Maryja Aljaksandrauna Kalesnikawa[1][2] (weißrussisch Марыя Аляксандраўна Калеснікава, russisch Мария Александровна Колесникова Marija Alexandrowna Kolesnikowa; von ihr selbst benutzte Transkription Maria Kalesnikava; geboren am 24. April 1982 in Minsk, Weißrussische SSR) ist eine derzeit inhaftierte Bürgerrechtlerin in Belarus (Weißrussland) sowie Musikpädagogin und Flötistin. Durch ihre Beziehungen zu Swjatlana Zichanouskaja, Weranika Zapkala, der Ehefrau von Waleryj Zepkala, und die Freundschaft mit Wiktar Babaryka sowie die politische Entwicklung in ihrem Heimatland wurde sie zu einer Aktivistin für Menschenrechte und parteilosen Politikerin. 2020 wurde sie international durch ihre Rolle in der belarussischen Opposition bekannt. Anfang September 2020 „verschwand“ in Minsk Kalesnikawa auf bisher ungeklärte Art und Weise; ihre Familie konnte zwei Tage später mitteilen, sie befinde sich in staatlicher Untersuchungshaft. Im Februar hat der Staatsanwalt die Anklage gegen sie erweitert: sie soll an einer Verschwörung zur verfassungsfeindlichen Machtergreifung beteiligt gewesen sein und eine extremistische Vereinigung gegründet und angeführt haben. Dafür wird sie nun mit einem Strafrahmen von acht bis zwölf Jahren bedroht.[3]
Maryja Kalesnikawa absolvierte in Minsk ein Solistenstudium für Querflöte an der Belarussischen Staatlichen Musikakademie. Anschließend studierte sie an der Musikhochschule Stuttgart Alte und Zeitgenössische Musik. Daraufhin verbrachte sie mehrere Jahre im Ausland und nahm an zahlreichen deutschen und internationalen Festivals mit unterschiedlichen Ensembles teil. Seit 2016 unterrichtet sie klassische Musik und von 2017 an ist sie als Projektleiterin des Artemp Festival tätig.[4] Sie spricht fließend Deutsch.
Nach der Verhaftung des Oppositionspolitikers Babaryka ist sie an dessen Stelle in den Präsidentschaftswahlkampf 2020 eingetreten.[5] Gemeinsam mit Swjatlana Zichanouskaja und Weranika Zapkala, der Ehefrau von Waleryj Zapkala, bildete sie vor der Präsidentschaftswahl ein Trio von Frauen gegen den regierenden Aljaksandr Lukaschenka, das schnell für die Regierung überraschende Erfolge erzielen konnte. „Das Auftreten der drei Frauen ist etwas Neues in Belarus. Ihre Sprache, ihr Gestus. Die eine zeigt immer ein Victory-Zeichen, die zweite reckt die rechte Faust, die dritte formt ihre Hände zu einem Herzen.“[6][7][8]
Nach der Wahl, die international weitgehend als Scheinwahl bewertet wurde[9], blieb Maryja Kalesnikawa als einzige des Trios noch im Land, während es zu massiven Unruhen und zahlreichen Protesten gegen die Regierung kam. Durch repressive Maßnahmen seitens der Polizei und der Behörden wurden zahlreiche Demonstranten verletzt und festgenommen.[10][11] Kalesnikawa gehört dem von Swjatlana Zichanouskaja am 19. August 2020 in Weißrussland gegründeten Koordinierungsrat der Opposition für die Machtübertragung an.[12]
Anfang September 2020 gab Maryja Kalesnikawa die Gründung einer neuen Partei mit dem Namen Rasam (dt. Gemeinsam, russisch Вместе Wmeste) bekannt, die unabhängig vom Koordinierungsrat arbeitet.[13][14]
Am 7. September 2020 berichteten Medien zunächst, dass Kalesnikawa festgenommen oder verschleppt worden sei. Sie sei in der Innenstadt von Minsk von bislang nicht identifizierten Personen festgesetzt worden. Die Polizei prüfe, ob sie entführt worden sei. Es wurde vermutet, man habe sie verschwinden lassen. Auch von zwei ihrer Mitarbeiter, Anton Rodnenkow und Iwan Krawzow, fehlte jede Nachricht.[15] Am selben Tag forderte der deutsche Außenminister Heiko Maas die weißrussische Führung zur sofortigen Aufklärung des Verschwindens von Kalesnikawa auf und stellte öffentlich Überlegungen an, wie die EU gemeinschaftlich reagieren werde.[16][17] Am 8. September berichteten Medien, dass Kalesnikawa an der Grenze zur Ukraine vom weißrussischen Grenzschutz festgenommen wurde, weil sie sich angeblich „ihrer Abschiebung widersetzt“ habe und „ihren Pass zerriss“. Rodnenkow und Krawzow wurden dagegen zur Ausreise genötigt.[18][19] Von belarussischer Seite verlautete dagegen, auch Kalesnikawa sei nach vorübergehender Festsetzung in die Ukraine „ausgereist“.[20] Der ukrainische Grenzschutz dementierte das.[21][22] Der Koordinierungsrat der Oppositionsbewegung teilte mit, man wisse nicht, wo Kalesnikawa derzeit sei und könne nur bestätigen, dass sie das Land nicht habe freiwillig verlassen wollen.
In einem Interview sagte der Vizeinnenminister der Ukraine, dass es keine Ausreise Kalesnikawas gegeben habe, sondern dass eine Deportation durch den KGB an ihrem tapferen Verhalten gescheitert sei; dies bestätigte später auch Iwan Krawzow.[23][19] Ihre Familie teilte mit, laut einer Information der Ermittlungsbehörde befinde sich Maryja Kalesnikawa in einem Untersuchungsgefängnis in der Hauptstadt Minsk, ihr werde „Aufruf zur Machtübernahme und der gewaltsamen Änderung der Verfassung“ vorgeworfen.[24]
In Minsk kam es am Mittwoch, den 9. September 2020, zu Solidaritätskundgebungen, bei denen Menschen auch die Freilassung Kalesnikawas und der anderen politischen Gefangenen forderten. Es gab dabei erneut mehrere Festnahmen.
Am 10. September 2020 teilte Kalesnikawa mit, ihr sei mit Zerstückelung ihrer Leiche und einer 25-jährigen Freiheitsstrafe gedroht worden. Sie stellte daher Strafanzeige gegen die Behörden, insbesondere den belarussischen KGB und die OMON wegen Morddrohung.[25] Gemäß ihrer Anwältin habe Kalesnikawa Quetschungen und Blutergüsse davongetragen.[26]
Kurz darauf wurde Kalesnikawa in ein Gefängnis in der Stadt Schodsina nordöstlich von Minsk verlegt.[27]
Am 13. September 2020 rief die Opposition wieder zu Massenprotesten im Land auf. In Minsk wurde ein „Marsch der Helden“ abgehalten, bei dem auch an Kalesnikawa gedacht wurde.
Am 16. September 2020 wurde gegen Kalesnikawa Anklage wegen „Gefährdung der staatlichen Sicherheit“ erhoben. Nach der Ermittlungsbehörde habe die Beschuldigte mit Hilfe des Internets und der Massenmedien zu Handlungen aufgerufen, die gegen die nationale Sicherheit gerichtet gewesen seien, und sie habe Belarus Schaden zufügen wollen.[28]
Die Anwältin Kalesnikawas, Ljudmila Kasak, nannte die Anschuldigungen gegen ihre Mandantin, sie habe sich an einer illegalen Machtergreifung versucht, absurd.[29]
Der Europarat will Menschenrechtsverstöße in dem Land untersuchen. Der Menschenrechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) verurteilte die politische Gewalt in Belarus.[30]
Bezogen auf die Festnahme Kalesnikawas äußerte sich der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, in einem Brief an den Botschafter von Belarus, Denis Sidorenko. Darin forderte Kretschmann ein Ende des Vorgehens gegen Andersdenkende. Über Kalesnikawa, die in Stuttgart studiert hatte, sagte er: „Seit Wochen ist sie eine Vorreiterin bei den Demonstrationen der Opposition, plädierte dabei aber immer für völlige Gewaltlosigkeit der Proteste.“ Die Führung in Belarus müsse mit EU-Sanktionen rechnen, wenn sie ihren Kurs nicht ändere.[31]
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, dass Kalesnikawa keine international anerkannte Straftat begangen habe und allein wegen ihrer Ausübung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung strafrechtlich verfolgt werde. Amnesty International stufte sie daher als politische Gefangene ein und forderte ihre umgehende Freilassung.[32]
Am 12. Dezember 2020 wurde bekannt, dass Kalesnikawa den Menschenrechtspreis 2021 der Gerhart und Renate Baum-Stiftung erhalten soll.[33]
Personendaten | |
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NAME | Kalesnikawa, Maryja |
ALTERNATIVNAMEN | Kalesnikawa, Maryja Aljaksandrauna (vollständiger Name); Kolesnikowa, Marija Alexandrowna; Калеснікава, Марыя Аляксандраўна (weißrussisch); Колесникова, Мария Александровна (russisch) |
KURZBESCHREIBUNG | weißrussische Bürgerrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin |
GEBURTSDATUM | 24. April 1982 |
GEBURTSORT | Minsk, Weißrussische SSR |
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