Emil Erich Kästner (* 23. Februar 1899 in Dresden; † 29. Juli 1974 in München) war ein deutscher Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter. Erich Kästners publizistische Karriere begann während der Weimarer Republik mit gesellschaftskritischen und antimilitaristischen Gedichten, Glossen und Essays in verschiedenen renommierten Periodika dieser Zeit.
Nach Beginn der nationalsozialistischen Diktatur war er einer der wenigen intellektuellen und zugleich prominenten Gegner des Nationalsozialismus, die in Deutschland blieben, obwohl seine Werke zur Liste der im Mai 1933 als „undeutsch“ diffamierten verbrannten Bücher zählten und im Herrschaftsbereich des NS-Regimes verboten wurden. Als einziger der Autoren war Kästner bei der Verbrennung seiner Bücher anwesend.[1] Trotz verschiedener Repressionen konnte er sich unter Pseudonym beispielsweise mit Drehbucharbeiten für einige komödiantische Unterhaltungsfilme und Einkünften aus der Veröffentlichung seiner Werke im Ausland wirtschaftlich absichern.
Mit der Niederlage des NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg war Kästner ab Mitte 1945 wieder eine freie publizistische Entfaltung möglich. Von 1951 bis 1962 war er Präsident des westdeutschen P.E.N.-Zentrums. Als Pazifist nahm er in den 1950er und 1960er Jahren bei mehreren Gelegenheiten gegen die Politik der Regierung Adenauer öffentlich Stellung, unter anderem im Zusammenhang mit der Remilitarisierung, der Spiegel-Affäre und der Anti-Atomwaffenbewegung.
Populär machten ihn vor allem seine Kinderbücher wie Emil und die Detektive (1929), Pünktchen und Anton (1931), Das fliegende Klassenzimmer (1933) und Das doppelte Lottchen (1949) sowie seine mal nachdenklich, mal humoristisch, oft satirisch formulierten gesellschafts- und zeitkritischen Gedichte, Epigramme und Aphorismen. Eine seiner bekanntesten Lyrik-Sammlungen erschien erstmals 1936 im Schweizer Atrium Verlag unter dem Titel Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.
Erich Kästner wurde in der Königsbrücker Straße 66 in Dresden geboren. Er wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Königsbrücker Straße in der Äußeren Neustadt von Dresden auf. In der Nähe befindet sich am Albertplatz im Erdgeschoss der damaligen Villa seines Onkels Franz Augustin heute das Erich Kästner Museum.
Sein Vater Emil Richard Kästner (1867–1957) war Sattlermeister in einer Kofferfabrik. Die Mutter, Ida Kästner geb. Augustin (1871–1951), war Dienstmädchen und Heimarbeiterin und wurde mit Mitte dreißig Friseurin. Zu seiner Mutter hatte Kästner eine äußerst intensive Beziehung. Schon als Kind erlebte er ihre Liebe als geradezu ausschließlich auf ihn bezogen – ein anderer Mensch spielte in ihrem Leben eigentlich keine Rolle.[2] In seiner Leipziger und Berliner Zeit verfasste er täglich vertrauteste Briefe oder Postkarten an sie. Auch in seinen Romanen lässt sich immer wieder das Mutter-Motiv finden. Später kamen nie bestätigte Gerüchte auf, dass der jüdische Arzt Emil Zimmermann (1864–1953) – der Hausarzt der Familie – sein leiblicher Vater gewesen sei.[3]
„[…] ich komme aus ganz kleinen Verhältnissen, mein Vater war ein Facharbeiter und auch Sozialdemokrat natürlich. Ich habe als Kind schon erlebt, wie die Arbeiter streikten und wie die berittene Gendarmerie mit herausgezogener Plempe da auf die Leute losschlug, die dann mit Pflastersteinen die Laternen einschlugen, und ich habe heulend neben meiner Mutter am Fenster gestanden. Mein Vater war da unten mit dabei – also da haben wir schon zwei entscheidende Dinge.“
Kästner besuchte ab 1913 das Freiherrlich von Fletchersche Lehrerseminar[5] in der Marienallee in Dresden-Neustadt, brach die Ausbildung zum Volksschullehrer jedoch drei Jahre später kurz vor Ausbildungsende ab. Viele Details aus dieser Schulzeit finden sich in dem Buch Das fliegende Klassenzimmer wieder. Seine Kindheit beschrieb Kästner in dem 1957 erschienenen autobiographischen Buch Als ich ein kleiner Junge war, dort kommentiert er den Beginn des Ersten Weltkriegs mit den Worten: „Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende.“
Zum Militärdienst wurde er 1917 einberufen und absolvierte seine Ausbildung in einer Einjährig-Freiwilligen-Kompanie der schweren Artillerie. Die Brutalität der Ausbildung prägte Kästner und machte ihn zum Antimilitaristen; zudem zog er sich durch den harten Drill seines Ausbilders Waurich eine lebenslange Herzschwäche zu. Waurich wurde hierfür in einem Gedicht Kästners (Sergeant Waurich) kritisch bedacht. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs belegte Kästner den Abschlusskurs am Strehlener Lehrerseminar.[6] Ein Jahr später machte er das Abitur am König-Georg-Gymnasium mit Auszeichnung und erhielt dafür das Goldene Stipendium der Stadt Dresden.
„Das entscheidende Erlebnis war natürlich meine Beschäftigung als Kriegsteilnehmer. Wenn man 17-jährig eingezogen wird, und die halbe Klasse ist schon tot, weil bekanntlich immer zwei Jahrgänge ungefähr in einer Klasse sich überlappen, ist man noch weniger Militarist als je vorher. Und eine dieser Animositäten, eine dieser Gekränktheiten eines jungen Menschen, eine der wichtigsten, war die Wut aufs Militär, auf die Rüstung, auf die Schwerindustrie.“
Im Herbst 1919 begann Kästner an der Universität Leipzig das Studium der Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft. Als Student wohnte er 1922 zur Untermiete im Musikviertel (Leipzig), Hohe Straße 51.[7] Infolge der Deutschen Inflation 1914 bis 1923 und wegen seiner schwierigen finanziellen Situation nahm Kästner mehrere Nebentätigkeiten an; er verkaufte Parfüm und sammelte die Börsenkurse für einen Buchmacher. Seine germanistische Doktorarbeit gab er 1925 bei Georg Witkowski ab[8] und wurde daraufhin zum Dr. phil. promoviert. Das Studium finanzierte Kästner schon bald aus eigenen Einnahmen als Journalist und Theaterkritiker für das Feuilleton der Neuen Leipziger Zeitung.
Dem kritischer werdenden Kästner wurde 1927 gekündigt, nachdem seinem von Erich Ohser illustrierten erotischen Gedicht Nachtgesang des Kammervirtuosen Frivolität vorgeworfen worden war. Im selben Jahr zog Kästner nach Berlin, von wo aus er unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ weiter als freier Kulturkorrespondent für die Neue Leipziger Zeitung schrieb. Kästner veröffentlichte später noch unter vielen anderen Pseudonymen (z. B. „Melchior Kurtz“, „Peter Flint“ oder „Robert Neuner“).
In der Kinderbeilage der im Leipziger Verlag Otto Beyer erschienenen Familienzeitschrift Beyers für Alle (seit 1928 Kinderzeitung von Klaus und Kläre) wurden von 1926 bis 1932 unter den Pseudonymen „Klaus“ und „Kläre“ fast 200 Artikel – Geschichten, Gedichte, Rätsel und kleine Feuilletons – geschrieben, die nach heutigem Stand der Forschung wohl großteils von Kästner stammen. Sein erstes größeres Werk, Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest, entwarf er im Juli 1927. Die Endfassung schickte er noch im selben Jahr an mehrere Verlage, die das Stück allerdings als zu modern ablehnten.[9]
Kästners Berliner Jahre von 1927 bis zum Ende der Weimarer Republik 1933 gelten als seine produktivste Zeit. In wenigen Jahren stieg er zu einer der wichtigsten intellektuellen Figuren Berlins auf. Er publizierte seine Gedichte, Glossen, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Periodika Berlins. Regelmäßig schrieb er als freier Mitarbeiter für verschiedene Tageszeitungen, wie das Berliner Tageblatt und die Vossische Zeitung sowie für die Zeitschrift Die Weltbühne. Unterstützt wurde er ab 1928 von seiner Privatsekretärin Elfriede Mechnig, die ihm 45 Jahre lang die Treue hielt.[10]
Hans Sarkowicz und Franz Josef Görtz, die Herausgeber der Gesamtausgabe von 1998, nennen im Nachwort des der Publizistik Kästners gewidmeten Bandes über 350 nachweisbare Artikel von 1923 bis 1933; die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Dass so vieles heute verloren ist, mag damit zusammenhängen, dass Kästners Wohnung im Februar 1944 völlig ausbrannte.
Kästner veröffentlichte 1928 sein erstes Buch, Herz auf Taille, eine Sammlung von Gedichten aus der Leipziger Zeit. Bis 1933 folgten drei weitere Gedichtbände. Mit seiner Gebrauchslyrik avancierte Kästner zu einer wichtigen Stimme der Neuen Sachlichkeit.
Am 15. Oktober 1929[11] erschien mit Emil und die Detektive Kästners erstes Kinderbuch. Die Detektivgeschichte entstand auf Anregung von Edith Jacobsohn. Das Buch wurde allein in Deutschland über zwei Millionen Mal verkauft und bis heute in 59 Sprachen übersetzt. Für die Kinderliteratur der damaligen Zeit mit ihren „aseptischen“ Märchenwelten äußerst ungewöhnlich war, dass der Roman in der Gegenwart der Großstadt Berlin spielte. Mit Pünktchen und Anton (1931) und Das fliegende Klassenzimmer (1933) schrieb Kästner in den folgenden Jahren zwei weitere gegenwartsbezogene Kinderbücher. Einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Bücher hatten die Illustrationen von Walter Trier.
Gerhard Lamprechts Verfilmung von Emil und die Detektive wurde 1931 ein großer Erfolg. Kästner war jedoch mit dem Drehbuch unzufrieden, das Lamprecht und Billy Wilder geschrieben hatten. In Folge arbeitete er als Drehbuchautor für die Studios in Babelsberg.
Kästners 1931 veröffentlichter Roman Fabian – Die Geschichte eines Moralisten ist in fast filmischer Technik geschrieben: Schnelle Schnitte und Montagen sind wichtige Stilmittel. Er spielt im Berlin der frühen 1930er Jahre. Am Beispiel des arbeitslosen Germanisten Jakob Fabian beschreibt Kästner das Tempo und den Trubel der Zeit wie auch den Niedergang der Weimarer Republik. Auch seine eigene Tätigkeit als Werbetexter in Berlin[12] spiegelt sich in der Figur Fabians.
Von 1927 bis 1929 wohnte Kästner in der Prager Straße 17 (heute etwa Nr. 12) in Berlin-Wilmersdorf, danach bis Februar 1944 in der Roscherstraße 16 in Berlin-Charlottenburg.[13]
Im Gegensatz zu fast allen seinen regimekritischen Kollegen emigrierte Kästner nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 nicht. Zwar fuhr er unmittelbar danach für kurze Zeit nach Meran und in die Schweiz, wo er auch bereits emigrierte Kollegen traf; dann jedoch kehrte er nach Berlin zurück. Kästner begründete diesen Schritt unter anderem damit, dass er vor Ort Chronist der Ereignisse sein wolle. Tatsächlich sammelte er Material aus der Zeit und machte sich in einem geheimen Tagebuch für einen künftigen Roman über das „Dritte Reich“ umfangreiche Notizen in Gabelsberger-Kurzschrift. Dieses blau eingebundene Buch versteckte er in seiner Bibliothek, nahm es aber während des Krieges bei Bombenalarm mit in den Luftschutzkeller, weshalb es – anders als seine viertausend Bücher – erhalten blieb.[15] Mindestens genauso wichtig dürfte aber sein, dass er seine Mutter nicht allein lassen wollte. Mit dem Epigramm Notwendige Antwort auf überflüssige Fragen (aus: Kurz und bündig) lieferte er gewissermaßen selbst auch eine Antwort:
„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.
Mich läßt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen –
wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt.“
Der nationalsozialistischen Führung war Kästner als populärer, weltläufig-großstädtischer „Asphaltliterat“ verhasst. Er wurde mehrmals von der Gestapo vernommen und aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Seine Werke wurden bei der öffentlichen Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 als „wider den deutschen Geist“ verbrannt (Goebbels nannte Kästners Namen als dritten), was er selbst aus nächster Nähe beobachtete.[16] Der Aufnahmeantrag Kästners in die Reichsschrifttumskammer wurde wegen seiner „kulturbolschewistischen Haltung im Schrifttum vor 1933“ abgelehnt, was sich vor allem auf seine Unterzeichnung des „Dringenden Appells“ des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes vom Juni 1932 bezieht. Dies war gleichbedeutend mit einem Publikationsverbot im Deutschen Reich. Der mit Kästner befreundete Verleger Kurt Leo Maschler übernahm die Rechte vom Berliner Verlag Williams & Co. Bücher von Kästner erschienen nun in der Schweiz in dem von Maschler gegründeten Atrium Verlag.
Allerdings hat Kästner (im Gegensatz zu dem, was er selbst und seine Biographen über seine Arbeit in der Zeit des Nationalsozialismus berichten) unter Pseudonymen sehr viel und sehr erfolgreich gearbeitet. Kästner stand nach Ansicht von Hermann Kurzke auf dem Höhepunkt seiner Produktivität und lieferte der Unterhaltungsindustrie des „Dritten Reiches“ Theatertexte und diverse Filmdrehbücher (teilweise als Mitautor). Besonders erfolgreich war Das lebenslängliche Kind; im Ausland und in der Nachkriegszeit als Buch bzw. Film unter dem Namen Drei Männer im Schnee vermarktet.[17]
Mit einer Ausnahmegenehmigung lieferte Kästner 1942 unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ das Drehbuch zu Münchhausen, dem prestigeträchtigen Jubiläumsfilm der Ufa. Der Anteil Kästners an dem mit Bobby E. Lüthge und Helmut Weiss verfassten Drehbuch zu dem Heinz-Rühmann-Film Ich vertraue Dir meine Frau an lässt sich heute nicht mehr abschätzen.[18]
1943 musste Kästner wegen der Evakuierung der Zivilbevölkerung infolge der Luftangriffe seine Berliner Stadtwohnung verlassen. Er kam bei Freunden in Neubabelsberg unter. Kästners Wohnung in Charlottenburg wurde 1944 durch Bomben zerstört.
Am 7. März 1945 gelang es ihm, mit einem 60-köpfigen Filmteam zu angeblichen Dreharbeiten nach Mayrhofen in Tirol zu reisen und dort das Kriegsende abzuwarten. Diese Zeit hielt er in einem 1961 unter dem Titel Notabene 45 veröffentlichten Tagebuch fest.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog Kästner nach München, wo er bis 1948 das Feuilleton der Neuen Zeitung leitete, und war dabei auch als Beobachter Zeuge der Prozesseröffnung der Nürnberger Prozesse.[19] In München gab er auch die Kinder- und Jugendzeitschrift Pinguin heraus. Gleichzeitig widmete er sich verstärkt dem literarischen Kabarett. So arbeitete er für „Die Schaubude“ (1945–1948) sowie „Die Kleine Freiheit“ (ab 1951) und für den Hörfunk. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Nummern, Lieder, Hörspiele, Reden und Aufsätze, die sich mit dem Nationalsozialismus, dem Krieg und der Realität im zerstörten Deutschland auseinandersetzten, u. a. das Marschlied 1945, das Deutsche Ringelspiel und das Kinderbuch Die Konferenz der Tiere.
Kästners Optimismus der unmittelbaren Nachkriegszeit wich umso mehr der Resignation, als die Westdeutschen mit Währungsreform und Wirtschaftswunder versuchten, zur Tagesordnung überzugehen. Hinzu kamen die bald erstarkenden Stimmen für eine Remilitarisierung. Seinem Anti-Militarismus blieb Kästner treu – er trat bei Ostermärschen als Redner auf und wandte sich später auch entschieden gegen den Vietnamkrieg. Sein Engagement richtete sich zudem gegen staatliche Maßnahmen, die er als Einschränkung der Pressefreiheit sah. So protestierte er 1952 etwa gegen das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ und zählte 1962 zu den ersten Intellektuellen, die sich gegen die Durchsuchungen und Verhaftungen während der Spiegel-Affäre wandten. Im Jahr 1954 hielt Kästner eine Rede zur Erinnerung an das Attentat vom 20. Juli 1944 in den Münchner Kammerspielen, die noch im gleichen Jahr unter dem Titel „Von der deutschen Vergesslichkeit“ in der Zeitschrift Merkur abgedruckt wurde. Darin bezeichnete er die Attentäter als ein Vorbild für die Jugend des Jahres 1954.[20]
Er veröffentlichte jedoch immer weniger, wozu auch sein zunehmender Alkoholismus beitrug. Kästner fand keinen Anschluss an die Nachkriegsliteratur und wurde in den 1950er und 1960er Jahren überwiegend als Kinderbuchautor wahrgenommen und gewürdigt. Die Wiederentdeckung seines literarischen Werks aus der Zeit der Weimarer Republik begann erst ab den 1970er Jahren; Fabian wurde z. B. erst 1980 verfilmt.
Dennoch war Kästner sehr erfolgreich. Seine Kinderbücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt, er selbst wurde vielfach geehrt. Kästner wurde 1951 Präsident des westdeutschen P.E.N.-Zentrums und hatte dieses Amt bis 1962 inne; 1965 wurde er zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Außerdem war er einer der Begründer der Internationalen Jugendbibliothek in München.
Kästner blieb lebenslang unverheiratet; er hatte allerdings zum Teil langjährige Liebesbeziehungen und Affären. Im Jahr 1957 wurde sein Sohn Thomas geboren. Von 1964 bis 1969 lebte Kästner mit seiner Freundin Friedel Siebert (1926–1986) und dem gemeinsamen Sohn in einer Villa in der Parkstraße 3a in Berlin-Hermsdorf am Waldsee. Kästner pendelte zwischen der Freundin in Berlin und der Lebensgefährtin Luiselotte Enderle in München.[21] Viel Zeit verbrachte er außerdem in Sanatorien.
1969 feierte Kästner seinen 70. Geburtstag am Waldsee in Berlin-Hermsdorf. Im selben Jahr trennte sich Friedel Siebert von Kästner und übersiedelte mit Thomas in die Schweiz.[22] Im Jahr 1977 wurde die Sammlung Briefe aus dem Tessin, die Kästner in den 1960er Jahren an seinen Sohn und dessen Mutter geschrieben hatte, veröffentlicht. Für Thomas verfasste er auch seine beiden letzten Kinderbücher Der kleine Mann und Der kleine Mann und die kleine Miss.
Kästner war häufig auch Rezitator seiner Werke. Bereits in den 1920er Jahren besprach er Schellackplatten mit seinen zeitkritischen Gedichten. In den Verfilmungen seiner Kinderbücher war er mehrfach der Erzähler, so zum Beispiel in der Verfilmung seines Buches Das doppelte Lottchen 1950 und in der ersten Hörspielbearbeitung von Pünktchen und Anton aus dem Jahr 1963. Des Weiteren sprach er für das Literarische Archiv der Deutschen Grammophon eine Auswahl seiner Gedichte, auch Epigramme, und nahm seine Till-Eulenspiegel-Bearbeitung für die Sprechplatte auf. Nicht zuletzt bestritt Kästner diverse literarische Solo-Abende, so auch im Münchner Cuvilliés-Theater, und las für den Hörfunk aus seinem Werk, wie etwa Als ich ein kleiner Junge war.
Ab 1965 zog Kästner sich fast ganz aus dem Literaturbetrieb zurück. Kurz vor seinem Tod gab er die Genehmigung, das Erich Kästner Kinderdorf nach ihm zu benennen. Kästner starb am 29. Juli 1974 im Klinikum Neuperlach an Speiseröhrenkrebs[23] und wurde nach seiner Einäscherung auf dem Bogenhausener Friedhof in München beigesetzt.[24][25]
Kästners Weltbild zeigt eine Zweiteilung, die sein Werk durchzieht. Der spöttisch und negativ geschilderten Welt der Erwachsenen steht die gegensätzliche Sphäre der Kinder gegenüber, eine Aufteilung, die sich nach Auffassung Andreas Drouves mit den Polaritäten des Bösen und des Guten veranschaulichen lässt. Während seine satirischen Verse eine pessimistische und zyklische Weltauffassung erkennen lassen, offenbaren die Kinderbücher die Hoffnung auf eine progressive Entwicklung der Menschheit.[26] Laut Drouve gerät Kästner in die literarisch widersprüchliche Situation, den Kindern eine Welt zu präsentieren, an die er selbst nicht glauben kann, den Erwachsenen hingegen eine solche, in der eine innere Entwicklung unmöglich zu sein scheint. Dieser Dualismus kennzeichne seine Schwierigkeit, sich die Realität jeweils so zu konstruieren, wie er sie gerade benötige, um schriftstellerisch erfolgreich zu sein, was ihn von „wirklichen Aufklärern“ wie Lessing oder Kurt Tucholsky unterscheide.[27]
So schrieb der Kinderbuchautor Fred Rodrian, Kästner habe die Welt in eine „schlechte, hoffnungslos-reale Welt der Erwachsenen“ auf der einen und eine „integre, einzige gute Welt der Kinder“ auf der anderen Seite eingeteilt. Seine satirischen Pfeile richte er gegen die böse Welt des Fabian; in den Kinderbüchern hingegen existiere das Böse nur, um das Gute zu zeigen. Emil sei „die Kindheit Fabians. Als Fabian wird Emil vermutlich ertrinken.“ Die Zweiteilung der Welt sei Kästners großer Irrtum gewesen.[28]
Orientiert man sich an Kästners Ausführungen, wollte er als Satiriker den Menschen durch Einsicht moralisch bessern. Der durchgehend pessimistische und nihilistische Hintergrund seiner satirischen Schriften ist mit der Haltung verbunden, dass es trotz technisch-wissenschaftlicher Entwicklung keinen Fortschritt gegeben hat und geben wird. Diese Perspektive lässt sich etwa in dem Gedicht Die Entwicklung der Menschheit erkennen,[29] in dem die „aus dem Urwald gelockt(en)“, mit den Errungenschaften der Zivilisation und Wissenschaft gesegneten Menschen „bei Lichte betrachtet ... noch immer die alten Affen“ sind.[30] Die spöttischen Verse seien auf den moralischen Reifeprozess des Menschen bezogen, der noch nicht seiner äußeren Entwicklung entspreche. Mit seinen Urinstinkten sei er auch in den zentralgeheizten Hochhäusern auf der alten Stufe verblieben und unterscheide sich nur durch technische Innovationen von seinen Vorfahren, eine Auffassung, die sich auch in dem Gedicht Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag finden lässt.[31]
Neben Gesellschaft und Kultur gehören Krieg und Militarismus zu den Zielen der satirischen Spitzen. Dabei zeigen Kästners antimilitaristischen Verse seine Stellung als „Mahner und Warner“ an deutlichsten, etwa in seinem bekannten Gedicht Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?, in dem er die Ursachen des Krieges auf menschliche Dummheit zurückführt und das er an den Anfang seines Auswahlbandes Bei Durchsicht meiner Bücher aufnahm, der 1946 im Atrium Verlag erschien.[32]
Die manifeste politische Haltung seiner Lyrik ist von einem idealistischen Moralismus geprägt. Kästners Gesellschaftskritik ist dabei eher intuitiv und moralisch und dringt nicht in die Analyse der Verhältnisse vor, so dass sich seine Texte meist darauf beschränken, an den guten Willen zu appellieren. Die erkannte Ohnmacht gegenüber der kritisierten Welt mündet häufig in resignativen Worten, wie etwa in dem Sammelband Gesang zwischen den Stühlen deutlich zu erkennen ist.[33] Die Forderung nach positiven Aussagen griff Kästner in seinem Gedicht Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner? auf, in dem er sich von seinen Lesern ausdrücklich ansprechen ließ.[34]
Kästners Haltung wurde von einigen Zeitgenossen heftig kritisiert. So charakterisierte Walter Benjamin in seinem einflussreichen Artikel Linke Melancholie die Einstellung als politischen Radikalismus, der positionslos sei, zu Fatalismus führen und von den Kritisierten sogar begrüßt werden könne.[35]
Benjamin sah in der Schwermut des Verfassers eine routinierte Methode und unterzog die Gedichte, die durch Tageszeitungen „wie ein Fisch im Wasser flitzen“ würden, einer ideologiekritischen Betrachtung. Kästner produziere lyrische Massenware und befinde sich auf einer angenehmen Position, die fern jeglicher Verantwortung liege und die gesellschaftliche Problematik leugne. Mit routinierten Anmerkungen gebe er seinen „lackierten Kinderbällchen das Ansehen von Rugbybällen“.[36]
Während Benjamin und Bertolt Brecht Gebrauchslyrik wie Gebrauchsliteratur im Zusammenhang mit politischen Funktionen und Veränderungen sahen, erschöpfte sich Kästners Definition eher auf Verse, die rasch konsumiert werden können.[37] So schrieb er in dem Artikel Ringelnatz und Gedichte überhaupt, der Anfang 1930 für die Neue Leipziger Zeitung entstand, es sei „keine Schande, Verse zu schreiben, die den Zeitgenossen begreiflich erscheinen.“ Hinterlasse der ‚reine‘ Dichter „Konservenlyrik“ für die Ewigkeit, die man aufheben und für „spätere Doktorarbeiten“ nutzen könne, schreibe der Gebrauchslyriker „für heute, zum Sofortessen“. Vermutlich seien seine Produkte nicht lange haltbar und würden rasch verderben. Dieser Ansatz unterscheidet sich von Brechts Anweisungen zu seiner Hauspostille, die „für den Gebrauch der Leser bestimmt“ sei und nicht „sinnlos hineingefressen“ werden solle.[38]
Nach Ansicht Marcel Reich-Ranickis liebte Kästner „das Spiel mit vertauschten Rollen.“ Er sah die Leser seiner Essays als Kinder und die Leser seiner Kinderbücher als Erwachsene an. Diejenigen, die in seinen Büchern über einen gesunden Menschenverstand verfügen, sind die Kinder und Halbwüchsigen. Sie verfolgen und fassen den Dieb, und die Ordnung wird hierdurch wiederhergestellt (Emil und die Detektive). Nicht die Eltern erziehen ihre Kinder – Erzieher sind die Kinder, die ihre Eltern zur Räson bringen (Das doppelte Lottchen). Kinder empfanden die meisten seiner Kinderbücher als wahr, weil sie oft das Milieu zeigten, das ihnen vertraut war. Seien es die Höfe Berlins oder einfach „dem Volk aufs Maul geschaut.“ Er habe die Alltagssprache in seinen Büchern fixiert und damit den Kinderroman Emil und die Detektive in die Neue Sachlichkeit eingebunden.[39]
Nach Kästner sind in Deutschland zahlreiche Straßen benannt worden. Der Asteroid (12318) Kastner erhielt den (anglisierten) Namen von Erich Kästner.[40]
Zum 100. Geburtstag Kästners gab die Deutsche Post im Briefmarken-Jahrgang 1999 ein Sonderpostwertzeichen mit einem Motiv aus Emil und die Detektive und dem Nennwert 3 Deutsche Mark heraus (Michel-Nr. 2035).[41]
Seit 2004 trägt einer der Sterne der Satire – Walk of Fame des Kabaretts Kästners Namen.
Einer der ersten neuen Intercity-Express-Züge (ICE 4) wurde im Oktober 2017 nach Erich Kästner benannt.[42]
Kästners Namen tragen auch der Erich Kästner Preis für Literatur der Erich Kästner Gesellschaft, der Erich Kästner-Preis des Presseclubs Dresden sowie die Erich Kästner Bibliothek in Oberschwarzach.
In Dresden-Neustadt (Antonstraße 1 am Albertplatz) befindet sich in der Villa Augustin das Erich Kästner Museum, für das sich ein Förderverein engagiert. Dort wurde auch auf einer Mauer eine Bronze-Plastik gesetzt, die Kästner als einen sitzenden Jungen darstellt: „Am liebsten hockte ich auf der Gartenmauer und schaute dem Leben und Treiben auf dem Albertplatz zu. Die Straßenbahnen (...) hielten dicht vor meinem Auge, als täten sie's mir zuliebe.“[43] Die Kästner-Plastik wurde von dem ungarischen Bildhauer und Maler Mátyás Varga erschaffen,[43] einem Sohn von Imre Varga.[44] An seinem Geburtshaus in der nahegelegenen Königsbrücker Straße 66 ist eine Erinnerungstafel angebracht. Berlin ehrt Kästner mit gegenwärtig zwei Gedenktafeln an dessen früheren Wohnungen: am Haus Parkstraße 3a in Berlin-Hermsdorf und in der heutigen Prager Straße 6–10 in Berlin-Wilmersdorf.[14] Am langjährigen Wohnort Kästners in Berlin-Charlottenburg, Roscherstraße 16, (1929–1944) wurde keine Erinnerungstafel angebracht.[14] Ein Denkmal, einige von Kästners Büchern symbolisierend, dazu ein Hut und ein Aschenbecher, steht in Dresden am Albertplatz.
Dutzende von Erich Kästner-Schulen sind nach Kästner benannt. Diese nutzen die Freiheit bei Eigennamen der Rechtschreibregeln zur Durchkopplung und verwenden die Schreibweise „Erich Kästner-Schule“ oder „Erich Kästner Schule“. Damit folgen sie einem ausdrücklichen Wunsch Kästners.[45]
Das Erich Kästner Kinderdorf in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt bewahrt nach dem Wunsch Erich Kästners und Luiselotte Enderles seit Anfang der 1990er Jahre den Nachlass Kästners, darunter 8200 Bücher aus seiner Privatbibliothek und zahlreiche Gegenstände aus seinem Alltag.[46]
Kästners schriftlicher Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach.[47] Teile davon sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen, dazu gehören die Typoskripte seiner Romane Emil und die Detektive und Fabian.
Erich Kästners Porträt an einem Haus der sogenannten Kästner-Passage in der Dresdner Neustadt
Denkmal am Albertplatz in Dresden
Bronzeplastik von Mátyás Varga[43] auf der Mauer des Erich Kästner Museums in Dresden
Das zum 40. Todestag geschmückte Grab Erich Kästners auf dem Bogenhausener Friedhof in München
2015 gründete sich der Förderverein Erich Kästner Forschung e. V. mit Sitz in München, der unter dem Reihentitel Erich Kästner-Studien Publikationen über Kästner herausgibt. Der Verein fördert wissenschaftliche und kulturelle Aktivitäten zu Kästners Leben, Werk und Wirkung, darunter Tagungen, Vorträge, Workshops und kulturelle Veranstaltungen.[48]
Mehr als 40 Filme sind in vielen Ländern nach Kästners Werken oder mit von ihm entworfenen Drehbüchern entstanden, die bekanntesten sind:
Über Kästner
Bibliographie
Weitere Literatur
Hörbücher
Datenbanken
Portale
Biographien
Artikel
Verschiedenes
Personendaten | |
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NAME | Kästner, Erich |
ALTERNATIVNAMEN | Kästner, Emil Erich (vollständiger Name); Bürger, Berthold (Pseudonym); Kurtz, Melchior (Pseudonym); Flint, Peter (Pseudonym); Neuner, Robert (Pseudonym) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Kabarettist |
GEBURTSDATUM | 23. Februar 1899 |
GEBURTSORT | Dresden |
STERBEDATUM | 29. Juli 1974 |
STERBEORT | München |
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