen im Augen- oder Gesichtsbereich) besteht meist zusätzlich hohes Fieber.
Die klinische Diagnose der Sinusthrombose ist schwierig, weil es keine eindeutigen beweisenden klinischen Krankheitszeichen gibt und die auftretenden Symptome auch auf andere Erkrankungen wie etwa einen Abszess, eine Encephalitis oder ein Malignom hinweisen können. Der klinische Verdacht auf eine Thrombose kann durch eine Bestimmung des D-Dimer-Spiegels im Blutserum erhärtet, jedoch nicht bewiesen werden. Bei Thrombose des Sinus transversus kann das Griesinger-Zeichen auftreten.[20]
Wegen der diagnostischen Schwierigkeiten allein anhand der Klinik wird bei entsprechendem Verdacht frühzeitig eine Schnittbilddiagnostik empfohlen. In der Computertomographie oder Kernspintomographie sind Infarktzonen und Blutungen erkennbar, die nicht den bekannten arteriellen Versorgungsgebieten entsprechen. In der nativen Computertomographie kann sich das Gerinnsel im Sinus auch ohne Kontrastmittel hell darstellen. Mit Kontrastmittel lassen sich sowohl in der Computertomographie wie auch in der Kernspintomographie die Gerinnsel direkt als Aussparung in den ansonsten kontrastierten Sinus meist gut erkennen. Sie müssen von Aussparungen in den Sinus unterschieden werden, die durch Pacchionische Granulationen gebildet werden. Auch die häufigen anatomischen Varianten z. B. mit asymmetrisch oder nur einseitig angelegtem Sinus transversus müssen berücksichtigt werden. Als weiteres diagnostisches Verfahren kommt in Ausnahmefällen die Angiographie nur noch in Betracht, wenn bei begründetem Verdacht auf eine Sinusthrombose die anderen oben genannten Methoden nicht zur Verfügung stehen.
In der Akutphase wird eine Antikoagulation mit (niedermolekularem) Heparin in therapeutisch hinreichender Dosis empfohlen, schon um ein Anwachsen des Thrombus beziehungsweise einen erneuten Verschluss zu verhindern; später können zur Sekundärprävention für mehrere Monate andere, oral anwendbare Gerinnungshemmer wie Phenprocoumon oder Warfarin gegeben werden. Des Weiteren können Beruhigungsmittel (Sedativa) und Antikonvulsiva bei Krampfanfällen sowie Hirndruckvorbeugung oder spezifische hirndrucksenkende Maßnahmen erforderlich sein.
Die initiale Diagnostik und Akuttherapie werden in der Regel auf einer neurologischen Schlaganfall-Station (Stroke Unit) durchgeführt. Nach klinischer Stabilisierung erfolgt eine ambulante Weiterbehandlung mit Kontrolle der Gerinnungswerte sowie Verlaufskontrolle der Rekanalisierung mittels zerebraler Bildgebung.[2]
Fallabhängig besteht daneben die Möglichkeit, den Thrombus chirurgisch zu entfernen (Thrombektomie) oder aufzulösen (Thrombolyse) durch invasive Verfahren, indem beispielsweise über einen bis zum verschlossenen Gefäß vorgeschobenen Mikro-Katheter ein fibrinolytisches Enzym appliziert wird.[17]
Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2021-06-13 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=1011939