Luisa-Marie Neubauer (* 21. April 1996 in Hamburg)[1] ist eine deutsche Klimaschutz-Aktivistin. In Deutschland ist sie eine der Hauptorganisatorinnen des von Greta Thunberg inspirierten Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“). Sie tritt für eine Klimapolitik ein, die mit dem Übereinkommen von Paris vereinbar ist, und wirbt für einen Kohleausstieg Deutschlands bis 2030. Neubauer ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und Grüner Jugend und engagiert sich in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen.
Neubauer wuchs in Hamburg-Iserbrook als jüngstes von vier Geschwistern auf.[2] Ihre Mutter, Frauke Neubauer (geborene Reemtsma), ist ausgebildete Krankenschwester und leitet ein Altenpflegeheim. Neubauers Vater leitete das Altenheim mit ihr gemeinsam bis zu seinem Tode im Jahr 2016.[3][4] Ihre Mutter engagierte sich in der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1980er Jahre und sensibilisierte Luisa Neubauer für das Klimaproblem. Ihre Großmutter, Dagmar Reemtsma (* 1933, geborene von Hänisch),[5][6] die Neubauer 2020 ihr großes Vorbild nannte, war zeitweise mit dem Zigarettenfabrikanten Feiko Reemtsma verheiratet.[7] Dagmar Reemtsma, deren Vater während der Zeit des Nationalsozialismus in einem Konzentrationslager ermordet wurde, war ebenfalls als Aktivistin für Umwelt, Frieden und globale Gerechtigkeit aktiv. Unter anderem trat sie seit den 1980er Jahren als Organisatorin von Demonstrationen gegen Kohle- und Atomkraftwerke auf und engagierte sich in der Umweltgruppe „Elbvororte“, die über Umweltgefahren informierte.[8] Zwei von Neubauers drei Geschwistern leben in London.[9] Ihre Cousine Carla Reemtsma nimmt bei Fridays for Future in Deutschland ebenfalls eine führende Stellung ein.[10]
Neubauers gesellschaftspolitisches Engagement begann in der Kirche.[7] Als Schülerin nahm sie an einem Austauschprogramm in Namibia teil.[11] 2014 legte sie ihr Abitur am Marion-Dönhoff-Gymnasium in Hamburg-Blankenese ab.[12] Im Jahr danach arbeitete sie für ein Entwicklungshilfeprojekt in Tansania und auf einem Biobauernhof in England.[13]
Im Wintersemester 2015 begann sie ein Studium der Geographie an der Georg-August-Universität Göttingen.[9] Sie absolvierte ein Auslandssemester am University College London[1] und erhielt ein Deutschlandstipendium[14] sowie ein Stipendium der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.[15] Im Sommersemester 2020 schloss sie dieses Studium mit dem Bachelor of Science ab.[16] Anschließend begann sie den Masterstudiengang Geographie: Ressourcenanalyse und -management an der Georg-August-Universität Göttingen.[17]
Neubauers Partner ist der Fernsehmoderator und Schauspieler Louis Klamroth, der Gastgeber der Sendung hart aber fair.[18][19]
Seit 2016 ist sie Jugendbotschafterin der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation ONE.[20][21] Zudem engagierte sie sich bereits für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen,[22] die internationale Klimaschutzorganisation 350.org,[1] die Right Livelihood Award Foundation,[1] die Klimakampagne Fossil Free[1] und die deutsche NGO Das Hunger Projekt.[23]
Gemeinsam mit anderen Studierenden erreichte sie mit der Kampagne „Divest! Zieht euer Geld ab!“, dass die Universität Göttingen künftig nicht mehr in Industrien investiert, die mit Kohle, Öl oder Gas Geld verdienen.[24]
2018 nahm sie als eine von vier deutschen Delegierten am Weltjugendgipfel Y7, einer Ergänzung des G7-Gipfeltreffens, im kanadischen Ottawa teil.[25] Die Delegation initiierte im Oktober 2018 als Reaktion auf die geplanten Rodungen im Hambacher Forst einen offenen Brief an die Bundesregierung, in dem sie diese zur Verurteilung des Vorgehens des Energieerzeugers RWE im Hambacher Forst aufforderte und für Generationengerechtigkeit in der Klimapolitik plädierte. Der Brief wurde von 100 jungen Menschen wie den Aktivisten Ali Can und Felix Finkbeiner und der BUND-Jugendorganisation unterzeichnet.[21][26]
Im Dezember 2018 war sie als Jugenddelegierte für die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen beim Weltklimagipfel in Kattowitz und traf dort unter anderem auf die Initiatorin der Fridays for Future Greta Thunberg.[27]
Anfang 2019 wurde sie als eine der führenden Aktivisten der Fridays for Future in Deutschland bekannt.[28] In vielen Medien gilt Luisa Neubauer als „das deutsche Gesicht“ dieser Bewegung.[29]
Neubauer sagte 2019, die von den Schülern ausgehenden Streiks für eine wirksame Klimaschutzpolitik seien nicht das Ziel ihres Engagements. Wichtiger sei die Arbeit im Hintergrund: „Was wir machen, ist wahnsinnig nachhaltig. Wir binden Menschen in Strukturen ein, wir versuchen die Veranstaltung so zu gestalten, dass man etwas lernen kann. Und wir führen Grundsatzdebatten über das, was wir uns unter Klimaschutz vorstellen.“ Man schaffe etwas Neues: eine moderne politische Bewegung ohne detailliertes Programm und Mitgliedschaft. Laut Die Zeit gab es im März 2019 bereits 250 Ortsgruppen in Deutschland.[30]
Nachdem die Beteiligung von Siemens am Bau der Steinkohlebergwerk Carmichael der Adani Group kritisiert worden war, traf sich Joe Kaeser am 10. Januar 2020 mit Aktivisten von Fridays for Future und bot dabei Luisa Neubauer einen Aufsichtsratposten bei Siemens Energy an. Auf die Frage, ob es der Aufsichtsrat oder ein anderes Gremium sei, antwortete Kaeser, dass Neubauer dies selbst entscheiden könne.[31][32] Neubauer lehnte das Angebot mit der Begründung ab, dass sie dann den Interessen des Unternehmens verpflichtet wäre und Siemens nicht mehr unabhängig kommentieren könnte. Ihr Vorschlag, den Aufsichtsratposten stattdessen mit einem Vertreter von Scientists for Future zu besetzen, wurde von Kaeser abgelehnt; er sagte, Siemens habe bereits genügend Experten und Wissenschaftler.[33] Kaeser bestritt später, Neubauer einen Aufsichtsratsposten angeboten zu haben,[34] was von Fridays for Future bestritten wurde.[35] Laut Kaeser sei dieser Eindruck entstanden, weil er auf die Nachfrage eines Journalisten, ob er Neubauer einen Sitz in einem Kontrollgremium oder ein Aufsichtsratsmandat angeboten habe, gesagt habe, das könne sie sich aussuchen.[36]
Im Oktober 2019 veröffentlichte Neubauer zusammen mit Alexander Repenning das Buch Vom Ende der Klimakrise – Eine Geschichte unserer Zukunft. In ihrer den Possibilisten gewidmeten Abhandlung zum menschengemachten Klimawandel untersuchen Neubauer und Reppening Entstehungsursachen und Zukunftsperspektiven der Klimakrise, ausgehend von der Frage: „Was tun, wenn man mitten in der größten Krise der Menschheit steckt und niemand handelt?“[37] In Buchbesprechungen wird u. a. hervorgehoben, Autorin und Autor zeichneten „ein komplexes Bild der Herausforderungen und Lösungswege, indem sie von der Geschlechtergerechtigkeit bis zur globalen Armutsforschung immer auch politische und sozialwissenschaftliche Aspekte einbinden“;[38] auch schafften sie es, in Stil und Inhalt, eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen.[39]
Gemeinsam mit Bernd Ulrich publizierte Neubauer im Juli 2021 das Buch Noch haben wir die Wahl – Ein Gespräch über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen. Es ist als Dialog angelegt, was bedeute „sich gegenseitig beim Denken zu helfen, sich streitend fortzubewegen, eine Art Provisorium des Fundamentalen zu schaffen.“ Aus beider Sicht geht es um die Bewältigung „einer dreifachen ökologischen Krise: Pandemien, Artensterben und die Erderhitzung.“ Wegen der Verschärfung dieser drei Krisen müssten auch die Gegenmaßnahmen verschärft werden, und das mit demokratischen Mitteln.[40] Aus Sicht der Rezensentin Laura Harff verdienen vor allem die Überlegungen Ulrichs und Neubauers zum „alten und verengten Freiheitsbegriff“ besondere Aufmerksamkeit. Freiheit sei nicht gleichbedeutend mit Gewohnheitsrechten oder Konsumfreiheit und umfasse keineswegs das Recht „auf das tägliche Stück Fleisch auf dem Teller, den Flitzer in der Garage oder den 30-Euro-Flug nach Mallorca.“[41]
Mit ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma zusammen veröffentlichte Neubauer im Oktober 2022 das Buch Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich. In einem Doppelinterview mit der Zeit äußerten sich die Autorinnen u. a. zum Anliegen der Publikation und zum Titelthema Ohnmacht. Es gehe ihnen u. a. darum, ein aktives Verhältnis „zu unseren Vergangenheiten herzustellen, um das 20. und 21. Jahrhundert miteinander zu verknüpfen.“ Von Ohnmachtsgefühlen bezüglich ihres jeweils ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Engagements wurden gelegentlich beide beschlichen, die Großmutter mehr noch als die Enkelin. Neubauer betrachtet Ohnmacht unter dem Aspekt der Folgewirkung, dass einem alles egal werde. Sie sauge „aus den Dingen ihre Nuancen“ heraus, lasse Spielräume unerkennbar werden, mache Unterschiede unkenntlich. „In ihrer Einförmigkeit wirkt sie lähmend, und in der Lähmung erkennt man nicht mehr, wie man handeln könnte.“[42]
Von Juni 2017 bis März 2019 schrieb Neubauer als ONE-Jugendbotschafterin für die deutsche Ausgabe der Huffpost.[43] Zudem verfasste sie als Gastautorin Beiträge für mehrere Onlinemagazine, beispielsweise für den Blog des WWF.[44]
Von September 2019 bis November 2020 hatte Neubauer eine Kolumne im Stern. Im wöchentlichen Wechsel mit dem Philosophen Richard David Precht, dem Sozialpsychologen Harald Welzer und der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann schrieb sie unter dem Motto „Auf dem Weg nach morgen“.[45][46]
Seit November 2020 moderiert Neubauer den Spotify-Podcast 1,5 Grad,[47] der im Juni 2021 mit dem Deutschen Podcastpreis in der Kategorie „Beste*r Newcomer*in“ ausgezeichnet wurde.[48]
Im September 2021 berief die Wochenzeitung Die Zeit Neubauer in ihren „Green Council“, der das Ressort „Green“ mit Ideen, Kritik und eigenen Beiträgen unterstützen soll.[49]
Im Januar 2020 reichte Neubauer mit anderen Klimaaktivisten und Umweltverbänden Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ein, die das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) zum Gegenstand hatte.[50][51] Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Beschluss vom 24. März 2021 § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 (Zulässige Jahresemissionsmengen) mit den Grundrechten für unvereinbar.[52] Die Verfassungsbeschwerde war nur zum Teil erfolgreich.[53]
Luisa Neubauer betonte wiederholt die Dringlichkeit angemessenen Handelns in der Klimakrise. Als Gastautorin des WWF-Blogs beschrieb sie im Januar 2019 ihre Generation als „unfreiwillige Passagiere eines Autos, das auf den Abgrund zusteuert“. Ihre Generation sei diejenige, die mehr als alle anderen mit den Folgen der globalen Erwärmung werde leben müssen, und zugleich die letzte, die noch in der Lage sei, die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise abzuwenden. Sie kritisierte, dass Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft keine ausreichenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise ergriffen.[54]
In einem Doppelinterview der Wochenzeitung Zeit, das Neubauer im Oktober 2021 mit dem Physik-Nobelpreisträger Klaus Hasselmann zusammenführte, teilte sie dessen Optimismus nicht, dass noch genügend Zeit bleibe, die Probleme der globalen Erwärmung mittels eines leicht zu realisierenden Umstiegs von fossilen auf regenerative Energien zu lösen. Neubauer wendete ein, dass erneuerbare Energien zwar bereits seit über 20 Jahren auf dem Markt seien, aber trotz ihrer Rentabilität blockiert würden, wenn sie politisch unbequem seien. Es gehe, so Neubauers These, bei dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas im Kern um Lobby- und Machtfragen und um Fragen des politischen Willens.[55]
Anlässlich der Räumung Lützeraths, gegen die Neubauer vor Ort u. a. mit Greta Thunberg im Rahmen von Großdemonstrationen protestiert hatte, bestätigte Neubauer im Tagesspiegel ihre Einschätzung, dass sich in Lützerath entscheiden werde, ob die deutsche Bundesregierung das Pariser Klimaabkommen einhält. Die unter Lützerath liegende Kohle mache es, wenn sie verbrannt werde, praktisch unmöglich, „unsere Klimaziele einzuhalten.“ Noch sei aber nichts verloren, denn es werde mindestens zwei Jahre dauern, die Vorkommen zu erschließen, und bis dahin könne sich der politische Rahmen verändert haben. Die regierungsseitig betonte Aussicht, die Hälfte der 280 Millionen Tonnen Kohle im Boden zu belassen, genügt Neubauer nicht. Für die Versorgungssicherheit des Landes genügten laut unabhängigen Instituten noch maximal 110 Millionen Tonnen. Bis zu 170 Millionen Tonnen könnten – ganz ohne Lützerath – allein aus dem Tagebau Garzweiler geholt werden. „Der Deal mit RWE hackt unsere Klimaziele kurz und klein.“[56]
Neubauer ist seit 2017 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und der Grünen Jugend, nach eigenem Bekunden 2019 jedoch nicht aktiv. Fridays for Future mache sich generell mit keiner Partei gemein.[57][58]
Auf dem Grundsatzkonvent von Bündnis 90/Die Grünen am 29. März 2019 hielt Neubauer eine Rede, in der sie ein Emissionsbudget für Deutschland forderte.[59]
Neubauer sagte im April 2019 in einem taz-Interview, es gebe speziell bei den Grünen ein massives Aufklärungsversagen. Es bräuchte Ehrlichkeit im Bezug auf anstehende Veränderungen für Gesellschaft und Wirtschaft und die Überwindung des Paradigmas „Klimaschutz gefährdet Wohlstand“. Man traue sich nicht, Klartext zu reden, weil radikale Maßnahmen notwendig seien und das unbequem für alle werde.[58]
Neubauer bewertete die Europawahl 2019 als zentrales Ereignis, um die europäische Jugend für den Klimaschutz zu motivieren. Sie warf der Großen Koalition unter Angela Merkel vor, nach Beginn der Klimastreiks versagt zu haben, da sie die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes vertagt und einen Kohleausstieg gefeiert habe, der für das Klima zehn Jahre zu spät komme.[60]
Bei dem EU-Gipfel in Sibiu im Mai 2019 traf Neubauer zusammen mit anderen Klimaaktivisten Emmanuel Macron und acht weitere Staats- und Regierungschefs von EU-Ländern.[61]
In einem Interview mit den Tagesthemen im August 2020 nach einem Gespräch verschiedener Aktivistinnen mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte Neubauer sich skeptisch zu den Aktivitäten der Bundesregierung, das Klimaziel von 1,5 Grad Erderwärmung zu erreichen. Sie kritisierte die Inbetriebnahme neuer Kohlekraftwerke.[62][63]
Bei einem Gespräch mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble auf Einladung des Wochenmagazins Der Spiegel im Oktober 2020 betonte Neubauer die Sonderstellung der Klimakrise als ein alle Lebensbereiche berührendes Problem. Eine stabile Demokratie und eine gute Wirtschaft bedürften eines stabilen Planeten. Letztlich gehe es „um uns Menschen“, denen die Klimakrise irgendwann unerträglich werde. Gemessen an den Pariser Klimazielen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen werde deutlich zu langsam gehandelt; der Preis dafür sei eine eskalierende Klimakrise. Nichts werde mehr Freiheit beschränken als die Klimakrise. Je langsamer der Klimaschutz umgesetzt werde, desto größer seien die Zerstörungen durch die globale Erwärmung, und desto größer würden am Schluss die Freiheitsbeschränkungen.[64]
In einem Doppelinterview im Tagesspiegel gemeinsam mit Greta Thunberg äußerte Neubauer im September 2021 Kritik an Medien und Politik, die Klimakrise über Jahrzehnte heruntergespielt oder ignoriert zu haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei für die Klimawende nie ein ernsthaftes politisches Risiko eingegangen, um Deutschland merklich in Richtung einer „klimagerechten Demokratie“ zu bewegen. Zur Frage, wie gerecht eine Form von Klimaschutz sei, bei dem es einen wirklichen sozialen Ausgleich für steigende Kosten bei Wohnungsbeheizung und Kraftstoffen für Verbrennerautos durch gestiegene CO2-Preise nicht gebe, äußerte Neubauer, dass Fridays for Future eine Bewegung für Klimagerechtigkeit sei, man also auch sozial gerechten Klimaschutz verlange. Doch gelte es, bei dieser Debatte zu beachten, dass politische Stimmen, die nie Klimaschutz befürwortet hätten, jetzt soziale Ungleichheit als Ausrede für Untätigkeit benutzten.[65]
Neubauer organisierte in Berlin eine Demonstration für den 25. Januar 2019, bei der sich zeitgleich zur Tagung der Kohlekommission mehrere tausend Teilnehmer vor dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundeskanzleramt versammelten.[66] Am Tag der Demonstration traf sie sich zusammen mit zwei anderen Vertretern der Bewegung mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier[67] und übergab der Kommission einen offenen Brief, der unter anderem einen schnelleren Kohleausstieg forderte.[68] Neubauer sagte dem Wirtschaftsminister, er sei ein Teil des Problems, weil er für die Industrie agiere und nicht für die Menschen oder die Erde.[69]
In einem Streitgespräch mit Altmaier im Spiegel vom 16. März 2019 vertrat Luisa Neubauer hinsichtlich der Klimaschutzpolitik unter anderem folgende Ansichten:
In einem Beitrag für die Wochenzeitung Zeit im Mai 2019 kritisierte Neubauer, viele Politikjournalisten und Politiker hätten zwar eine Meinung zum Klima, aber leider keine ausreichenden wissenschaftlichen Kenntnisse zum Thema. So bleibe die Regierung von kritischen Nachfragen weitgehend verschont. Neubauer forderte mehr Geschichten auch außerhalb der Wissensressorts der Medien, die das Abstrakte des Klimawandels begreifbar machten.[71]
Medial rezipiert wurden Flugreisen, die Neubauer in der Vergangenheit unternommen hat: Jan Fleischhauer erwähnte sie in einer Kolumne zusammen mit Katharina Schulze, der Vorsitzenden der Fraktion der Grünen im Bayerischen Landtag, und warf ihr Inkonsequenz vor, wie sie für ihr Milieu typisch sei.[72] Inkonsequenz monierte auch der FAZ-Journalist Philip Plickert; sie bestand ihm zufolge darin, dass Neubauer als Klimaaktivistin auftrete und „aufrüttelnde Reden auf Grünen-Parteitreffen und bei Schülerdemos“ halte, doch gleichzeitig einen „mehrfach größeren CO2-Fußabdruck als der Durchschnittsbürger“ gehabt habe. Auf Instagram habe sie Fotos veröffentlicht, die eine „stattliche Zahl von Fernreisen nach Amerika, Asien und Afrika“ dokumentierten.[73]
Politische Gegner Neubauers nahmen das unter dem Hashtag „#langstreckenluisa“ zum Anlass für hämische Kommentare auf Twitter.[9] Birgit Schmid konstatierte in der Neuen Zürcher Zeitung einen Shitstorm auf jugendliche Protagonistinnen der Klimabewegung: Vor allem den „Klima-Mädchen“ schlage im Internet Empörung und Wut, meistens durch Männer, entgegen.[74]
Neubauer äußerte, die Kritik an ihrem persönlichen Verhalten lenke von größeren Problemen auf „strukturell-politischer Ebene“ ab. Es drücke sich darin ein Generationenkonflikt und eine Machtfrage aus, die privates ökologisches Verhalten gegen größere politische Fragen wie Kohleenergie und Flugreisen stelle. Sie selbst ernähre sich weitgehend vegan und fliege inzwischen seltener als früher. Zwei ihrer Geschwister, die in London leben, besuche sie mittlerweile mit dem Zug.[9][75]
Am 18. Juli 2019 berichtete Die Welt, Luisa Neubauer habe geäußert, dass für den besseren Klimaschutz unter der Bedingung des Ausbaus des Eisenbahnsystems ein Verbot innerdeutscher Flüge denkbar sei.[76] Im Oktober 2022 kündigte Neubauer an, zur UN-Klimakonferenz in Scharm asch-Schaich 2022 im November wahrscheinlich fliegen zu müssen. Klimakonferenzen gehörten für sie zu den Dingen, die man nicht digital machen könne. „Der Shitstorm wird bestimmt kommen. Ich freue mich über alle Menschen, die mir Bahnverbindungen durch Syrien vorschlagen.“[77] Tatsächlich reiste Neubauer den größten Teil der Strecke per Zug und Bus bis Istanbul, um von dort aus nach Scharm asch-Schaich zu fliegen.
Im Januar 2021 bekannte sich Neubauer als Erstunterzeichnerin zur einer Zero Covid Politik, welche beabsichtigte, COVID-19-Infektionen in Europa mit strikten Maßnahmen weitest möglich zu unterbinden.[78]
Am 9. Mai 2021, vor der Bundestagswahl am 26. September 2021, warf Neubauer in einer Talkrunde bei Anne Will dem Kanzlerkandidaten der Unionsparteien Armin Laschet unter anderem vor, sich der Aufstellung des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen als Direktkandidat für den Bundestag nicht energisch genug widersetzt zu haben. Maaßen verbreite rassistische und antisemitische Inhalte, indem er Beiträge antisemitischer Blogs teile. Von Laschet aufgefordert, Belege für die seines Erachtens unzutreffenden Antisemitismus-Vorwürfe gegen Maaßen zu erbringen, ließ sich Neubauer im Studio dazu nicht weiter ein. Das Redaktionsteam der Sendung kündigte an, die Vorwürfe zu überprüfen. Maaßen selbst bezeichnete sie anderntags als halt- und beleglos und sprach von einer „Verrohung des politischen Diskurses“.[79] Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisierte Neubauer und warnte in dem Zusammenhang davor, pauschale Antisemitismusvorwürfe ohne Beweise zu verbreiten; diese erforderten „klare und eindeutige Belege“ – wer anderen Antisemitismus vorwerfe, müsse sich „seiner Verantwortung für die deutsche Geschichte bewusst sein“.[80] Stephan J. Kramer, Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen, erkannte nach der Analyse von Publikationen Maaßens und dessen Verwendung bestimmter Begriffe „klassische antisemitische Stereotype“; der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent sagte nach einer Textanalyse, Maaßen bewege sich „in der ideengeschichtlichen Tradition antisemitischer Weltbilder“.[81][82][83]
In einem Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit im Juni 2022 zeigte sich Neubauer enttäuscht vom Regierungshandeln der Ampel-Koalition angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Zwar sei Christian Lindners Äußerung drei Tage nach Kriegsbeginn über erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“ für die Klimabewegung zunächst Ansporn gewesen. Doch sei die positive Stimmung für ein Embargo fossiler Energien infolge zahlreicher Interventionen von Industrievertretern ab Ende März 2022 nachhaltig gekippt. Statt einer „Erneuerbaren-Revolution“ lande man bei einer fossilen Expansion und mache mit nichtrussischen Autokraten wie Katar Deals. Statt eines autofreien Sonntags sei ein „Milliarden-Tankrabatt“ beschlossen worden. Dass trotz der mitregierenden Grünen sogar Ölbohrungen in der Nordsee in Betracht kommen, überraschte Neubauer nach eigenen Angaben nicht. Mit den Plänen für bis zu zwölf neue LNG-Terminals könnte laut Neubauer durch die darüber laufenden Gasimporte das gesamte CO2-Restbudget Deutschlands aufgebraucht werden. Sie räumte die Notwendigkeit von Zusatzmengen an fossilen Energien ein, um kurzfristige Versorgungslücken zu kompensieren, wandte sich aber gegen langfristige Verträge mit der Folge neuer Abhängigkeiten. Für den Klimaschutz müsse man erneut auf die Straße gehen. Die Regierungsbeteiligung der Grünen biete immerhin den einen Vorteil, dass sich diese von Protesten beeinflussen ließen.[84]
Im Januar 2020 wurde Neubauer vom Schriftsteller Akif Pirinçci auf Facebook sexistisch beleidigt, wofür jener vom Landgericht Frankfurt am Main zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 6.000 Euro verurteilt wurde.[85] Da Pirinçci nicht zahlte, ließ Luisa Neubauer das Konto von Akif Pirinçci um ca. 10.000 Euro pfänden (6.000 Euro Entschädigungszahlung plus Verfahrenskosten). Die Entschädigungszahlung spendete Neubauer an die Betroffenenorganisation HateAid, von der Neubauer bei mehr als 50 Strafanzeigen unterstützt wurde.[86] Das in derselben Angelegenheit verhängte Urteil des Landgerichts Bonn gegen Pirinçci zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, die zu einer dreijährigen Bewährungszeit ausgesetzt wurde, ist aufgrund einer von ihm eingelegten Berufung nicht rechtskräftig.[87]
Online geäußerten Hass zu ignorieren, funktioniere laut Neubauer nicht für Menschen, die auf die Interaktion mit anderen Wert legen. Der Hass halle nach, auch wenn man das Handy beiseite tue. Onlinehass sei zudem nicht ein Problem des Internets, sondern eines von Leuten, die diesen auch teils auf der Straße auslebten. „Ohne Menschen, die auf meine Sicherheit achten, kann ich zu keiner Veranstaltung mehr gehen.“ Sie habe Stalker, mit denen es ohne Sicherheitsvorkehrungen bestimmt zu Handgreiflichkeiten käme.[88]
Zu neueren Erfahrungen als Klimaaktivistin im Umgang mit den Leuten befragt, verweist Neubauer im Oktober 2022 in einem Spiegelgespräch auf eine an sie gerichtete veränderte Fragestellung. Immer häufiger gehe es darum, ob es nicht schon zu spät sei. Der Kontakt sei ihrem Gefühl nach therapeutischer geworden: „Vor drei Jahren haben wir noch versucht, die Menschen wütend zu machen. Heute trösten wir sie.“ Es handle sich beim Klimaaktivismus unterdessen auch um „ein Projekt radikaler Zuversicht“ in einer Sache, die durch die Untätigkeit vorheriger Generationen „schon teilweise verloren“ sei, nur eben nicht ganz. Es sei eben unter anderem auch wichtig, für jeden im nächsten Jahr noch blühenden Apfelbaum zu kämpfen. „Und wenn das fünf mehr sind, war ich daran beteiligt.“ Neubauer verweist auf das Beispiel von Menschen, die gezeigt hätten, dass die Welt zum Besseren verändert werden kann: Fünftagewoche, Mindestlohn, Frauenwahlrecht – unterdessen selbstverständlich; doch „all das wurde mal bitter erstritten.“[89]
Personendaten | |
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NAME | Neubauer, Luisa |
ALTERNATIVNAMEN | Neubauer, Luisa-Marie (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Klimaschutzaktivistin |
GEBURTSDATUM | 21. April 1996 |
GEBURTSORT | Hamburg |
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