Als Pick-Up Artists (dt. Aufreiß-Künstler), kurz PUA, auch Seduction Communities oder Pick-Up Communities werden überwiegend männliche Gruppen bezeichnet, die sich durch gezielte Anwendung verschiedener Verhaltensweisen und psychologischer Methoden bessere Chancen bei der sexuellen Verführung fremder Menschen (überwiegend Frauen) versprechen. Die Gruppen werden der antifeministischen Manosphere zugerechnet.[1] Der Sozialpsychologe Rolf Pohl bezeichnet sie als frauenfeindliche und rückwärtsgewandte sektenähnliche Gemeinschaft.[2]
Die Entstehung der Seduction Community reicht in die Zeit zurück, als Autor Ross Jeffries das Buch How to Get the Women You Desire into Bed und eine Sammlung von NLP-Techniken unter dem Titel Speed Seduction veröffentlichte.[3] Im Jahr 1994 gründete De Lewis Payne, ein Schüler von Jeffries, die Newsgroup alt.seduction.fast (ASF), wodurch Mitte der 1990er Jahre ein Netzwerk von Internetforen, Maillists, Blogs und Websites entstand, auf denen Verführungstechniken ausgetauscht werden konnten.[3][4]
Mit dem Erfolg von The Game (auf Deutsch Die perfekte Masche), das in der „New York Times Bestseller List“ stand, durch den Artikel in der New York Times von Neil Strauss[5][6] und durch die Reality-TV-Show The Pickup-Artist[7] wurde die Seduction Community einer breiteren Öffentlichkeit über die Medien bekannt.[8][9][10][11][12] Heute gelten z. B. Neil Strauss alias Style und Erik von Markovik alias Mystery als international bekannte Vertreter dieser Szene. Jedoch wandte sich Strauss zuletzt von der Seduction Community ab und sagte, dass er sich für sein Buch The Game schäme.[13]
Die Ideologie der Pick-Up Artists geht von einer natürlichen Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau aus. Frauen werden innerhalb der Szene vor allem als Objekte eines männlichen Wettbewerbs um Sex gesehen.[2] Männer können nach Ansicht der Pick-Up Artists durch Training ihre Chancen in diesem Wettbewerb verbessern.[14] Hauptzielgruppe der Seduction Communities sind Männer, die oft als Nerds oder Geeks stereotypisiert werden, und die Schwierigkeiten haben, modernen Geschlechternormen und -beziehungen zu entsprechen. Die Methoden einzelner Akteure und Gruppen innerhalb der Szene unterscheiden sich teilweise stark.[15]
Pick-Up Artists vertreten laut der Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach ein „ein aggressives und Hierarchie verherrlichende Männerbild, das eng verknüpft ist mit einer objektivierenden und abwertenden Perspektive auf Frauen – nicht wenige PUAs legitimieren Gewalt.“ Die Ideologie der Pick-Up Artists basiert auf der Betonung evolutionsbiologischer Geschlechterunterschiede und der Idealisierung einer dominanten Männlichkeit (in der Szene Alpha genannt), die erlernt werde könne.[16]
Innerhalb der Szene werden Strategien und Techniken als Game (dt. Spiel) bezeichnet. Im Game geht es darum, „Alphamännlichkeit“ zu projizieren.[16] Dafür sollen die Mitglieder der Szene einen Avatar erstellen, der ein ideales Selbst, Erfolg und Macht darstelle. Als Inner Game werden selbstbezogene Praktiken bezeichnet, durch die bestimmte Werte und Ziele internalisiert werden sollen. Als Outer Game werden Techniken bezeichnet, die PUAs das Erreichen ihrer Ziele bei Frauen ermöglichen soll.[15] Durch Techniken wie Push and Pull, also die „Überhäufung der Frauen mit Komplimenten und anschließender Erniedrigung“ sollen Frauen verunsichert werden. Pick-Up Artists wollen auch durch Techniken wie Neurolinguistische Programmierung Frauen manipulieren und kontrollieren. In der Szene gibt es außerdem sogenannte Last-Minute-Resistance-Techniken, durch die der Widerstand von Frauen, die Geschlechtsverkehr abgelehnt haben, gebrochen werden soll.[17]
Die Mitglieder sind über das Internet via Social Media, Foren, Blogs, Newsgroups und E-Magazinen miteinander verbunden sowie in Gruppen, sogenannten Lairs, in vielen Ländern organisiert.[18] Franziska Schutzbach bezeichnet PUA-Communities als „homosoziale Räume“ in denen weibliche Perspektiven nicht vorkämen und in denen Männer sich von der Interaktion mit Frauen abschotteten. Insbesondere in der englischsprachigen PUA-Szene gibt es Überschneidungen zur sogenannten Neuen Rechten und innerhalb der Communities kommt es zur Radikalisierung junger Männer.[16]
Die Ansichten und Praktiken werden von einigen Unternehmen in Seminaren, Workshops, auf Kongressen sowie in Büchern und als DVD vermarktet. Es handelt sich mittlerweile um eine große eigenständige Industrie. Im Vereinigten Königreich kosten Wochenendseminare um die 500 Pfund Sterling und Einzelsitzungen mit Coaches mehr als 100 Pfund pro Stunde.[19] Der Gesamtwert der Industrie wird auf 100 Millionen Dollar geschätzt.[20]
Julien Blanc ist ein Pick-Up Artist, der für das Unternehmen Real Social Dynamics Seminare anbot.[21] Umstrittene Videos des Pick-Up-Artists Julien Blanc sorgten im Herbst 2014 weltweit für Empörung. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes in Deutschland äußerte daraufhin, bei Veranstaltungen der sogenannten Pick-Up-Artists werde zu sexueller Gewalt gegen Frauen aufgerufen. Dies sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Weltweit formierte sich im Herbst 2014 im Internet über Twitter und eine Online-Petition Protest. Hoteliers wurden aufgefordert, die Räume für die Seminare der Pick-Up-Firma Real Social Dynamics aus den USA zu stornieren.[22] Nachdem Blanc in einem Video mit einer Vergewaltigung geprahlt hatte, wurde ihm die Einreise u. a. nach Großbritannien und Brasilien untersagt.[17]
Einer der bekanntesten Pick-Up Artists ist Daryush Valizadeh, der die Website Return of Kings betreibt. Er ist frauenfeindlich und spricht sich für die Legalisierung von Vergewaltigung auf Privatgelände aus, eine Forderung, die er im Nachhinein als Satire zu verteidigen versuchte. Das Southern Poverty Law Center hat die Website Return of Kings auf ihre Liste der Hassgruppen gesetzt.[23] Valizadeh initiierte auch Online-Belästigungskampagnen, z. B. gegen übergewichtige Frauen.[24]
Im Jahr 2007 startete auf MTV (ursprünglich eine Produktion von VH1) die Reality-TV-Show The Pickup-Artist mit Erik von Markovik alias Mystery, der acht Männer in Pickup-Artists verwandeln soll.[25] Eine zweite Staffel wurde von VH1 in Auftrag gegeben[26] und ausgestrahlt.[27] Auch in Filmen wie z. B. The Tao of Steve, Der Date Profi und Hitch wurde das Thema aufgegriffen und behandelt. Das Verfilmungsrecht an dem Buch The Game von Neil Strauss wurde von der Firma Spyglass Entertainment erworben.[28] Dating-Coach Ross Jeffries gilt als Vorbild für die Rolle des Flirtgurus Frank T.J. Mackey, den Tom Cruise in dem Film Magnolia spielt.[29] Der Tatort: Masken nahm sich Ende 2021 des Themas an.
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel veröffentlichte ein Interview mit dem Psychologen Andreas Baranowski, der die Wirksamkeit von Techniken selbsternannter Verführungsexperten kritisch beurteilt. Die Flirt-Strategien der Seduction Community seien danach veraltet und berücksichtigen nicht neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z. B. den reinen Placebo-Effekt von NLP.[30] Auch der Journalist und Schriftsteller Gene Weingarten beschrieb ein dreitägiges Seduction-Seminar als wenig hilfreich.[31]
In einer anderen Sichtweise wird in einem Artikel der Wochenzeitung „Houston Press“ festgestellt, dass die Methoden der Seduction Community auch nicht irreführender seien, als sich z. B. durch Makeup, Tragen eines Wonderbra oder High-Heels oder durch „Body-Work-Out“ im Fitness-Center attraktiver für Männer zu machen.[32] Nach einem Artikel des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ reagierten Frauen oft auch positiv auf die Tatsache, dass ein Coach Männern das Flirten beibringt.[33] Für seinen Artikel belegte der Journalist Hugo Rifkind ein Seminar bei Neil Strauss und beschreibt seine Erfahrung als positives Erlebnis, das das Selbstwertgefühl steigere, da man wisse, wie die Aufmerksamkeit von Frauen gewonnen werden kann. Nach Neil Strauss sollen die Methoden den Männern helfen, mit Frauen in Kontakt treten zu können. Eine Frau könne auch dann entscheiden, ob und wen sie wählt.[34][35]
Die Pick-Up-Szene wird bereits seit einigen Jahren in einen Zusammenhang mit rechten Netzwerken gebracht. Überschneidungen ergeben sich vor allem, aber nicht nur durch Antifeminismus und Sexismus. Besonders wird dabei auf die Berührungspunkte mit der Incel-Bewegung hingewiesen. Beiden Bewegungen ist ein deterministisches, objektifizierendes und sexistisches Frauenbild zu eigen, wonach Frauen gleichzeitig eine gewisse soziale Macht in der Beziehungsanbahnung zugesprochen wird, diese jedoch als ungerechtfertigt und der natürlichen Überlegenheit des Mannes im Wege stehend bezeichnet wird. In beiden Bewegungen wird der Feminismus als Ursache der wahrgenommenen Probleme von Männern im Dating und der Beziehungsgestaltung angenommen.[36]
Einige Akteure aus der nationalen und internationalen Pick-Up-Bewegung der 2000–2010er Jahre treten inzwischen in rechten und/oder verschwörungsideologischen Kreisen auf. Im Rahmen der Corona-Pandemie fiel beispielsweise Maximilian Pütz durch coronaleugnende und AfD-nahe Postings auf.[37][38] Der kanadische Pick-Up Artist Sasha Daygame zeigte sich in einem Video, wie er mit einem Megafon aus dem Auto heraus Menschen in der Öffentlichkeit ironisch zu ihrem "Gehorsam" der Regierung gegenüber während der Pandemie gratulierte.[39] Er trat außerdem als Redner auf der No New Normal Rally for Freedom auf – einer Veranstaltung gegen Corona-Maßnahmen – und machte sich über das Covid-19-Virus und die Angst davor lustig.[40]
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