Heinrich XIII. Prinz Reuß[1] (* 4. Dezember 1951 in Büdingen) ist ein deutscher Immobilienunternehmer und Angehöriger des Hauses Reuß, der als Akteur der Reichsbürgerbewegung in Erscheinung getreten ist. Er wird als zentrale Figur der mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppierung „Patriotische Union“ betrachtet, die den gewaltsamen Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereitet haben soll.
Am 7. Dezember 2022 wurde er unter dem dringenden Tatverdacht verhaftet, einer der beiden Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu sein, die einen Staatsstreich plane.
Heinrich XIII. Prinz Reuß ist diplomierter Ingenieur[2] und entstammt dem Seitenzweig Köstritz[3] des Hauses Reuß. Dessen frühere Hauptlinien, die beiden 1927 bzw. 1945 im Mannesstamm erloschenen Häuser Reuß älterer Linie und Reuß jüngerer Linie, stellten bis zur Novemberrevolution 1918 die regierenden Fürsten zweier Kleinstaaten in Thüringen.
Er ist das fünfte von sechs Kindern[4] des Ehepaares Heinrich I. Prinz Reuß, genannt Harry (1910–1982), und Woizlawa-Feodora geborene Herzogin zu Mecklenburg (1918–2019). Sein Vater war leiblicher Sohn von Prinz Heinrich XXXIV. Reuß und aus erbrechtlichen Gründen Adoptivsohn von Prinz Heinrich XLV. Reuß, dem Onkel seiner Ehefrau. Die vier Brüder Heinrichs Prinz Reuß heißen ebenfalls „Heinrich“, aber mit abweichender Nummerierung.[2] Die Ordinalzahl im Namen ist Folge der Familientradition, allen männlichen Angehörigen des Hauses Reuß den Leitnamen Heinrich zu geben und die Zählung in jedem Jahrhundert neu mit I zu beginnen. Im Familien- und Freundeskreis wird er auch „Enrico“ genannt,[5] die italienische Form von „Heinrich“.
Über seine Mutter, die eine Cousine der niederländischen Königin Juliana war, ist er ein Großcousin der früheren niederländischen Königin Beatrix; gemeinsamer Urgroßvater war Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg. Mütterlicherseits war seine Mutter eine Enkelin des letzten regierenden reußischen Fürsten Heinrich XXVII. Da der Grundbesitz der Familie – wie auch derjenige anderer Familienzweige – im Zuge der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone ab 1945 enteignet wurde, zog sie nach Westdeutschland und fand zunächst im Schloss Büdingen Aufnahme, wo die Schwester seines Vaters mit dem damaligen Familienoberhaupt des Hauses Ysenburg-Büdingen, Otto Friedrich Fürst zu Ysenburg und Büdingen (1904–1990), verheiratet war.[6] Dann wurde den engen Verwandten der Familie zu Ysenburg und Büdingen ein großes Fachwerkhaus am Büdinger Marktplatz[7] zugewiesen, das 1951 zum Geburtshaus von Prinz Reuß wurde. Der heutige Familienälteste des Hauses Ysenburg-Büdingen, Wolfgang-Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen, ehemals Präsident des AvD, ist sein Cousin, der sich von Prinz Reuß' Ansichten seit etwa 2007 distanziert.[8]
1989 heiratete er eine gebürtige Iranerin, mit der er zwei Kinder hat.[9] Die später geschiedene Ehe entsprach nicht dem Reuß’schen Hausgesetz.[2] Aus dem Familienverein des Hauses Reuß ist er 2008 ausgetreten; in der theoretischen innerfamiliären Titelerbfolge des früheren Fürstengeschlechts würde er Rang 17 einnehmen.[10]
Reuß lebte bis Dezember 2022 im Westend von Frankfurt am Main in einer Altbau-Dachgeschosswohnung[11] und ist Eigentümer des nach der Wende zurückgekauften Jagdschlosses Waidmannsheil im ostthüringischen Saaldorf, einem Ortsteil von Bad Lobenstein. Die Immobilie gehörte früher dem Adoptivvater des Vaters, nämlich Prinz Heinrich XLV. Reuß,[12] und wurde während der DDR-Zeit als Urlaubs- und Schulungsheim genutzt.[13] Bis Dezember 2022 nutzte Prinz Reuß das historische Schloss zum Networking mit lokalen Eliten; er ist etwa Schirmherr von Golfturnieren des Fürstlichen Hickory Golf Clubs Reuß, den er 2017 dort mitgründete.[11]
In den 1990er Jahren bemühten sich seine Mutter und er intensiv darum, frühere Besitzungen des Hauses Reuß wie das ehemalige Reußische Theater Gera vom staatlichen in ihr privates Eigentum zurückzuführen.[14] In Prozessen um die Rückübertragung des Familienerbes setzte Reuß einen Großteil seines Vermögens für Anwaltskosten ein, erlitt vor Gericht jedoch häufig Niederlagen.[15][16] Im Jahr 2008 wurde seiner Mutter das Eigentum an Schloss Thallwitz in Sachsen im Rahmen eines Vergleichs rückübertragen; es befindet sich heute in einem vernachlässigten Zustand.[16]
Reuß setzte sich auch für die Wiederherstellung der Gruft mit den Sarkophagen des Hauses Reuß in Gera ein, die sich ursprünglich in der 1780 abgebrannten Johanniskirche befand. Am historischen Ort war zugleich ein Informationszentrum geplant.[17][18][19]
Im Januar 2019 wurde Prinz Reuß kurzfristig nach Absage eines anderen Redners eingeladen, eine Keynote auf dem Worldwebforum in Zürich zu halten.[15] Er nutzte diesen 15-minütigen Auftritt für eine Deutung der neueren europäischen Geschichte unter dem Titel Warum die blaublütige Elite zu Dienern wurde.[20] Darin behauptete er, dass die Familie Rothschild und die Freimaurer in der Vergangenheit Kriege und Revolutionen finanziert hätten, um Monarchien zu beseitigen. Seitdem ist er in der verschwörungsideologischen Szene zu einer populären Figur aufgestiegen, als die er der Bundesrepublik Deutschland und ihren Gerichten die Rechtmäßigkeit abspricht.[21] Seine während öffentlicher Auftritte gehaltenen Reden waren nach Einschätzung der Journalisten Christian Fuchs, Astrid Geisler, Holger Stark und Martin Steinhagen von Zeit Online durchsetzt „von antisemitischen, demokratiefeindlichen und verschwörerischen Aussagen“.[22] So soll z. B. seiner Überzeugung nach der Erste Weltkrieg geführt worden sein, um die „Verbreitung der jüdischen Bevölkerung voranzutreiben“.[23]
Im Frühjahr 2021 ließ Reuß in Bad Lobenstein Aufrufe einer „staatlichen Wahlkommission Reuß“ zur Eröffnung von Wahllisten für einen „Verweser“ – historisch eine Person, die einen abwesenden Monarchen in seinen Regierungsgeschäften vertritt – plakatieren, die das Wappen des Hauses Reuß trugen.[24][25] Er war überzeugt, dass ihm durch „Geburt und Abstammung“ erworbene Rechte aus der Zeit vor 1918 zustehen, die es ihm erlauben, die Strukturen der Verwaltung zu bestimmen.[26]
Im August 2022 war Reuss in Bad Lobenstein in einen Eklat verwickelt. Thomas Weigelt, der parteilose, aber als Befürworter der Reichsbürgerbewegung bekannte Bürgermeister der Stadt, lud ihn zu einem Empfang ein. Ein Journalist der Ostthüringer Zeitung fragte, warum ein „Reichsbürger“ zu einer offiziellen Veranstaltung eingeladen worden sei. Bei einem anschließenden Empfang griff der Bürgermeister den Journalisten körperlich an, um ihn am Filmen zu hindern. Dabei wurde der Journalist verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Später wurde der Bürgermeister seines Amtes enthoben.[27][28]
Der Vorfall erregte bundesweit Aufsehen.[29][30][31][32] Bundesinnenministerin Nancy Faeser kritisierte die Gewaltattacke auf den Journalisten scharf.[33] Ohne freie und kritische Medien gebe es keine Demokratie, erklärte sie, und forderte zugleich eine vollständige Aufklärung des Vorfalls. Zwei Tage nach dem Angriff distanzierte sich auch der Sprecher des Hauses Reuß, Heinrich XIV. Prinz Reuß (* 1955), öffentlich von den Aktivitäten Heinrichs XIII., der den Familienverbund vor 14 Jahren auf eigenen Wunsch verlassen habe. Er sei ein „teilweise verwirrter“ Mann, der „verschwörungstheoretischen Irrmeinungen“ aufsitze.[34][35]
Am 7. Dezember 2022, nach dem Aufdecken der Verschwörung der Reichsbürger, erklärte Heinrich XIV. gegenüber dem MDR Thüringen, sein entfernter Verwandter, mit dem er persönlich schon länger keinen Kontakt habe, sei vor 30 Jahren ein moderner Unternehmer gewesen, der sich über Enttäuschungen radikalisiert habe.[10]
Heinrich XIII. Prinz Reuß und 24 weitere Personen wurden am Morgen des 7. Dezembers 2022 im Rahmen einer Großrazzia in elf deutschen Bundesländern mit rund 3000 Beamten sowie in zwei Fällen im Ausland wegen eines mutmaßlich geplanten Staatsstreichs festgenommen.[35][36][37] Der Generalbundesanwalt sah Reuß, der dem „Rat“ der Organisation vorgestanden haben soll, ebenso wie den als Anführer des militärischen Arms eingeschätzten Rüdiger von Pescatore unter dem dringenden Tatverdacht, als Rädelsführer – im Sinne von § 129a Abs. 4 StGB – an der Bildung einer terroristischen Vereinigung teilgenommen zu haben.[38] Der Haftbefehl wurde vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs bestätigt und Prinz Reuß befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.[15][39][40]
Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen war im Frühjahr 2022 auf Prinz Reuß aufmerksam geworden. Die Bundesanwaltschaft betrachtet ihn als zentrale Figur der Gruppierung, die sich „Patriotische Union“ genannt und einen Umsturz vorbereitet haben soll. Nach dessen Erfolg sei geplant gewesen, Reuß als Regenten von Deutschland einzusetzen.[37][41][42] Im Detail habe die Gruppe geplant, das Reichstagsgebäude zu stürmen und die Stromversorgung staatlicher Institutionen zu stören. Die Bundesregierung sollte festgesetzt werden. Es war laut Bundesanwaltschaft bereits ein Schattenkabinett zusammengestellt worden, dem unter anderem die Richterin und Politikerin Birgit Malsack-Winkemann (AfD) als Justizministerin angehörte.[43] Neben seiner Wohnung im Frankfurter Westend wurde auch das Jagdschloss Waidmannsheil von Spezialkräften durchsucht.[44] Hier soll er nach Auskunft der Ermittler eine „Bunkeranlage mit autonomer Strom- und Wasserversorgung“ vorbereitet haben.[45] Seine gleichfalls verhaftete Lebensgefährtin Vitalia B., eine russische Staatsbürgerin, wird verdächtigt, für ihn einen Kontakt zur Botschaft der Russischen Föderation hergestellt zu haben.[46] Außerdem gehen die Ermittler dem Verdacht nach, dass Reuß über eine Firmenkonstruktion als „Geldbeschaffer der ‚Patriotischen Union‘“ aktiv gewesen sei.[35]
Insgesamt wurden 22 mutmaßliche Mitglieder und drei mutmaßliche Unterstützer der Gruppe festgenommen, gegen 27 weitere wird ermittelt.[47] Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die Polizeiaktion in Deutschland, Italien und Österreich als „Anti-Terror-Einsatz“.[48]
Personendaten | |
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NAME | Reuß, Heinrich XIII. Prinz |
ALTERNATIVNAMEN | Enrico (Spitzname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Immobilienunternehmer und Mitglied des Hauses Reuß, Terrorverdächtiger |
GEBURTSDATUM | 4. Dezember 1951 |
GEBURTSORT | Büdingen |
Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2022-12-16 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=12471275