Aktuelles Infektionsgeschehen (14-Tage-Inzidenz) pro 100.000 Einwohner nach Landkreisen und kreisfreien Städten. Stand siehe Abbildung | |
Daten | |
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Krankheit | COVID-19 |
Krankheitserreger | SARS-CoV-2 |
Ursprung | Volksrepublik China, erster bekannter Verbreitungsort Wuhan, Hubei[1] |
Erster bekannter Fall | Weltweit: 1. Dezember 2019,[2] Deutschland: 24. Januar 2020[3] |
Erklärung zur Pandemie | 11. März 2020[Anm. 1] |
Betroffene Länder | ~ 200 |
Bestätigte Infizierte | ca. 174,9 Mio. weltweit[4] ca. 3,7 Mio. in Deutschland[5] |
Todesfälle | ca. 3,8 Mio. weltweit[4] ca. 90.000 in Deutschland[6] |
Letzte Aktualisierung: 12. Juni 2021 |
Die COVID-19-Pandemie in Deutschland tritt als regionales Teilgeschehen des weltweiten Ausbruchs der Infektionskrankheit COVID-19, die besonders die Atemwege befällt, auf und beruht auf Infektionen mit dem Ende 2019 neu aufgetretenen Virus SARS-CoV-2 aus der Familie der Coronaviren. Die COVID-19-Pandemie breitet sich seit Dezember 2019 von China ausgehend aus.[7][8]
In Deutschland wurde der erste Fall einer Infektion am 27. Januar 2020 gemeldet,[9][10] seitdem waren anhand der positiven Virus-Nachweise drei Infektionswellen zu beobachten. Sowohl während der ersten (März–April 2020) als auch während der zweiten Infektionswelle (Oktober 2020–Januar 2021) waren die höchsten Altersgruppen weit überproportional von Ansteckungen betroffen, was zu hohen Zahlen von Todesfällen führte. Seit Februar 2021 stiegen die Zahlen der neu hinzukommenden positiven SARS-CoV-2-Nachweise bis Ende April erneut und dementsprechend auch die 7-Tage-Inzidenz. Diese dritte Infektionswelle betraf aber überwiegend die Altersgruppen unter 65 Jahren. Die Altersgruppen mit der höchsten Letalität waren durch die seit Ende Dezember 2020 möglichen Impfungen zunehmend immunisiert, so dass wesentlich weniger Todesopfer über 80 Jahre zu beklagen waren als während der zweiten Welle. Von Mitte März bis Ende April 2021 stieg noch einmal, aufgrund der bei jüngeren Patienten längeren Verweildauer im Krankenhaus,[11] die Zahl der mit COVID-Patienten belegten Intensivbetten, seitdem sinkt sie wieder. Laut Robert Koch-Institut (RKI) ist seit März 2021 die Variante B.1.1.7 die in Deutschland vorherrschende Variante von SARS-CoV-2. Auch die Varianten B.1.351, P.1 und B.1.617 gelten als „besorgniserregend“.[12]
Mit Stand 13. Juni 2021, 0:00 Uhr, meldet das RKI 3.714.969 laborbestätigte SARS-CoV-2-Nachweisfälle, darunter 89.834 Todesfälle, und schätzt die Zahl der Genesenen auf ca. 3.576.800 Personen.[6][Anm. 2]
Auf Basis von Infektionszahlen, weiteren Daten und Simulationsstudien analysieren Wissenschaftler die Gefahrenlage und die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.[13][14] Das RKI bewertete das Risiko für die Bevölkerung in Deutschland am 28. Februar 2020 zunächst als „gering bis mäßig“, ab März 2020 als „hoch“ und für Risikogruppen als „sehr hoch“;[15] vom 11. Dezember 2020 bis zum 31. Mai 2021 wurde die Gefährdung für die Bevölkerung insgesamt durchgängig als „sehr hoch“ eingeschätzt.[16] Am 1. Juni wurde die Risikobewertung wieder auf „hoch“ geändert.[14] Die Nationale Akademie der Wissenschaften veröffentlichte im Jahr 2020 insgesamt sieben ad-hoc-Stellungnahmen zum Umgang mit der Pandemie, die aufgrund ihrer mangelnden wissenschaftlichen Sorgfalt und ihres großen Einflusses auf die Entscheidungen der Politik vehement kritisiert wurden.[17][18]
Am 25. März 2020 stellte der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ fest.[19] Am 27. März 2020 trat das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft, das anschließend am 18. November 2020 angepasst und konkretisiert wurde.[20][21] Um die Pandemie einzudämmen, beschlossen Bund und Länder Mitte März 2020 weitgehende Einschränkungen für das öffentliche Leben, wie gleichzeitig auch viele andere Länder weltweit.[22][23] Seit Anfang Mai wurden einige Beschränkungen schrittweise wieder aufgehoben.[24] Aufgrund steigender positiver Corona-Testzahlen wurden Kontaktbeschränkungen und andere Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im Oktober und November 2020 wieder verschärft.[25][26] Seit Mitte Dezember gelten wieder erhebliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Form eines sogenannten Lockdowns.[27] Maßnahmen im Gesundheitssystem zielen darauf, ausreichende Kapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Patienten und Tests von Verdachtsfällen bereitzuhalten und zugleich den Infektionsschutz für Patienten und Personal sicherzustellen.[28] Die Bevölkerung wurde aufgerufen, durch Einhalten der AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) und andere Vorsorgemaßnahmen ihr Infektionsrisiko zu minimieren und so zugleich die Ausbreitung des Virus einzudämmen.[29] Im Herbst 2020 wurden die Regeln durch die Aufforderung zu regelmäßigem Lüften und zur Nutzung der Corona-Warn-App ergänzt.[30]
Die Pandemie und die mit ihr verbundenen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz hatten und haben erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen. Im Rahmen der Wirtschaftskrise 2020 kam es im zweiten Quartal 2020 zum stärksten Einbruch des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zum Vorquartal seit dem Beginn der Berechnungen 1970.[31] Familien wurden durch Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen belastet.[32] Arbeitnehmer waren mit weitgehenden Änderungen im Arbeitsalltag konfrontiert, zum Beispiel Telearbeit im Heimbüro.[33] Darüber hinaus hatte die Pandemie zahlreiche weitere Folgen in verschiedensten Bereichen des Lebens. Viele Maßnahmen werden juristisch kontrovers beurteilt. Auch in Politik und Öffentlichkeit kam es zu einer Reihe von Kontroversen um die angemessenen Reaktionen auf die Pandemie.[34][35][36]
Am Pfingstsonntag, dem 23. Mai 2021, lag die Sieben-Tage-Inzidenz der COVID-Neuinfektionen erstmals in allen 16 Bundesländern wieder unter 100. In fünf Bundesländern lag sie unter 50: Schleswig-Holstein (30), Hamburg (35), Mecklenburg-Vorpommern (40), Niedersachsen (45), Brandenburg (47).[37] Etwa 13,6 % aller Menschen hatten bis zu diesem Tag zwei Impfungen erhalten und weitere 26 bis 27 % eine Erstimpfung.[38] Am 29. Mai 2021 lagen alle Länder bereits unter 50. Die bundesweite Inzidenz betrug 35,2, was den niedrigsten Wert seit Mitte Oktober 2020 darstellt.[39]
Grundlagen zur Beurteilung des Pandemieverlaufs sind die Anzahl der gemeldeten Neuinfektionen, der Anteil schwerer und tödlicher Krankheitsverläufe, die Reproduktionszahl und die Ressourcenbelastung des Gesundheitswesens.[40]
Das Robert Koch-Institut nennt online im „RKI-Dashboard“ täglich aktualisierte Fallzahlen für Deutschland, aufgeschlüsselt nach einzelnen Ländern und Landkreisen.[6] Außerdem nennt das RKI in seinem Situationsbericht täglich die Anzahl der neu gemeldeten Fälle und Todesfälle und weitere Daten zur epidemiologischen Lage.[41] Diese beruhen auf den Daten der Gesundheitsämter, die über die Länder elektronisch an das RKI übermittelt werden. Zunächst wurden auch die vorab laborbestätigten Fälle bekannt gegeben, die allerdings laut RKI mit wachsenden Fallzahlen „nicht mehr manuell aktualisiert und qualitätsgesichert berichtet werden konnten“. Ab dem 17. März 2020 wurden daher nur noch die elektronisch übermittelten Fälle veröffentlicht.[42] Durch den Meldeverzug zwischen dem Bekanntwerden und der Übermittlung könne es zu Abweichungen von den Zahlen aus anderen Quellen kommen.
Eine Auswertung der Daten und Interpretation des Infektionsverlaufes sowie Abschätzung der derzeitigen Situation wird in Form eines sogenannten Nowcastings in dem jeweils aktuellen Bericht des RKI vorgenommen.[43] Eine alternative Schätzung auf Basis der Daten des RKI zur Ausbreitung von COVID-19 in den einzelnen Bundesländern wird seit August 2020 auf der vom Forschungszentrum Jülich betriebenen Webseite rtlive.de[44] visualisiert.
Das RKI veröffentlicht täglich zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich aufbereitete Fallzahlen, die sich in den einzelnen Veröffentlichungen z. T. überschneiden. Die Details der Falldefinition und Diagnostik sind im Artikel COVID-19 dargestellt. Das RKI-Dashboard[6] gibt mit Datenstand 13. Juni 2021 00:00 Uhr bekannt:
Dem Lage-/Situationsbericht des RKI vom 11. Mai 2021 ist u. a. zu entnehmen:[45]
Das RKI gibt täglich an, um welchen Wert sich die Zahl der bestätigten Fälle im Vergleich zum Vortag verändert hat. Die täglich neu dem RKI bekannt gewordenen Fälle beinhalten auch Fälle mit teilweise weit zurückliegendem Melde- oder Erkrankungsdatum. Aufgrund des Übermittlungsprozesses kommt es zu Verzögerungen, bis diese dem RKI bekannt sind. Ferner können Fälle durch nachträgliche Prüfungen oder Umzug in die Zuständigkeit eines anderen Gesundheitsamtes korrigiert werden. Diese Korrekturen wirken sich ebenfalls auf die Differenz zum Vortag aus, sodass diese Differenz nicht exakt der Zahl der neu bekannt gewordenen Fälle entspricht.[Anm. 3]
Für die kumulierten bestätigten Infektionen siehe #Genesene und aktive Fälle.
Bestätigte Infektionen in Deutschland, Differenz zum Vortag
nach Daten des RKI[41][46][Anm. 2][Anm. 4][Anm. 3]
Aufgrund der Inkubationszeit, der Verzögerungen bis zum Vorliegen eines Tests, des Meldeverzugs sowie der mehrfach geänderten Teststrategie bilden die täglich neu hinzukommenden Fallzahlen das Infektionsgeschehen nur unvollkommen ab. Das RKI veröffentlicht deshalb für diejenigen positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Fälle, für die COVID-19-Symptome gemeldet wurden und bei denen der Tag des Symptombeginns bekannt ist, in einer Grafik im Dashboard[6] sowie in den täglichen Lageberichten auch die Zahl der COVID-19-Fälle nach Erkrankungsdatum. Danach war der Höhepunkt der ersten Welle nicht erst am 2. April 2020 erreicht, dem Tag mit den bis dahin meisten neu bekannt gewordenen Infektionsfällen, sondern bereits am 16. März. In der zweiten Welle lag der Höhepunkt der bekannten Neuerkrankungen bereits am 14. Dezember 2020, nicht erst am 23. Dezember, dem Tag mit den meisten neu bekannt gewordenen Infektionsfällen. Da zwischen der Infektion und dem Auftreten erster Symptome (dem Erkrankungsdatum) im Mittel fünf Tage liegen, dürfte die Höchstzahl an täglichen Infektionen bereits in der ersten Märzhälfte bzw. der ersten Dezemberhälfte überschritten worden sein.[47]
Für einen erheblichen Teil der gemeldeten Fälle fehlt dem RKI eine Angabe zum Erkrankungsbeginn, weil es sich um asymptomatische Fälle handelt oder weil er nicht bekannt ist. Die fehlenden Angaben werden, um eine Prognose für das aktuelle Infektionsgeschehen abgeben zu können, durch statistische Verfahren geschätzt (sogenanntes Imputieren). Dabei wird auch den bekanntermaßen asymptomatischen Fällen ein künstlicher „Erkrankungsbeginn“ zugeordnet. Verzögerung und Meldeverzug versucht man für die jeweils letzten Tage zusätzlich durch Nowcasting entgegenzuwirken. Die sich so ergebenden Schätzwerte werden in den täglichen Lageberichten zusammen mit den Fällen mit bekanntem Erkrankungsdatum und einem Konfidenzintervall in einem Diagramm dargestellt und als Zahlenwerte (allerdings nur ohne Aufschlüsselung nach bekannt, imputiert und Nowcast) zum Download angeboten.[48] Das RKI weist darauf hin, dass im Nowcast bei höherer Positivquote der Testungen eine höhere Anzahl unentdeckter Infizierter geschätzt wird, um Änderungen in der Teststrategie auszugleichen.[49][50] Die Schätzung bildet die Grundlage zum Ermitteln der Nettoreproduktionszahl.[47]
Das Robert Koch-Institut veröffentlicht allwöchentlich eine Tabelle mit Daten zur Altersverteilung der SARS-CoV-2-Infektionsfälle,[51] deren Daten in den dienstäglichen Lageberichten in Form einer Heatmap veröffentlicht werden.[52] Darin wird die Anzahl der dem RKI gemeldeten SARS-CoV-2-Nachweise pro Kalenderwoche von März 2020 an getrennt nach Altersgruppen angegeben – einmal in absoluten Zahlen, und einmal als 7-Tage-Inzidenz der jeweiligen Altersgruppe. Anhand dieser relativen Zahlen lässt sich beobachten, wie sich die Pandemie in den unterschiedlichen Altersgruppen entwickelt hat – und welche Effekte welche Maßnahmen insbesondere auf das Infektionsgeschehen innerhalb der Gruppe der Hochbetagten hatten oder gerade nicht hatten.[53][54][55]
Bei der Auswertung ist zu beachten, dass sich die Inzidenzwerte unmittelbar aus der Zahl der gemeldeten Fälle ergeben. So erklärt sich die in allen Altersgruppen sichtbare Anomalie in den Kalenderwochen 52 und 53 damit, dass während der Feiertage erheblich weniger Tests vorgenommen wurden.[56] Da die infizierten Unter-20-Jährigen nur in den seltensten Fällen symptomatisch erkranken, hängen ihre Inzidenzwerte besonders stark von der Zahl der Tests in dieser Altersgruppe ab. Bei geschlossenen Kitas und Schulen gibt es kaum Anlass zum Testen, während bei Öffnungen, die mit Testpflicht verbunden sind, notwendigerweise stärker getestet wird, wodurch mehr Fälle ans Licht kommen. Die Inzidenzwerte dieser Altersgruppen steigen also nach Schulöffnungen ebenso zwangsläufig wie sie nach Schulschließungen wieder sinken, ohne dass dies mit einer zugespitzten oder entspannten Infektionslage in dieser Altersgruppe oder mit Ansteckungen in den Schulen zusammenhängen muss. Zum Lesen des Diagramms sei darauf hingewiesen, dass die positiven Testergebnisse, aus denen die Berechnung der 7-Tage-Inzidenz folgt, auf Infektionen zurückgehen, die durchschnittlich etwa ein bis zwei Wochen früher stattgefunden haben. Der Frühjahrs-Lockdown des Jahres 2020 trat in Kalenderwoche 13 in Kraft, der Teil-Lockdown im Herbst in Kalenderwoche 45 und der sogenannte harte Lockdown in Kalenderwoche 51. Der Impfstart erfolgte in Kalenderwoche 53.
Seit Beginn des Jahres bis Mitte März 2021 sanken die Zahlen bei den Über-85-Jährigen kontinuierlich, auch gegen den seit Mitte Februar vorübergehend wieder steigenden Trend in den jüngeren Altersgruppen. Seit der Kalenderwoche 10 (2021) liegen die 7-Tage-Inzidenzen in den Altersgruppen über 65 Jahren konstant unter den 7-Tage-Inzidenzen aller jüngeren Altersgruppen. Daran lässt sich erkennen, dass die Impfungen, im Unterschied zum Lockdown, eine messbare Wirkung auf die Schwere der Pandemie haben.[57]
Nachweise von SARS-CoV-2 je 100.000 Einwohner pro Woche, nach Altersgruppen (Stand 8. Juni 2021)[58]
Am 6. Mai 2020 beschlossen Bund und Länder, die durch die Corona-Pandemie bedingten Beschränkungen in einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten zu verschärfen, wenn dort die 7-Tage-Inzidenz über einem Wert von 50 liegt.[59] In mehreren Bundesländern wurde dieser Grenzwert auf 30 bis 35 gesenkt.[60]
Mit Stand vom 12. Juni 2021 gibt es laut RKI-Situationsbericht 11 Landkreise und kreisfreie Städte, die die 50-Neuinfektionen-Grenze überschreiten. 84 Landkreise, kreisfreie Städte und Bezirke Berlins liegen im Bereich zwischen 25 und 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Die anderen 317 Landkreise, kreisfreien Städte und Bezirke Berlins sind momentan unter diesem Richtwert. Fünf meldeten in den letzten sieben Tagen keine neuen Fälle, bei 51 liegt die Inzidenz zwischen 0 und 5 und bei 261 zwischen 5 und 25. Der Landkreis Lindau hatte mit einer 7-Tage-Inzidenz von 75,6 den höchsten Wert.[61]
Siehe auch: »COVID-19-Pandemie in Deutschland/Statistik« →Abschnitt: Landkreise und kreisfreie Städte mit hohen Inzidenzwerten
Land | Fälle | /100.000 Ew. | +/− Vortag |
---|---|---|---|
BW | 2.890 | 26,0 | +0,8 |
BY | 2.887 | 22,0 | −0,1 |
BE | 574 | 15,6 | −1,0 |
BB | 174 | 6,9 | −0,9 |
HB | 113 | 16,6 | −1,3 |
HH | 264 | 14,3 | −1,3 |
HE | 1.389 | 22,1 | +0,6 |
MV | 85 | 5,3 | −0,7 |
NI | 834 | 10,4 | −0,7 |
NW | 3.553 | 19,8 | −0,8 |
RP | 783 | 19,1 | −0,9 |
SL | 212 | 21,5 | +1,0 |
SN | 562 | 13,8 | −0,9 |
ST | 203 | 9,2 | −0,7 |
SH | 275 | 9,5 | +0,1 |
TH | 383 | 18,0 | −2,7 |
Deutschland | 15.181 | 18,3 | −0,3 |
Die Anzahl der hospitalisierten Personen ist nicht exakt bekannt. Das RKI publiziert aber regelmäßig aktualisierte Werte zur klinischen Situation sowie zur Belegung der Intensivbetten auf der Grundlage der Daten des DIVI-Intensivregisters.
Die nachfolgenden Zahlen liefern die Lage-/Situationsberichte des RKI vom 8. bzw. 9. Juni 2021 auf Basis der Daten der beteiligten Kliniken.[45] In KW 22 (31. Mai–6. Juni 2021) wurde von 14.869 COVID-19-Fällen mit Angaben zur Hospitalisierung ein Anteil von 5 % (717) hospitalisiert. Mitte Februar betrug der Anteil noch 12 %. Den prozentualen Höchststand gab es in KW 16/2020 (13.–19. April) mit 22 % (3.356).
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Intensivbettenbelegung durch COVID-Patienten nach Angaben des DIVI seit April 2020 (Stand 12. Juni 2021).
Fälle in Intensivbehandlung (gestapeltes Flächendiagramm)
Das RKI-Dashboard[6] gibt mit Datenstand 13. Juni 2021 0:00 Uhr an:
Gemäß den Ergebnissen von Obduktionen am Institut für Pathologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein ist bei etwa 85 Prozent derjenigen Todesfälle, die nach der äußeren Leichenschau an COVID-19 gestorben waren und anschließend obduziert wurden, die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich für den Tod der Patienten.[62]
In den Veröffentlichungen des RKI wird lediglich eine Gesamtzahl der Todesfälle mit oder an SARS-CoV-2 Verstorbener aufgeführt. Einige Gesundheitsämter und Landesbehörden differenzieren in ihren Veröffentlichungen zwischen mit und an SARS-CoV-2 Verstorbenen. Dabei werden aber diejenigen Fälle, bei denen COVID-19 auf der Todesbescheinigung als mitursächliche Erkrankung vermerkt wird, unterschiedlich eingeordnet. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit, das nur diejenigen Personen, die ausschließlich „aufgrund anderer Ursachen verstorben“ sind, als „mit SARS-CoV-2 verstorben“ rechnet, zählt demzufolge 85–87 % der dem RKI übermittelten SARS-CoV-2-positiven Todesfälle als „an SARS-CoV-2 verstorben“.[63] Dagegen meldet das Gesundheitsamt der Stadt Halle, das jeden Einzelfall zuordnet, nur 33–35 % der COVID-19-assoziierten Todesfälle als „an einer Corona-Infektion gestorben“, und die übrigen 65–67 % als „mit dem Virus gestorben“.[64]
Das folgende Diagramm gibt für jeden Tag die Differenz zum Vortag für die dem RKI bekannt gewordenen Todesfälle an. Wie bei den positiven Virus-Nachweisen kommt es auch hier immer wieder im Rahmen der Qualitätssicherung zu Korrekturen, sodass die Differenz zum Vortag nicht immer exakt der Zahl der neu bekannt gewordenen Fälle entspricht.
Todesfälle in Deutschland, Änderung der Zahl der bekannten Todesfälle gegenüber Vortag
nach den Daten des RKI[6][43][41][Anm. 2][Anm. 4]
In Deutschland ging dem deutlichen Anstieg und Abfall der COVID-19-Todesfälle zwischen Ende März und Ende Juni 2020 ein analoger Anstieg und Abfall der SARS-CoV-2 Positivraten um 19 Tage voraus. Die Schätzung basiert auf den Statistiken von Our World in Data für den Zeitraum Dezember 2019 bis August 2020.[65]
Ende März 2020 war der in Deutschland im Vergleich zu anderen großen europäischen Staaten wie Italien, Spanien und Frankreich deutlich niedrigere Fall-Verstorbenen-Anteil Thema in den Medien, wofür unterschiedliche Ursachen vermutet wurden. Neben unterschiedlichen Dunkelziffern aufgrund unterschiedlich guter Testabdeckung könne dies auch mit dem geringeren Alter des durchschnittlichen Infizierten von anfänglich 46 bis 47 Jahren in Deutschland gegenüber beispielsweise 63 Jahren in Italien zusammenhängen,[66][67] was teilweise damit erklärt wird, dass sich in der Anfangsphase aus Deutschland besonders viele Menschen im Skiurlaub speziell in Ischgl[68][69] und bei Faschingspartys[70] angesteckt hätten.[66] Der Virologe Christian Drosten erklärte die niedrige Sterblichkeitsquote (also das Verhältnis der Zahl der Verstorbenen zur Zahl der Infizierten) vor allem mit der hohen Testabdeckung in Deutschland, wo durch das Testen des Umfeldes von Infizierten viele leichte Fälle (vorwiegend junge Menschen) mit in die Statistik gelang(t)en.[71] Auch die Anzahl der Intensivbetten in den jeweiligen Ländern ist als Grund genannt worden. So hatte Italien vor der Pandemie 5.000 Betten, das Vereinigte Königreich 4.100 und Deutschland zunächst 28.000 Intensivbetten.[72]
Seit dem 30. April 2020 gibt das Statistische Bundesamt einen Sonderbericht zu den Sterbefällen in Deutschland heraus, in dem die vorläufigen gesamtgesellschaftlichen Sterbefallzahlen des Jahres 2020 mit denen der Vorjahre 2016 bis 2019 verglichen werden können. Für das Jahr 2020 werden dazu Rohdaten verwendet, die noch nicht plausibilisiert sind. Diese Sonderauswertung liefert nach Angaben des Herausgebers Daten zur Einordnung einer zeitweisen Übersterblichkeit im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.[73] Für das Jahr 2019 liegen seit Oktober 2020 endgültige Daten vor.[74] Die wöchentlichen Zahlen für das Jahr 2020 werden jeweils nach Ablauf von 4 Wochen veröffentlicht. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass nach 4 Wochen erfahrungsgemäß 97 % aller tatsächlichen Sterbefälle erfasst werden können.[73]
Sterbefallzahlen sind eine wichtige Quelle, um den Verlauf der Pandemie in unterschiedlichen Ländern miteinander vergleichen zu können, weil sich Sterbefallzahlen ohne Berücksichtigung von Todesursachen konsistent, objektiv und vergleichbar erheben lassen. Das erfolgt für eine Reihe von europäischen Ländern durch die Initiative European mortality monitoring (Euromomo),[75] an der sich seit April 2021 auch Deutschland beteiligt.[76] Bei Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 beeinträchtigen dagegen unterschiedliche Teststrategien und Zählweisen die Vergleichbarkeit stark.[73]
Laut Statistischem Bundesamt lagen im April 2020 die Sterbefallzahlen deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre. Gleichzeitig war ein Anstieg der Todesfälle zu beobachten, die mit dem Coronavirus in Zusammenhang stehen. Als diese zurückgingen, bewegten sich ab Anfang Mai auch die Sterbefallzahlen zunächst wieder etwa im Durchschnitt. Den steilen Anstieg im August führt das Statistische Bundesamt auf eine Hitzeperiode zurück, die leichte Übersterblichkeit im September, als nur sehr wenige COVID-Todesfälle gezählt wurden, muss mit der im Vergleich zu den Vorjahren geänderten Altersstruktur erklärt werden.
Von der zweiten Oktoberhälfte 2020 an wuchsen die Sterbefallzahlen erneut überdurchschnittlich, mit einem Höchststand kurz vor dem Jahreswechsel. Die Übersterblichkeit trat räumlich, zeitlich und in genau den Altersgruppen auf, in denen eine hohe Anzahl von COVID-19-Todesfällen zu beobachten war. Das spricht für einen direkten Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie.[73][77][78] Die natürliche Alterung der Bevölkerung ließ zwar, so eine Studie des Münchner ifo-Instituts, eine erhöhte Sterblichkeit im Jahr 2020 gegenüber den Vorjahren erwarten, da der Bevölkerungsanteil der Über-80-Jährigen zwischen 2016 und 2020 von 5,9 % auf 7,0 % gestiegen ist. Das könne aber nur einen Teil der Übersterblichkeit erklären. Auffällig sei, so die Studie, dass die in der ersten und zweiten COVID-19-Welle zu beobachtende Übersterblichkeit vor allem in der höchsten Altersgruppe (80+) festzustellen ist. „Offenbar ist es nicht gelungen, diese Gruppe besonders anfälliger Menschen in ausreichendem Umfang zu schützen.“[79]
Von Mitte Februar 2021 bis Mitte April lagen die geschätzten wöchentlichen Sterbefälle zeitweise deutlich unter dem Durchschnitt der Vorjahre;[80][81] und im Vergleich zu den Vorjahren fiel die „Grippesaison“ 2020/21 bislang praktisch aus.[82] Die seit Mitte Februar 2021 dennoch Woche für Woche gezählten COVID-19-Todesfälle, das heißt, die mit oder an COVID-19 gestorbenen, erscheinen deshalb als Teil der in Deutschland auch ohne Pandemie zu erwartenden Sterblichkeit.
Wöchentliche Sterbefallzahlen in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts[80]
Seit dem 30. März publiziert das Robert Koch-Institut Schätzzahlen zu den Genesenen. Seit dem 12. Dezember werden außerdem die aktiven Fälle im Situationsbericht geschätzt. Beide Zahlen werden ausgehend von der Zahl der zuvor als infiziert erfassten Personen geschätzt.[83][16]
Laut Robert Koch-Institut liegt ein genaues Datum der Genesung für die meisten Fälle nicht vor und die Erhebung des Datums ist auch nicht gesetzlich vorgesehen. Daher schätzt das RKI die Anzahl der Genesenen mit einem Algorithmus.[84][85] Bei der Berechnung der Genesenen berücksichtigt das RKI, ob ein COVID-19-Fall verstorben ist und ob Informationen zur Hospitalisierung vorliegen. Personen, bei denen das nicht der Fall ist, gelten für die Statistik nach Ablauf fester Zeitintervalle als genesen. Das RKI geht bei der Berechnung von Durchschnittswerten in der Behandlung aus. Es handelt sich also um eine grobe Schätzung. Längere und kürzere Krankheitsverläufe in Einzelfällen bleiben ebenso unberücksichtigt wie Spätfolgen.[6][85]
Die aktiven Fälle ergeben sich aus der Zahl der übermittelten Fälle abzüglich der Todesfälle und der geschätzten Zahl der Genesenen.[16] Da sowohl die Schätzung der Genesenen wie die Schätzung der aktiven Fälle auf den gemeldeten Infektionen beruhen, ist die Dunkelziffer nicht berücksichtigt.
Nach Angaben des RKI mit Datenstand 13. Juni 2021 schätzt dieses 3.576.800 Personen als genesen. In der nachfolgenden Grafik entspricht die Höhe der gesamten Fläche den gemeldeten Fällen bis zum jeweiligen Tag. Die aktiven Fälle ergeben sich durch Abziehen der Zahl der Genesenen und Verstorbenen zum gleichen Tag.
Verstorbene, Genesene, Aktive (=Differenz zur Gesamtzahl der Infektionen in Deutschland)
gestapeltes Flächendiagramm nach Daten des RKI[86][Anm. 6]
Genesene: nach Schätzung des RKI; aktive Fälle: aus erfassten Infektionen, Verstorbenen, Schätzung d. Genesenen
Im Rahmen der Modellierung und Vorausberechnung des Verlaufs der Pandemie schätzt das RKI die Nettoreproduktionszahl R. Die Reproduktionszahl beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt.[87] Ausgangspunkt der Schätzung ist die Zahl der von den Gesundheitsämtern erfassten und ans RKI gemeldeten Neuerkrankungen pro Tag. Darauf aufbauend schätzt das RKI die Anzahl der tatsächlichen Erkrankungsfälle (unter Berücksichtigung des Diagnose-, Melde- und Übermittlungsverzugs). Die mittlere Dauer von einer Infektion bis zur Ansteckung der nächsten Person schätzt das RKI auf 4 Tage. Der R-Wert beschreibt, wie sich die geschätzten neuen Erkrankungsfälle im Vergleich zum Stand 4 Tage zuvor entwickelt haben. Bspw. schätzt das RKI die mittlere Anzahl der Erkrankungen für den 6. März 2020 und die drei vorhergehenden Tage auf 511, die entsprechende Anzahl für den 2. März auf 227. Daraus ergibt sich für den 6. März ein R-Wert von 511 / 227 = 2,25.[88]
Das Datum des R-Werts entspricht dem Erkrankungsbeginn der Fälle. Das zugehörige Infektionsgeschehen liegt eine Inkubationszeit von im Mittel 5 Tagen zurück. Für die letzten 3 Tage veröffentlicht das RKI wegen des unsicheren Datenstands überhaupt keinen R-Wert. Also veröffentlichte das RKI am 28. Mai 2020 den R-Wert für die am 24. Mai ausgebrochenen Erkrankungen.[89] Bei einer Inkubationszeit von 5 Tagen entspricht das den Infektionen vom 19. Mai. Insgesamt bildet damit der R-Wert, der heute berichtet wird, das Infektionsgeschehen vor etwa einer bis zwei Wochen ab. Seit dem 14. Mai berechnet das RKI zusätzlich eine glättende „7-Tage-Reproduktionszahl“. Der 7-Tage-R-Wert bildet Trends zuverlässiger ab, reagiert aber langsamer auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Der 7-Tage-R-Wert bildet somit das Infektionsgeschehen vor etwa einer bis etwas mehr als zwei Wochen ab.[90]
Besonders die aktuellen Werte sind mit einer erheblichen statistischen Unsicherheit behaftet.[91][92] Dementsprechend korrigiert das RKI die ursprünglich gemeldeten Werte für einzelne Tage regelmäßig nachträglich, wenn sich die Datenlage verbessert hat.[88] Am 9. Mai 2020 meldete das RKI bspw., dass die Reproduktionszahl (für den 5. Mai) wieder den kritischen Wert von 1 überschritten habe. Das stieß in den Medien auf erhebliche Aufmerksamkeit.[93][94] Ende Mai schätzte das RKI den R-Wert für den 5. Mai auf Basis verbesserter Daten nur noch auf 0,91.[95]
Für die tabellarische Darstellung der geschätzten Nettoreproduktionszahl siehe: COVID-19-Pandemie in Deutschland/Statistik #Reproduktionszahl.
Der Begriff Dunkelziffer steht für die Untererfassung, also die Differenz zwischen den erfassten und den tatsächlichen Infektionsfällen.[96] Zu Beginn der COVID-19-Pandemie in Deutschland schätzen Experten wie der Präsident des Robert Koch-Instituts Lothar H. Wieler und der Epidemiologe Alexander S. Kekulé die Höhe der Dunkelziffer unterschiedlich ein.[97][98] Schon früh wiesen internationale wissenschaftliche Studien darauf hin, dass etwa die Hälfte oder mehr der Infektionen symptomlos verläuft.[99]
Im Rahmen von Antikörperstudien kann der Anteil der Personen geschätzt werden, die tatsächlich eine Infektion durchgemacht haben, inklusive nicht erkannter Infektionen. Auch Antikörperstudien könnten den Anteil der Infektionen allerdings unterschätzen, weil nicht alle Menschen nach einer Infektion nachweisbare Antikörper haben.[100][101] Eine Übersichtsarbeit aus dem Dezember kommt zum Ergebnis, dass sich im Frühjahr und Frühsommer 2020 zwar in einigen Hotspots in Deutschland ein Anteil von bis zu 16 % der Erwachsenen mit SARS-CoV-2 infiziert hat, jedoch außerhalb von umschriebenen Hotspots der Anteil von Personen mit Antikörpern (Seroprävalenz) noch sehr viel niedriger ist. In einer Reihe von Studien mit Zufallsstichproben aus der Bevölkerung wie der COVID-19 Case-Cluster-Study lag der Untererfassungsfaktor mehrheitlich zwischen 4 und 6. Anonymisierte Untersuchungen von Blutspenden in 28 Regionen in Deutschland zeigen insgesamt niedrige Seroprävalenzen zwischen 0,3 % und 1,4 % sowie erhebliche regionale Unterschiede.[101]
Eine vorveröffentlichte Antikörperstudie erfasste die Infektionsausbreitung in fünf deutschen Städten Mitte und Ende 2020. Es zeigte sich eine Untererfassung der Infektionen um den Faktor 2,2 bis 5,1.[102]
Die Dunkelziffer ist keine fixe Größe. Sie schwankt und hängt von der Teststrategie und dem Verhalten der Infizierten ab.[103][13]
Neben den in diesem Kapitel dargestellten Statistiken stehen eine Vielzahl von weiteren Daten zur Einschätzung der Pandemie zur Verfügung.
→ Für eine Darstellung der Testkapazitäten, der durchgeführten Tests und Anteil positiver Ergebnisse siehe COVID-19-Pandemie in Deutschland/Testung.
Die für die Surveillance von SARS-CoV-2 erweiterte Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) am Robert Koch-Institut sowie das Nationale Referenzzentrum für Influenza (NRZ) im Robert Koch-Institut veröffentlichen im Rahmen der epidemiologischen Überwachung Statistiken zu Vorkommen von SARS-CoV-2.
→ Für die Fälle pro Tag nach Bundesländern siehe COVID-19-Pandemie in Deutschland/Statistik #Fälle pro Tag nach Bundesländern.
Ende Mai 2021 erklärte die Bundesforschungsministerin Anja Karliczek, es seien bisher etwa 3,5 Millionen Menschen in Deutschland infiziert worden und schätzungsweise 350.000 Menschen weise sechs Wochen bis zehn Monate später noch nennenswerte Symptome auf („Long COVID“).[104]
In Deutschland traten Ende Januar 2020 erste einzelne Erkrankungsfälle in Bayern auf. Diese Fälle konnten erfolgreich isoliert werden, so dass zunächst keine weitere Ausbreitung stattfand. Während des Karnevals Ende Februar 2020 wurden im Kreis Heinsberg (Nordrhein-Westfalen) sowie im Landkreis Göppingen (Baden-Württemberg) neue Infektionen festgestellt. In den folgenden Wochen breitete sich das Coronavirus SARS-CoV-2 bis Ende März über ganz Deutschland aus.
Während der zwischenzeitlich eingeführten Kontaktbeschränkungen fiel die Zahl der neu bekannten Infektionsfälle ab Mitte April 2020 deutlich und lag zeitweise auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Mitte Juni wurde diese Entwicklung vorübergehend durch eine Reihe von lokalen Ausbrüchen unterbrochen, insbesondere durch den Ausbruch im Tönnies-Stammwerk mit über 1500 Infizierten. Im Verlauf des Oktobers 2020 stiegen die Infektionszahlen erneut flächendeckend an, teils kamen dadurch die Gesundheitsämter mit der Kontaktnachverfolgung an ihre Kapazitätsgrenze. Im November stiegen die Infektionszahlen auf teilweise über 20.000 Neuinfektionen pro Tag. Am 27. November 2020 wurde in Deutschland die Marke von einer Million Infektionen überschritten.[105] Am 15. Januar 2021 erreichte die Gesamtzahl der mit dem Coronavirus Infizierten die Marke von zwei Millionen.[106] Während des „Lockdown“ gingen die Fallzahlen dann wieder zurück; ab Mitte Februar stagnierte der Rückgang jedoch.[107]
Bei einigen der neuen Varianten des Virus wie z. B. der britischen Mutation B.1.1.7 hat sich ergeben, dass sie leichter übertragen werden können, und es wird auch befürchtet, dass die Erkrankung schwerwiegender verläuft. Seit Dezember 2020 wurden auch in Deutschland Infektionen mit diesen Virusvarianten festgestellt.[108] Der Anteil der Mutationen nahm im Februar 2021 schnell zu,[109] so dass bei Fortbestand der bisherigen Umweltbedingungen und Übertragungswege wieder eine Phase exponentieller Zunahme („dritte Corona-Welle“) befürchtet wurde.[110][111] In den folgenden Wochen stieg die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz wieder regelmäßig über 100; am 12. April 2021 überschritt die Gesamtzahl der mit dem Virus Infizierten die Marke von drei Millionen.[112] Ende April wurde ein Höchstwert der 7-Tage-Inzidenz in der „dritten Corona-Welle“ erreicht, der Wert lag mehrere Tage über 160.
Im Mai 2021 sanken die Fallzahlen, sodass die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz ab dem 14. Mai wieder unter dem Wert von 100 lag. Am 26. Mai 2021 lag dieser Wert erstmals seit dem 20. Oktober 2020 wieder unter 50.[113] Am 30. Mai verzeichneten zum ersten Mal in diesem Jahr alle Bundesländer eine Inzidenz von unter 50.[114] Am 8. Juni 2021 mussten erstmals im Jahr 2021 in Deutschland zwei Landkreise, und zwar die niedersächsischen Landkreise Friesland und Goslar, dem Robert Koch-Institut sieben Tage hintereinander keine Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 melden. Zuletzt hatten beide Landkreise im August 2020 eine Inzidenz von 0.[115]
Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen in Deutschland leisteten und leisten wesentliche Beiträge zur Erforschung des Virus SARS-CoV-2 und zum Verständnis und zur Behandlung der Krankheit COVID-19. Forschungen, die das Virus SARS-CoV-2, die Krankheit COVID-19 und die Impfstoffentwicklung betreffen, sind in den entsprechenden Artikeln zu finden. Dieser Abschnitt stellt die Forschung zur Entwicklung und zur Eindämmung der Pandemie in Deutschland dar.
Zwischen Januar und März 2020 änderten sich die Einschätzungen der Gefahrenlage mehrfach. Das Robert Koch-Institut bewertete das Risiko für die Bevölkerung in Deutschland am 28. Februar 2020 als „gering bis mäßig“,[116] seit dem 17. März als „hoch“[117] und für Risikogruppen seit dem 26. März als „sehr hoch“.[15] Während es im März 2020 noch erhebliche Unklarheiten über die Gefährlichkeit und Verbreitungsgeschwindigkeit der Pandemie gab, hat sich der Wissenstand seitdem schrittweise verbessert – ohne dass damit alle Fragen abschließend geklärt wären.[118][119]
Es handelt sich weltweit, in Europa und in Deutschland um eine ernst zu nehmende Situation. Insgesamt nimmt die Anzahl der Fälle weltweit ab, die Fallzahlen entwickeln sich aber von Staat zu Staat unterschiedlich: Manche Staaten erleben nach vorübergehendem Rückgang einen dritten bzw. vierten Anstieg der Fallzahlen, in anderen Staaten gehen die Fallzahlen momentan zurück. In vielen Staaten wurde um die Jahreswende mit der Impfung der Bevölkerung begonnen. Meist wurden zunächst die höheren Altersgruppen geimpft, inzwischen werden vielerorts auch andere Gruppen miteinbezogen.
Ziel der Anstrengungen in Deutschland ist es, einen nachhaltigen Rückgang der Fallzahlen, insbesondere der schweren Erkrankungen und Todesfälle zu erreichen. Nur wenn die Zahl der neu Infizierten insgesamt deutlich sinkt und die Zahl der Geimpften steigt, können viele Menschen, nicht nur aus den Risikogruppen wie ältere Personen und Menschen mit Grunderkrankungen, zuverlässig vor schweren Krankheitsverläufen, intensivmedizinischer Behandlungsnotwendigkeit und Tod geschützt werden. Nach einem Anstieg der Fälle im 1. Quartal 2021 sind die 7-Tage-Inzidenzen und Fallzahlen im Bundesgebiet seit Ende April deutlich zurückgegangen. Der Rückgang betrifft alle Altersgruppen. Die COVID-19-Fallzahlen auf Intensivstationen stiegen seit Mitte März 2021 deutlich an, gehen aber seit Ende April wieder zurück. Schwere Erkrankungen an COVID-19, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, betreffen dabei zunehmend Menschen unter 60 Jahren. In den meisten Kreisen handelt es sich immer noch um ein diffuses Geschehen, sodass oft keine konkrete Infektionsquelle ermittelt werden kann und man von einer anhaltenden Zirkulation in der Bevölkerung (Community Transmission) ausgehen muss. Neben der Fallfindung und der Nachverfolgung der Kontaktpersonen sind daher die individuellen infektionshygienischen Schutzmaßnahmen weiterhin von herausragender Bedeutung (Kontaktreduktion, AHA + L und bei Krankheitssymptomen zuhause bleiben). Häufungen werden vor allem in Privathaushalten, in Kitas und Schulen sowie dem beruflichen Umfeld einschließlich der Kontakte unter der Belegschaft beobachtet. Die Zahl von COVID-19-bedingten Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern ist insbesondere aufgrund der fortschreitenden Durchimpfung deutlich zurückgegangen. Für die Senkung der Neuinfektionen, den Schutz der Risikogruppen und die Minimierung von schweren Erkrankungen ist die Impfung der Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Effektive und sichere Impfstoffe sind seit Ende 2020 zugelassen. Da sie noch nicht in ausreichenden Mengen für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen, werden die Impfdosen aktuell vorrangig den besonders gefährdeten und priorisierten Gruppen angeboten. Die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und erst wenige Therapieansätze haben sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen. Die Dynamik der Verbreitung einiger Varianten von SARS-CoV-2 (aktuell B.1.1.7, B.1.351, P1 und B.1.617) ist besorgniserregend. Diese besorgniserregenden Varianten (VOC) werden in unterschiedlichem Ausmaß auch in Deutschland nachgewiesen. Insgesamt ist die Variante B.1.1.7 inzwischen in Deutschland der vorherrschende COVID-19-Erreger. Aufgrund der vorliegenden Daten hinsichtlich einer erhöhten Übertragbarkeit der Varianten und potenziell schwererer Krankheitsverläufe kann dies zu einer schnellen Zunahme der Fallzahlen und der Verschlechterung der Lage beitragen. Alle Impfstoffe, die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen vor einer Erkrankung durch die in Deutschland hauptsächlich zirkulierende Variante B.1.1.7. Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt weiterhin als hoch ein. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern. |
Die COVID-19-Pandemie führte zu einer enormen Beschleunigung des wissenschaftlichen Publizierens und der Wissenschaftskommunikation. Zu Beginn standen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit zeitgleich vor der Herausforderung, schnell Wissen aufzubauen, einzuordnen aber auch schnell zu handeln und zu reagieren.[120] Die auch im Alltag übliche wissenschaftliche Politikberatung fand in dieser Situation große öffentliche Aufmerksamkeit. Neben der direkten Beratung der Regierungen durch einzelne Wissenschaftler und Forschungsinstitute veröffentlichten auch die großen Wissenschaftsinstitutionen wie die Nationale Akademie der Wissenschaften Empfehlungen und Positionspapiere zu aktuellen Fragen.[120][121] Gleichzeitig stellten Wissenschaftler wie Christian Drosten und Alexander S. Kekulé neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Podcasts der Öffentlichkeit vor.[122]
Insbesondere der Podcast von Christian Drosten wurde vielfach dafür gelobt, dass er auch die Unsicherheit von wissenschaftlichem Wissen transparent gemacht habe und zur Selbstkorrektur bereit gewesen sei.[120] Das Wissenschaftsbarometer stellte 2020 ein im Vergleich zu den Vorjahren höheres Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft fest.[123] Der Wissenschaftsrat kam im Januar 2021 zu der Einschätzung, politisch Verantwortliche hätten die Bereitschaft gezeigt, „deutlicher und sichtbarer als im Regelfall wissenschaftliche Erkenntnisse, Prognosen und Szenarien als zentrale Argumente in ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen“.[124] Gleichzeitig waren Teile der Bevölkerung ausgesprochen wissenschaftskritisch eingestellt. Protestbewegungen bauten ein „Gegenwissen“ auf, das sich aus einem fundamentalen Misstrauen gegen politische, wissenschaftliche und mediale Eliten sowie aus emotionalen Beweisführungen und konspirationistischen Unterstellungen speist.[125]
Siehe auch: #Umgang mit abweichenden Ansichten
Um Forschungsergebnisse schnell zur Verfügung zu stellen, werden seit Beginn der Pandemie sehr viele Publikationen auf sogenannten Preprint-Servern veröffentlicht. Auch Publikationen in Fachzeitschriften erfolgen zum Teil als Kommentar oder als Bericht, also ohne den sonst üblichen Weg der Begutachtung, da dieser typischerweise mehrere Monate dauert.[126] Viele Wissenschaftler wie der Direktor des Cochrane-Zentrums Deutschland, Jörg Meerpohl, sehen es als problematisch an, dass manche dieser Studien in den Medien oder auch von anderen Wissenschaftlern als entscheidende wissenschaftliche Erkenntnis eingestuft werden, obwohl die Unsicherheiten noch nicht ausreichend berücksichtigt sind.[127]
Zahlreiche wissenschaftliche Fachgesellschaften, Akademien und Beratungsgremien legten Gutachten und Empfehlungen zu verschiedenen Aspekten der Pandemie in Deutschland vor.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften veröffentlichte von März bis Dezember 2020 insgesamt sieben Stellungnahmen zum Umgang mit der Pandemie, die von der Politik als wichtige Entscheidungshilfen wahrgenommen wurden,[124] aber deshalb und aufgrund ihrer mangelnden wissenschaftlichen Sorgfalt vehement kritisiert worden sind.[17][18]
Bereits Ende März und Anfang April 2020 wiesen zahlreiche Wissenschaftler darauf hin, dass die alleinige Betrachtung der Fallzahlen zur Einschätzung der Pandemie nicht ausreicht. Dazu gehörten das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin ebenso wie Statistikexperten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen.[128][129] Sie forderten, wie am 13. April 2020 auch die Nationale Akademie der Wissenschaften, die symptomgeleiteten Tests durch Zufallsstichproben der Gesamtbevölkerung zu ergänzen, weil nur so das gesamte Infektionsgeschehen inklusive der Dunkelziffer eingeschätzt werden könne.[130] Seit April 2020 wurden zahlreiche Studien eingeleitet, die das Vorhandensein von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 in verschiedenen Bevölkerungsgruppen untersuchen („seroepidemiologische Studien“).[131] Seroepidemiologische Studien zeigen, wie viele Personen eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und erlauben es damit, im Nachhinein die Verbreitung von COVID-19 in der Bevölkerung inklusive der Dunkelziffer abzuschätzen. Sie liefern allerdings keine tagesaktuellen Fallzahlen.[101]
→ Zu Ergebnissen der Studien siehe Dunkelziffer
Zur besseren Überwachung von Virus-Mutationen fördert das Bundesgesundheitsministerium seit Januar 2021 die verstärkte Genomsequenzierung von Viren.[132] Das Robert Koch-Institut baut derzeit einen „Deutsche Elektronischer Sequenzdaten-Hub (DESH)“ zur systematischen elektronischen Sammlung und Auswertung der Daten auf.[133]
Zahlreiche Forschungsprojekte sammeln Daten, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und ihrer Bekämpfung auf die Gesellschaft empirisch zu erfassen. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten zählt über 200 solcher Projekte.[134] Dazu gehören das Projekt COSMO (COVID-19-Snapshot-Monitioring), das seit März 2020 mit Umfragen die subjektive Wahrnehmung des Infektionsgeschehens durch die Bevölkerung in Deutschland untersucht.[135] In der Studie SOEP-CoV untersuchen Forschende der Universität Bielefeld und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung soziale Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland auf Basis des Sozioökonomischen Panels.[136] Zahlreiche weitere Studien befassen sich mit der Erhebung und Auswertung von Daten zu besonderen Aspekten wie etwa den Auswirkungen auf Familien.[137] Das Statistische Bundesamt hat im März 2021 den Datenreport 2021 veröffentlicht. Er enthält ein eigenes Kapitel Auswirkungen der Coronapandemie.[138]
Das infas-Institut hat (im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie) zusammen mit anderen Forschungseinrichtungen eine Corona-Datenplattform eingerichtet. Sie soll fortlaufend alle regional verordneten Maßnahmen der Bundesländer und ihrer Landkreise kodieren und weitere Daten zur epidemiologischen und ökonomischen Situation seit Beginn der Pandemie in Deutschland so bereitstellen, dass Wissenschaft und Forschung sie auswerten können.[139]
Eine wesentliche Grundlage für die Einschätzung der Lage und der Handlungsoptionen sind mathematische Modellierungen.[140][141][129] Epidemiologische Prognosemodelle, etwa auf Basis des SEIR-Modells, wurden seit Beginn der Pandemie auf Basis von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu SARS-CoV-2 und COVID-19 laufend angepasst und verbessert. Mithilfe der Modellierungen werden Prognosen zur Ausbreitung der Pandemie und der damit verbundenen Auslastung des Gesundheitssystems erstellt. Sie dienen auch zur nachträglichen Bewertung der Wirksamkeit politischer Maßnahmen und zur Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen.[142] [143][144][145]
Die Ergebnisse von Modellierungsstudien sind abhängig von Annahmen über Paramenter, die sich nicht mit vollständiger Genauigkeit bestimmen lassen. Sie müssen deshalb mit einer gewissen Vorsicht interpretiert werden.[146] Schon Ende März 2020 rieten Statistiker verschiedener deutscher Forschungsinstitute und Hochschulen dazu, „sich beim Fahren auf Sicht durch die skizzierten Modellrechnungen leiten, sich von Einzelinformationen jedoch nicht zu sehr beeindrucken zu lassen“.[129]
In welchem Maße die verordneten „nicht-pharmazeutischen Maßnahmen“ in Deutschland zur Eindämmung der Pandemie im Frühjahr 2020 beigetragen haben, wurde und wird in der Wissenschaft kontrovers beurteilt. Zunächst wurden vor allem zwei prominent veröffentlichte Studien breit rezipiert: Eine am 15. Mai 2020 in der Zeitschrift Science veröffentlichte Modellstudie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation untersuchte den Zusammenhang zwischen den politischen Maßnahmen in Deutschland und Wendepunkten in der Wachstumsrate der Infektionen. Danach hätten erst die am 9., am 16. und am 23. März 2020 eingeführten allgemeinen Kontaktbeschränkungen in ihrer Summe zu sinkenden Infektionszahlen geführt.[147] Eine am 8. Juni 2020 in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern des Imperial College London verglich die Situation in Deutschland mit der in anderen Ländern und führte die vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen in Deutschland auf die früh ergriffenen Maßnahmen zurück.[13] Allerdings verwendeten beide Studien die Meldedaten positiver Virus-Nachweise, um den zeitlichen Verlauf der Infektionen zu beschreiben. Spätere Studien legten die RKI-Daten zu Erkrankungen mit bekanntem Symptombeginn zu Grunde und kamen unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Inkubationszeit zu dem Schluss, dass der entscheidende Rückgang der Reproduktionszahl bereits um den 10. März 2020, also nach der Absage von Großveranstaltungen, aber vor den allgemeinen Lockdown-Maßnahmen erfolgt sei.[148][149]
Die Aussagen über die Wirksamkeit der Maßnahmen blieben schon im Frühjahr 2020 nicht unumstritten. Der Medizinstatistiker Gerd Antes erklärte am 16. Juni 2020 im Deutschlandfunk, der Lockdown im März sei zwar als reine Vorsichtsmaßnahme richtig gewesen, aber „sicherlich evidenzfrei“ beschlossen worden. Die Chance für eine systematische Begleitforschung sei allerdings verpasst worden, so dass man beim Wissen über die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen „ganz, ganz schlecht“ dastehe.[150] Der Virologe Hendrik Streeck schreibt: „Um die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen getrennt beurteilen zu können, sind wir zu schnell in den Lockdown gegangen.“[151] Der Wirtschaftsgeograph Thomas Wieland analysierte in einem Artikel in Safety Science, einer Fachzeitschrift für Arbeitsplatzsicherheit, RKI-Daten des Erkrankungsbeginns zwischen 15. Februar und 31. Mai 2020, mit denen sich der für einen Einfluss von Maßnahmen entscheidende Infektionszeitpunkt genauer schätzen lasse als mit Meldedaten, die von der oben genannten Science-Studie[147] verwendet wurden. Er folgert, dass der Rückgang des Infektionsgeschehens Anfang März „relativ geringfügigen Interventionen und freiwilligen Verhaltensänderungen“ zugeschrieben werden kann. Weder konnten mit seinem Ansatz Wirkungen späterer Maßnahmen klar erkannt werden, noch führten Liberalisierungen der Regierungsmaßnahmen vom 20. April zu einer Wiederzunahme der Infektionen.[148]
Simulations- sowie statistische Studien zur Wirksamkeit der Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie in Deutschland und weltweit werden im Artikel Massenquarantäne ausführlich dargestellt.
Grundlage der politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ist der Nationale Pandemieplan für Deutschland vom März 2017 mit seiner Ergänzung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vom März 2020 und der Strategie-Ergänzung vom 23. Oktober 2020.[152][153][154] Übergeordnetes Ziel der Pandemieplanungen ist, „die Ausbreitung und die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie zu minimieren, während das gesamtgesellschaftliche und wirtschaftliche Leben (inklusive Bildungseinrichtungen) in Deutschland möglichst wenig beeinträchtigt wird.“[154]
Im Laufe der Pandemie setzten Bund und Länder verschiedene konkrete Ziele. Am 22. März 2020 beschlossen Bund und Länder Kontaktbeschränkungen mit dem Ziel, einen unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen zu verhindern und das Gesundheitssystem leistungsfähig zu halten.[22] Am 10. Februar 2021 setzten sie sich das Ziel, durch eine zügige Impfung der Bevölkerung das Virus langfristig wirksam zu bekämpfen. Damit solle eine Normalisierung des Alltags und die Rückkehr zu einem Leben ohne pandemiebedingte Einschränkungen möglich werden.[155] Ziele und Strategie der Pandemiebekämpfung sind seit Beginn der Pandemie Gegenstand von Debatten und Kontroversen.
Der Infektionsschutz ist in Deutschland eine geteilte Kompetenz von Bund und Ländern. Das deutsche Infektionsschutzgesetz regelt diesbezüglich die Aufgaben und Zusammenarbeit von Bund, Länder, Kommunen, Gesundheitswesen und anderen Beteiligten bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen. Während der Bund hierbei die Rahmenbedingungen festlegt, sind größtenteils die Länder mit der Umsetzung und konkreten Ausgestaltung betraut. Wenn es erforderlich ist, können dafür auch wichtige Grundrechte wie Freiheit der Person und Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden.[156] Zudem hat auch die Europäische Union (trotz weniger Kompetenzen im Gesundheitsbereich) einige koordinative Aufgaben übernommen. Konkret gestaltet sich die Aufgabenverteilung folgendermaßen:
Am 25. März 2020 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, welches insbesondere das Infektionsschutzgesetz ergänzt, und stellte unmittelbar anschließend fest, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite bestehe.[157] Damit erhielt die Bundesregierung für ein Jahr zusätzliche Kompetenzen zur Bewältigung der Krise, bspw. bei der Beschaffung von Arzneimitteln und Medizinprodukten und bei Grenzkontrollen.[158] Mit dem „Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“[159] beschloss der Bundestag am 18. November 2020 unter anderem eine Anpassung des Infektionsschutzgesetzes. Anders als zuvor wird nun im Infektionsschutzgesetz ausdrücklich bestimmt, welche Maßnahmen zum Infektionsschutz gegen COVID-19 möglich sind: etwa Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen, Schließungen von Einzelhändlern oder Untersagung von Sportveranstaltungen. Die Maßnahmen werden an die Infektionszahlen gebunden, bspw. den Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen innerhalb eines Landkreises. Gleichzeitig mit der Verabschiedung des Gesetzes bestätigte der Bundestag, dass weiterhin eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ vorliege.[21][160]
Die Bundesregierung hat zur Abstimmung von Maßnahmen und Vorbereitung von Entscheidungen eine Reihe von Gremien und Kabinettsausschüssen wie das kleine Corona-Kabinett und das große Corona-Kabinett eingerichtet:[161]
Tagt jeden Montag und bereitet die Beschlüsse vor. Daran nehmen teil:
AA − Heiko Maas
Tagt jeden Donnerstag, nach der regulären Kabinettssitzung am Mittwoch, und besteht aus allen Mitgliedern des kleinen Corona-Kabinetts plus im Einzelfall betroffenen Fachministern. Es findet ein wöchentlicher Lagebericht durch das RKI statt.
Nach jeder Corona-Kabinettssitzung tagt auch die Runde der beamteten Staatssekretäre unter Leitung des Bundeskanzleramts, in der alle dringlichen Corona-Themen angesprochen werden.
Daneben gibt es einen „Krisenstab“ aus Gesundheits- und Innenministerium und einen „Beschaffungsstab“ aus Gesundheits-, Außen- und Finanzministerium, die sich mit der Umsetzung der Beschlüsse befassen. Eine „Taskforce Testlogistik“ unter Leitung von Verkehrsminister Scheuer und Gesundheitsminister Spahn soll die Beschaffung von Schnelltests beschleunigen.[162]
Zahlreiche zentrale Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wurden bei informellen Telefonkonferenzen oder Treffen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder (sogenannten „Bund-Länder-Konferenzen“) diskutiert und gemeinsam beschlossen, um trotz der formellen Länderzuständigkeit eine Einheitlichkeit im Vorgehen zu bewahren. Zwischen dem 12. März 2020 und dem 17. Juni 2020 fanden insgesamt acht offizielle Treffen statt – unter normalen Umständen hätte eines stattgefunden. Bis zum Februar 2021 waren es siebzehn Treffen. Außerdem fanden regelmäßige Konferenzen der Leiter der jeweiligen Staatskanzleien und Gesundheitsminister statt, um Details der Maßnahmen abzustimmen.[163][164] Die Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse erfolgt durch die Bundes- und Landesregierungen. Die Landesregierungen ließen sich teils ausdrücklich die Möglichkeit zur Abweichung von bestimmten Regelungen zusichern.[165] Wiederholt wurde kritisiert, bestimmte Maßnahmen würden nicht ausreichend oder uneinheitlich umgesetzt.[166][167]
Rückkehr zu den bis 7. März geltenden Regeln (Notbremse) bei Ansteigen der 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen in einem Bundesland oder einer Region auf über 100. Weitere Öffnungsschritte sollen in mehreren Stufen abhängig von der Inzidenz vorgenommen werden.
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Datumd | Maßnahme |
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31.1.2020 | Meldepflicht. |
8.3.2020 | Empfehlung der Absage von Veranstaltungen mit >1000 Teilnehmern. |
17.3.2020 | Einreisestopp für Drittstaatler, „weltweite“ Reisewarnung, Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU, Schließung zahlreicher Geschäfte. |
22.3.2020 | Kontaktbeschränkungen. |
10.4.2020 | 14-tägige häusliche Quarantänepflicht für Rückkehrer aus dem Ausland. |
15.4.2020 | Bund-Länder Einigung: Kontakte bis mindestens 3. Mai beschränken, Schulen ab 4. Mai schrittweise öffnen, Geschäfte unter 800 m² ab 20. April (oder später) öffnen, keine Großveranstaltungen bis 31. August, Alltagsmasken dringend empfehlen.[173] |
22.–29.4.2020 | Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften.[174] |
6.5.2020 | Lockerungen für Geschäfte, Breiten- und Freizeitsport unter freiem Himmel, Besuche in Kliniken, Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen. Mindestabstand bleibt bestehen. Kontaktbeschränkungen bis 5. Juni verlängert, es dürfen sich aber Angehörige zweier Haushalte treffen. Bis zu einer Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche erhalten die Länder weitgehend die Verantwortung für weitere Lockerungen. In Schulen und Kindertagesstätten wird die Notbetreuung erweitert.[175] |
7. und 14.10.2020 | Bekräftigung und Präzisierung der „Hotspot-Strategie“. Einschränkungen sozialer Kontakte je nach Inzidenz im Landkreis.[176][25] |
28.10. und 25.11.2020 | „Lockdown light“: Erneute deutschlandweite Beschränkungen des öffentlichen Lebens und sozialer Kontakte.[26][177] |
13.12.2020, 11. und 25.1.2021 | „Harter Lockdown“ mit deutschlandweiten Beschränkungen |
d Datum: Beschlossen an oder gültig ab diesem Datum.
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Am 13. und 17. März beschlossen Bund und Länder eine Reihe von Maßnahmen, um das Gesundheitssystem auf die voraussichtlich steigenden Behandlungszahlen von COVID-19-Fällen vorzubereiten. Dazu gehörten die Verschiebung planbarer Operationen und ein Notfallplan für Krankenhäuser, mit dem die Intensivkapazitäten verdoppelt werden sollen.[178][179] Gleichzeitig wurden Quarantänemaßnahmen für Reisende aus dem Ausland und Reisebeschränkungen beschlossen.
Am 22. März 2020 einigten sich Bund und Länder auf eine umfassende „Beschränkung sozialer Kontakte“:[22] U.a. wurde ein Mindestabstand im öffentlichen Raum von mindestens 1,50 Metern eingeführt, und der Aufenthalt im öffentlichen Raum war nur allein oder mit einer weiteren Person außerhalb des eigenen Hausstands gestattet. Gastronomie und zahlreiche weitere Dienstleistungsbetriebe wurden geschlossen.[180]
Am 15. April und 6. Mai beschlossen die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder eine allmähliche Öffnung des öffentlichen Lebens. Geschäfte, Gastronomie und andere Dienstleistungsbetriebe und Kultureinrichtungen wie Museen konnten schrittweise wieder für ihr Publikum öffnen – unter Abstands- und Hygieneauflagen. Breiten- und Freizeitsport unter freiem Himmel wurden gestattet, in Schulen und Kindertagesstätten die Notbetreuung erweitert. Weiterhin sollte ein Mindestabstand von 1,5 Metern zueinander eingehalten werden, Kontaktbeschränkungen wurden bis zum 5. Juni verlängert. Großveranstaltungen blieben weiterhin verboten. Zusätzlich wurde eine Empfehlung zum Tragen von Alltagsmasken im ÖPNV und Einzelhandel ausgesprochen werden. Gleichzeitig sollten der Bewohner von Alten- und Pflegeheime ohne Isolation geschützt werden, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitsdienst und die Kapazität der Corona-Tests erhöht werden.[181][175][24]
Mit dem Beschluss vom 6. Mai 2020 erhielten die Länder weitgehend die Verantwortung für weitere Lockerungen. Gleichzeitig wurde am 6. Mai zum ersten Mal beschlossen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit besonders hoher Inzidenz schärfere Infektionsschutzmaßnahmen gelten sollten.[175] Diese sogenannte Hotspot-Strategie wurde anschließend in gemeinsamen Beschlüssen vom 7. und 14. Oktober 2020 ausgebaut und präzisiert.[25]
In zwei weiteren Videoschaltkonferenzen am 27. August 2020 und am 29. September 2020 beschlossen Bundeskanzlerin Merkel und die Regierungschefs der Länder eine Reihe von Anpassungen der Infektionsschutzmaßnahmen. Das betraf etwa die Teststrategie für Personen, die aus dem Ausland einreisen, zusätzliche Mittel für digitale Unterrichtsangebote und die Erweiterung der empfohlenen individuellen Hygienemaßnahmen durch regelmäßiges Lüften und die Nutzung der Corona-Warn-App.[182][30]
Nachdem die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina die geltenden Beschlüsse als nicht ausreichend kritisiert hatte,[34] einigten sich die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Bundesländer am 28. Oktober auf einen „Lockdown light“, der am 2. November in Kraft trat[26] und mit Beschluss vom 25. November noch weiter verschärft wurde.[177] Bürger wurden aufgefordert, soziale Kontakte auf ein absolutes Minimum zu reduzieren und der Aufenthalt in der Öffentlichkeit wurde auf kleine Gruppen beschränkt. Zahlreiche Einrichtungen wurden erneut geschlossen: Dazu gehörten Kultur-, Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe. Geöffnet blieben Schulen, Kindergärten und Groß- und Einzelhandelsbetriebe. Für die von Schließungen betroffenen Betriebe wurden zusätzliche wirtschaftliche Hilfen beschlossen. Die Pflicht zum Tragen einer Maske im öffentlichen Raum wurde weiter ausgedehnt.
Am 13. Dezember 2020 verabredeten die Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin aufgrund weiterhin hoher Infektionszahlen, dass mit Wirkung ab dem 16. Dezember 2020 bis zum 10. Januar 2021 die Infektionsschutzmaßnahmen weiter verschärft werden.[27][168][169]
Dazu gehören insbesondere Schließungen der meisten Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe. Kindertagesstätten und Schulen wurden geschlossen oder auf Distanzunterricht umgestellt. Betriebe sollten den Betrieb soweit möglich auf Homeoffice umstellen. Für Gebiete mit hohen Infektionszahlen wurden verschärfte Mobilitätsbeschränkungen beschlossen. Gleichzeitig wurden Entschädigungsregeln für Unternehmen und zusätzliche Ansprüche auf Kinderkrankengeld für Eltern, die Kinder zu Hause betreuen müssen. Reisen aus Risikogebieten im Ausland sollten strenger reguliert werden. Außerdem wurden weitere Infektionsschutzmaßnahmen festgelegt, so die Pflicht zum Tragen medizinischer Masken im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften und verstärkte Tests in Alten- und Pflegeheimen. Hintergrund der Maßnahmen waren anhaltend hohe Infektionszahlen, aber auch die Gefahr, dass neue Virus-Varianten zu „eine[r] schwerwiegende[n] Verschärfung der pandemischen Lage“ führen könnten.[169]
Am 3. März 2021 beschlossen Bund und Länder schrittweise Lockerungen abhängig von einer stabilen Inzidenz von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einem Land / einer Region. Gleichzeitig beschlossen sie, verstärkt Schnelltests zur Verfügung zu stellen.[170]
Seit dem 23. April 2021 gilt in Deutschland als Bundesgesetz das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Es herrschen dadurch seit dem 24. April 2021 in allen Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinander folgenden Tagen über 100 lag, unter anderem (meist strengere) Kontaktbeschränkungen (§ 28b Abs. 1 Nr. 1 IfSG). Zudem gibt es in diesen Landkreisen und kreisfreien Städten eine Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr (§ 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG). Gemäß § 28b Abs. 5 IfSG bleiben weitergehende Regelungen (z. B. der Länder wie in Bayern) unberührt.
§ 28c IfSG der Fassung nach dem Vierten Bevölkerungsschutzgesetz enthält eine Verordnungsermächtigung für besondere Regelungen für „Geimpfte, Getestete und vergleichbare Personen“. Darauf beruhend wurde am 4. Mai 2021 die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung[183] durch die Bundesregierung beschlossen.[184] Die Verordnung wurde am 8. Mai 2021 verkündet[185], so dass sie am 9. Mai 2021 in Kraft trat.
Die Kriterien für die Anpassung von Maßnahmen wechselten zu Beginn der Pandemie mehrfach. Zunächst hatte Anfang April 2020 die Erhöhung der Verdopplungszeiten Priorität, Lockerungen wurden von einer Verdoppelungszeit von deutlich über zehn Tagen abhängig gemacht. Ziel war, dass sich in gleichen Zeitabständen weniger Menschen infizierten und das Gesundheitssystem nicht von einer hohen Zahl von Erkrankungen überfordert wurde.[186][187] Nach ersten Lockerungen im Laufe des Aprils nannte das RKI als weitere Kriterien die Nettoreproduktionszahl „R“ und das Verhältnis von Genesenen und Erkrankten, die täglich gemeldeten Neuinfektionen, die Kapazitäten im Gesundheitssystem und die Testkapazitäten.[188][189]
Am 10. Februar 2021 beschlossen die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs von Bund und Ländern, sich bei Öffnungsschritten im Rahmen des zweiten Lockdowns an einer stabilen 7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den Ländern zu orientieren.[155]
7-Tage-Inzidenz | Eckpunkte für Maßnahmen |
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spätestens ab 35 |
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spätestens ab 50 |
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dauerhaft über 50 |
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über 200 |
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Am 6. Mai 2020 einigten sich Bund und Länder auf einen „Notfallmechanismus“, mit dem regional angepasst auf neue Ausbrüche reagiert werden sollte. Er sah vor, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen wieder ein konsequentes Beschränkungskonzept umgesetzt wird.[59] In mehreren Bundesländern wurde dieser Grenzwert später auf 30 bis 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen gesenkt.[60] Später wurde der „Notfallmechanismus“ als „Hotspot-Strategie“ bezeichnet und es wurden verschiedene konkrete Maßnahmen für "Hotspots" festgelegt.[176][25]
Für Informationen zur nationalen Teststrategie siehe COVID-19-Pandemie in Deutschland/Testung.
Im Januar 2020 schätzte die Bundesregierung die Pandemie noch nicht als extrem bedrohlich ein. Bis zum März 2020 passte sie ihre Einschätzung Schritt für Schritt an. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte Ende Januar nach dem ersten bestätigten Infektionsfall in Deutschland, dass Deutschland „gut vorbereitet“ sei.[190] Am 23. Januar gibt er an, „… der Verlauf hier, das Infektionsgeschehen ist sogar deutlich milder als wir es bei der Grippe sehen“.[191] Am 26. Februar 2020 erklärte er, Deutschland stehe „am Beginn einer Coronavirus-Epidemie“. Er forderte die Gesundheitsminister der Landesregierungen auf, ihre Pandemiepläne zu aktivieren und ihr mögliches Inkrafttreten vorzubereiten. Es habe sich gezeigt, dass die „Infektionsketten teilweise nicht nachvollziehbar sind“.[192]
Mitte März warnten verschiedene Politiker vor der Pandemie und riefen die Bevölkerung zu Vorsicht auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt am 18. März 2020 eine weithin beachtete Ansprache über die Situation in Deutschland im Rahmen der Pandemie an die Bevölkerung. Sie bezeichnete die COVID-19-Pandemie als größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Mangels eines Impfstoffs oder einer Therapie sei Richtschnur der Bundesregierung, „die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, sie über die Monate zu strecken und so Zeit zu gewinnen.“ Das Risiko der gegenseitigen Ansteckung müsse minimiert werden. Merkel kündigte keine konkreten Maßnahmen an, appellierte jedoch an die Bürger, unnötige Begegnungen zu vermeiden und sich an die Regeln zu halten.[193]
Mitte März bezeichnete das Bundesministerium für Gesundheit in einem Tweet bevorstehende massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens als „Fake News“ – wenige Tage vor der Einführung umfassender Kontaktbeschränkungen.[194] Verschiedene Medien kritisierten die Falschmeldung, unter anderem da sie „für Verunsicherung im Umgang mit echten Fake News“[194] sorge.
Jens Spahn erklärte am 17. April, man habe es „geschafft, das dynamische Wachstum zurückzubringen zu einem linearen Wachstum“. Seit dem 12. April seien zudem täglich mehr Menschen genesen, als es neue Infizierte gegeben habe. Die Todeszahlen hingegen seien – wie erwartet – weiter gestiegen.[195]
Als seit Juli 2020 die Infektionszahlen wieder stiegen, riefen Politiker wieder vermehrt zur Vorsicht auf. Am 13. Juli warnten Jens Spahn und RKI-Präsident Lothar Wieler vor einer zweiten Welle von Infektionen. Sie appellierten an die Bevölkerung, Abstands- und Hygieneregeln zu beachten und Alltagsmasken zu tragen.[196] Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am 15. Oktober 2020 angesichts der Beschlüsse der für den Gesundheitsschutz zuständigen Länder, dass die beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichten, um das Unheil abzuwenden,[197] und am 17. Oktober sprach sie in ihrem Podcast von einer „sehr ernsten Phase“ der Pandemie und appellierte an die Bürger, Kontakte und Reisen zu reduzieren.[198]
Infolge der Verbreitung von COVID-19 kam es zu einer starken Nachfrage nach Desinfektionsmitteln; das Angebot in den Apotheken und Drogeriemärkten tendierte rasch gegen null. Um diesem Mangel abzuhelfen, wurden am 4. März 2020 von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zunächst 2-Propanol-haltige Produkte in Eigenrezeptur zur Händedesinfektion zugelassen. Diese Verfügung erlaubte Apotheken und der Pharmaindustrie die Herstellung und Inverkehrbringung von selbstgemischten Händedesinfektionsmitteln.[199] Danach wurde allerdings auch das Grundprodukt 2-Propanol zunehmend knapp, weshalb am 13. März 2020 für die Abgabe an berufsmäßige Verwender auch die Herstellung von Handdesinfektionsmitteln auf Basis von 1-Propanol und Ethanol erlaubt wurde.[200][201][202] Schließlich wurde die Herstellung auf Basis von Ethanol mit Allgemeinverfügung vom 9. April 2020 auch für die Abgabe an Privatanwender erlaubt.[203]
Am 4. März 2020 beschloss der Krisenstab, dass die in Praxen, Kliniken und Gesundheitsbehörden benötigte Schutzausrüstung nunmehr über das Bundesgesundheitsministerium zentral beschafft werden solle.[204] Am selben Tag erließ das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine Anordnung, die die Ausfuhr von medizinischer Schutzausrüstung untersagte. Zu dieser Ausrüstung zählen neben Mund-Nasen-Schutz auch Schutzkittel und Schutzanzüge sowie Handschuhe. Mit Hilfe der Anordnung sollte eine lokale Unterversorgung vermieden bzw. nicht weiter verstärkt werden.[205] Nachdem am 15. März eine europäische Durchführungsverordnung zur Genehmigungspflicht für den Export von medizinischer Schutzausrüstung in Drittstaaten in Kraft getreten war, wurde die deutsche Anordnung aufgehoben.[206]
Am 13. März 2020 wurde der Einkauf von Schutzmaterial in Höhe von 163 Mio. Euro bekanntgegeben. Dies geschah unter Federführung des Beschaffungsamtes der Bundeswehr.[207] Den Beschaffungsämtern der Bundeswehr und des Innenministeriums gelang es bis Anfang April 2020 nicht, Schutzkleidung in ausreichender Menge zu beschaffen. Deshalb sollten nach einem Beschluss des „Corona-Kabinetts“ Unternehmen wie BASF und VW mit ihren Einkaufsabteilungen und Kontakten in Asien die Schutzkleidung und weitere Ausrüstung direkt im Ausland einkaufen und für die Bundesregierung auch den Transport nach Deutschland organisieren.[208] Am 7. April wurde gemeldet, Bundeskanzlerin Merkel habe in direkten Verhandlungen mit Chinas Staatspräsident Xi erreicht, dass Deutschland Schutzausrüstung aus dem Land erhält.[209]
Am 22. Mai 2020 berichtete die Tagesschau über Probleme bei der Verteilung der inzwischen beschafften Schutzmaterialien an Kliniken und Arztpraxen.[210] Im Juli erklärte das Bundesgesundheitsministerium, die Knappheit an Schutzausrüstung sei weitgehend überwunden. Der Bund habe seit Anfang März mehr als 2,7 Milliarden Masken und 539 Millionen Einmalhandschuhe beschafft. Von Mitte August an werde der Bedarf an Atemschutzmasken verstärkt aus deutscher Produktion gedeckt werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung bestätigten, dass Kliniken und niedergelassene Ärzte inzwischen besser mit Schutzausrüstung ausgestattet seien als zu Jahresbeginn.[211]
Anfang 2021 wurde bekannt, dass sowohl der CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein als auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel im Jahr 2020 direkt oder über beteiligte Firmen Provisionszahlungen von Maskenlieferanten erhalten hatten. Löbel erhielt die Provision für die Geschäfte zwischen einem baden-württembergischen Lieferanten und zwei Privatunternehmen in Heidelberg und Mannheim.[212][213][214] Nüßlein wird vorgeworfen, einen Hersteller für Corona-Masken an die Bundesregierung und die bayerische Landesregierung vermittelt zu haben. Dabei soll er eine sechsstellige Provision erhalten und diese nicht versteuert haben.[215] Mittlerweile werden auch der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann und der ehemalige bayerische Justizminister Alfred Sauter mit Maskengeschäften in Verbindung gebracht.
Die Koalition einigte sich am 8. März 2020, Hürden für die Kurzarbeit zu senken.[216] Am 14. März 2020 wurde mit der Verkündung des Gesetzes zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld[217] die Grundlage geschaffen. Durch Änderungen des § 109 SGB III und der §§ 11 und 11a AÜG ermächtigt es – zeitlich begrenzt – die Bundesregierung, ohne Zustimmung des Bundesrats Rechtsverordnungen zu erlassen, die die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld absenken dürfen.
Am 19. März 2020 wurden von der Bundesregierung 40 Milliarden Euro an Finanzhilfen für Kleinstbetriebe bekannt gegeben.[218] Zehn Milliarden Euro davon sind als direkte Zuschüsse an notleidende Einpersonengesellschaften, Freiberufler und Kleinstunternehmen als Einmalzahlung für drei Monate in Höhe von maximal 9.000 Euro vorgesehen – ergänzt mit Soforthilfen der Bundesländer –[219] der Rest als Darlehen zur Liquiditätssicherung.[218] Das Sozialschutz-Paket ist zwar kein bedingungsloses Grundeinkommen wie von zwei Petitionen gefordert „für eine Situation, die der Staat angeordnet hat“, doch wurde der Zugang zur Grundsicherung erleichtert und auf eine Vermögensprüfung verzichtet.[220]
Die Bundesregierung hat ab dem 23. März über eine zeitweise Außerkraftsetzung der Schuldenbremse beraten.[221] Am 25. März beschloss dann der Deutsche Bundestag einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2020, der die im Grundgesetz festgelegte Regelgrenze („Schwarze Null“) um etwa 100 Milliarden Euro überschreitet.[222]
Im Mai 2020 wurde unter Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zum einen eine Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes beschlossen, die es der Bundesregierung erleichtert, ausländische Akquisitionen deutscher Unternehmen zu verhindern, und zum anderen wurden ein Gesetz und ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds geschaffen, wodurch sich der Staat künftig an jedem Unternehmen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten beteiligen kann.[223] Am 29. Juni beschlossen Bundestag und Bundesrat das „Corona-Konjunkturprogramm“ der Bundesregierung und stimmten dem damit verbundenen zweiten Nachtragshaushalt für 2020 zu. Zu den Maßnahmen des insgesamt 24 Milliarden Euro umfassenden Pakets gehören insbesondere eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer bis zum Jahresende sowie eine Sonderzahlung von 300 Euro für jedes kindergeldberechtigte Kind.[224][225]
Im November 2020 beschloss die Bundesregierung Ausgleichszahlungen für Unternehmen und Selbständige, die von den coronabedingten Schließungen betroffen sind. Betroffene sollen Unterstützungszahlungen von bis zu 75 % des Umsatzes im Vergleichszeitraum im Vorjahr erhalten.[226]
Die Regierung kündigte im Januar 2021 an, die Kinderkrankentage für 2021 zu verdoppeln (pro gesetzlich krankenversichertem Elternteil 20 statt 10 Tage, bei Alleinerziehende 40 statt 20), die bei einer pandemiebedingten häuslichen Betreuung von Kindern, auch im Fall von Homeoffice, genutzt werden können.[227]
→ Zu Entscheidungen der Bundesregierung zu Grenzschließungen, Reisewarnungen und dem Rückholprogramm der Bundesregierung siehe Grenzüberschreitende Mobilität und Tourismus
Mit Wirkung zum 1. Februar 2020 wurde durch die Coronavirus-Meldepflichtverordnung für die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) die namentliche Meldepflicht eingeführt. Seit dem 23. Mai 2020 ist sie im Infektionsschutzgesetz gesetzlich verankert (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t IfSG).
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte am 15. März die Hilfe der Bundeswehr zu. Als Beispiel nannte sie den Aufruf an im Gesundheitswesen ausgebildete Reservisten, sich für den Einsatz in Bundeswehrkrankenhäusern zu melden.[228] Die Bundeswehr leiste zudem bereits Amtshilfe für das Bundesgesundheitsministerium.[229] Am 27. März wurde über einen eigentlich vertraulichen innerdeutschen Einsatzplan der Bundeswehr berichtet, die laut diesem Dokument für den Fall einer umfassenden Amtshilfe ab dem 3. April bereitstehe.[230]
Am 25. März 2020 änderte der Bundestag befristet bis September 2020 seine Geschäftsordnung dahingehend, dass für die Beschlussfähigkeit nicht mehr die Hälfte, sondern nur ein Viertel der Abgeordneten anwesend sein muss.[231]
Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder stärkten in ihren Beschlüssen vom 6. Mai 2020 und vom 26. Mai 2020 die Rolle der Landesregierungen bei der Bekämpfung der Pandemie.[232][233] Die Bundesländer sollen über die schrittweise Öffnung des öffentlichen Lebens in eigener Verantwortung entscheiden. Sie berücksichtigen dabei auch die regionale Entwicklung der COVID-19-Infektionszahlen.[234]
Die rechtlichen Regelungen aller Bundesländer finden sich in der Liste der infolge der COVID-19-Pandemie erlassenen deutschen Gesetze und Verordnungen. Die Gesamtsituation in den Bundesländern beschreiben die Artikel zu den jeweiligen Ländern:
Baden-Württemberg | Bayern | Berlin | Brandenburg | Bremen | Hamburg | Hessen | Mecklenburg-Vorpommern | Niedersachsen | Nordrhein-Westfalen | Rheinland-Pfalz | Saarland | Sachsen | Sachsen-Anhalt | Schleswig-Holstein | Thüringen
Über die gemeinsam beschlossenen Maßnahmen hinaus erließen Bayern, Berlin, Brandenburg, das Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt Ausgangsbeschränkungen, die das Verlassen der eigenen Wohnung oder das Betreten des öffentlichen Raumes grundsätzlich vom Vorliegen eines „triftigen“ Grundes abhängig machen. Die ersten dieser Ausgangsbeschränkungen in Sachsen und Berlin wurden zum 20. bzw. 22. April 2020 aufgehoben.[235][236] Die Ausgangsbeschränkung im Saarland, die das Verlassen der Wohnung „nur bei Vorliegen triftiger Gründe“ erlaubte, wurde am 28. April vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes mit sofortiger Wirkung aufgehoben,[237] siehe auch Juristische Beurteilung der Ausgangsbeschränkungen. Sachsen-Anhalt hob seine Ausgangsbeschränkung am 4. Mai auf.[238] Brandenburg hob zum 9. Mai jenen Teil der Verordnung auf, der für das Betreten öffentlicher Räume einen besonderen Grund verlangte.[239][240] In Bayern galt: „Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.“[241] Diese Bestimmung wurde nicht über den 10. Mai hinaus verlängert.[242] Im Oktober 2020 wurden in einigen Landkreisen in Bayern wegen steigender Infektionszahlen wieder Ausgangsbeschränkungen erlassen.[243] Zum Jahresende und in den ersten Monaten des Jahres 2021 wurden auch in den Städten und Landkreisen anderer Bundesländer wieder zeitweise Ausgangsbeschränkungen eingeführt.
Über die von allen Ländern angenommene „dringende Empfehlung“ vom 15. April 2020 zum Tragen von Alltagsmasken im ÖPNV und in Läden hinaus, beschlossen in der zweiten Aprilhälfte sukzessive alle Bundesländer eine Tragepflicht.[244] Die Maskenpflicht gilt generell im ÖPNV und in Geschäften; Schals werden als Masken akzeptiert. Einige Landkreise und Städte hatten bereits eine frühere Einführung beschlossen, neben Jena[245] etwa auch Potsdam und Braunschweig. Im Oktober 2020 beschlossen Bund und Länder, dass spätestens bei einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum dort gelten soll, wo Menschen dichter und/oder länger zusammenkommen.[25]
Als erstes Bundesland startete Bremen am 13. November 2020 die kostenlose Ausgabe von FFP2-Masken an Personen mit einem Lebensalter ab 65 Jahren; dabei führte die hohe Nachfrage dazu, dass die ersten 450.000 Exemplare schon innerhalb weniger Stunden vergriffen waren.[246]
Am 16. November 2020 beschlossen Bund und Länder die Ausgabe von 15 FFP2-Masken (eine pro Winterwoche) an Versicherte, die einer der besonders vulnerablen Gruppen angehören. Die Masken sollen „gegen eine geringe Eigenbeteiligung“ ausgegeben werden.[247] Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte am 30. November jedoch, dass sich die Ausgabe „weit bis in den Dezember hineinziehen“ werde.[248]
Nach der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung vom 14. Dezember 2020[249] erhielten Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben oder bei denen bestimmte Erkrankungen oder Risikofaktoren vorlagen, einen Anspruch auf insgesamt 15 Schutzmasken gegen Eigenbeteiligung.[250] Für die Abgabe der Masken erhielten die Apotheken außerdem eine Pauschale aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds.
Der Kreis der Berechtigten wurde mit Wirkung zum 6. Februar 2021 auf Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen oder mit einer solchen Person in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erweitert. Diese haben Anspruch auf einmalig zehn kostenlose Schutzmasken, auch wenn sie nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.[251][252]
Kommunen und Landkreise reagierten im März und April 2020 vielfach mit eigenständigen Beschlüssen auf die Pandemie und das lokale Infektionsgeschehen. So rief die Stadt Halle (Saale) am 17. März den Katastrophenfall aus.[253] Das Landratsamt Tirschenreuth verhängte am 18. März 2020 wegen der Pandemie für das Stadtgebiet Mitterteich die erste coronabedingte Ausgangssperre Deutschlands.[254] Ähnliche Ausgangsbeschränkungen wurden in den nächsten Tagen von einigen weiteren Städten und Gemeinden ausgesprochen, beispielsweise in Dresden[255] und Freiburg.[256] Diese wurden nach kurzer Zeit von den Verordnungen/Erlassen des jeweiligen Bundeslandes ersetzt. Die Stadt Jena kündigte am 30. März 2020 eine Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz-Masken im öffentlichen Nahverkehr und in Gebäuden mit Publikumsverkehr an und rief die Bevölkerung zum Nähen von Masken auf.[257] Einzelne weitere Kommunen folgten in den darauffolgenden Wochen, bevor in der zweiten Aprilhälfte die Landesregierungen deutschlandweit eine Maskenpflicht einführten.[258][259]
Ab Mai 2020 war im Rahmen der Hotspot-Strategie vorgesehen, dass Kommunen und Landkreise mit örtlich angepassten Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen reagieren.[260][261] Lokale Entscheidungen betrafen bspw. die Durchführung von öffentlichen Ereignissen[262] oder Regelungen für private Feiern.[263] Die Stadt Tübingen hatte im Rahmen des von Lisa Federle initiierten Tübinger Modells während der zweiten und dritten Infektionswelle ein vielversprechendes Konzept erprobt, indem durch Öffnungen und verpflichtende Schnelltests zugleich ein hoffnungsvoller Neubeginn gesellschaftlichen Lebens und eine effizientere Bekämpfung von COVID-19 möglich war. Das Modell ist wie viele andere vergleichbare Öffnungsstrategien durch das Inkrafttreten der Bundesnotbremse am 24. April 2021 abrupt beendet worden.
Für die Behandlung von COVID-19-Patienten stehen detaillierte Empfehlungen des Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger zur Verfügung.[264]
Am 26. Dezember 2020 haben die COVID-19-Impfungen in Deutschland begonnen. Seitdem erhielten 38.637.929 Personen die erste von zwei nötigen Impfungen (Erstimpfungsquote: 46,46 Prozent, Datenstand: 9. Juni 2021).[265] Am 14. Januar 2021 bekamen die ersten 115 Personen ihre zweite Impfdosis verabreicht;[266] insgesamt sind seitdem 18.925.419 Zweitimpfungen (vollständige Impfquote 22,76 Prozent) erfolgt.[265]
Am 15./16. März 2021 wurden national alle Verimpfungen mit AZD1222 (AstraZeneca) aufgrund unklarer Nebenwirkungen bzw. Todesfällen gestoppt.[267] Am 19. März 2021 wurden die Impfungen mit AZD1222 wieder aufgenommen.[268] Das Mittel sei laut der Europäischen Arzneimittelbehörde wirksam und sicher.[269]
Zahlreiche Experten wiesen Ende Februar und Anfang März 2020 darauf hin, dass es bei einer stärkeren Verbreitung von COVID-19 in der Bevölkerung zu Engpässen in der Intensiv- und Notfallmedizin kommen könne.[270][271] Seit März 2020 ergriffen Politik und die Akteure im Gesundheitssystem zahlreiche Maßnahmen, um die Behandlungskapazitäten zu erhöhen, die Kapazitäten der Gesundheitsämter zur Fallverfolgung zu steigern und die Testkapazitäten auszubauen.[272]
Bund und Länder beschlossen am 17. März 2020, die Anzahl der Intensivbetten in Deutschland kurzfristig zu verdoppeln.[179] Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) baute in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut und der Deutschen Krankenhausgesellschaft im März 2020 ein Online-Intensivregister auf, über das tagesaktuell bundesweit Abschnitt Hospitalisierte Personen und Bettenkapazitäten in der Intensivmedizin abgefragt werden können.[273][274][275]
Um zusätzliche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Erkrankten zu schaffen, wurden viele planbare Operationen (sogenannte Elektivmaßnahmen), abgesagt oder verschoben;[276][178] auch Patienten sagten verstärkt Behandlungen ab und Wartezimmer blieben leer. Der Rückgang an Behandlungen führte zu der paradoxen Situation, dass im März und April 2020 Meldungen über Praxen und Kliniken zunahmen, die Kurzarbeit für Ärzte und medizinisches Personal anmeldeten.[277][278] Ende April forderte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, ab Mai einen Teil der Krankenhauskapazitäten auch wieder für planbare Operationen zu nutzen und damit schrittweise in eine „neue Normalität im Klinikbetrieb“ zu kommen.[276] Im Mai 2020 legte die Nationale Akademie der Wissenschaften eine Empfehlung zur umfassenden Wiederaufnahme der allgemeinen medizinischen Versorgung vor.[28] Ende Juni 2020 erklärte die DKG, eine Rückkehr zur Regelversorgung wie vor Corona sei wegen Infektionsschutzmaßnahmen und Freihaltung von Kapazitäten für Corona-Patienten bis weit ins nächste Jahr hinein nicht möglich.[279]
Zur Steigerung der Personalkapazitäten wurden beispielsweise die Pflegepersonaluntergrenzen bis auf weiteres außer Kraft gesetzt,[280] Beamte aus anderen Behörden und Bundeswehrangehörige zur Unterstützung der Gesundheitsämter eingesetzt[281] und Medizinstudenten und Ärzte im Ruhestand aufgerufen sich in die Bekämpfung der Pandemie einzubringen.[282][283] Im September 2020 beschlossen Bund und Länder, bis 2022 mindestens 5000 neue und unbefristete Vollzeitstellen im Öffentlichen Gesundheitsdienst zu schaffen.[284]
Im Laufe des Jahres konnten die Testkapazitäten um ein Vielfaches erhöht werden. Auch die Kapazität der Gesundheitsämter zur Fallverfolgung stieg. Insbesondere die Einstellung neuen Personals in den Gesundheitsämtern stocke allerdings, da neu geschaffene Stellen nicht besetzt werden konnten.[272] Als im Herbst die Infektionszahlen wieder anstiegen, wurde erneut vor einer Überlastung der Kapazitäten des Gesundheitssystems gewarnt.[285][286]
Im März 2020 wurde eine Reihe von Regelungen angepasst, um die Gesundheitsversorgung unter den Bedingungen der Pandemie und des Lockdowns sicherzustellen. Am 9. März einigten sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband darauf, bei leichten Atemwegserkrankungen eine Krankschreibung auf Basis einer telefonischer Rücksprache zuzulassen; diese Regelung war auf vier Wochen begrenzt.[287] Die Regelung wurde mehrfach verlängert. Sie war allerdings umstritten und lief schließlich am 1. Juni 2020 aus.[288][289] Psychotherapeutische Online-Behandlungen wurden erleichtert und Kontrollen im Rahmen des SGB XI („Pflege-TÜV“) vorläufig ausgesetzt, um Kontakte zu reduzieren.[290][291] Angeordnet wurde ebenfalls, den Betreuungsschlüssel im Pflegebereich auszusetzen.[291] Ärzte und Fachverbände verlangten, bürokratische Hürden für Schwangerschaftsabbrüche vorläufig abzubauen, weil Schwangere andernfalls nicht die Abtreibungsfristen einhalten könnten.[292] Es wurde geregelt, dass privat krankenversicherten, die wegen Einkommenseinbußen aufgrund der Corona-Krise in den Basistarif wechseln, das Recht bekommen, binnen zwei Jahren ohne erneute Gesundheitsprüfung in ihren vorherigen Tarif zurückzukehren.
Zwischen dem 16. März und dem 30. September 2020 erhielten Krankenhäuser eine Pauschale für Betten, die vorsorglich für die Behandlung von COVID-19-Patienten freigehalten wurden. Die Regelung wurde nicht verlängert, nachdem es zu Kritik an einer überzogenen Nutzung der Pauschale durch Krankenhäuser gekommen war.[293][294] Im November beschloss der Bundestag im Rahmen des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite einen neuen „Krankenhaus-Rettungsschirm“. Davon sollen nur Krankenhäuser profitieren, die tatsächlich viele COVID-19-Patienten betreuen.[295]
Mehrfach angepasst wurden die Regelungen zur Finanzierung von COVID-19-Tests. Dabei war u. a. strittig, wie die Kosten zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung verteilt werden und welchen Preis Labore für die Tests von den Versicherungen erhalten sollten.[296][297]
Im März 2020 wurde vielfach befürchtet, dass es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen könne und Ärzte entscheiden müssen, welche Patienten sie bei begrenzten medizinischen Kapazitäten bevorzugt behandeln (Triage). Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin arbeitete daraufhin Empfehlungen für Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie aus, die im März veröffentlicht und im April aktualisiert und erweitert wurden.[298] Im Winter 2020 wurde angesichts der zweiten Welle erneut eine Knappheit von Intensivbetten befürchtet und über Triage diskutiert. Die DIVI forderte dafür Rechtssicherheit.[299]
Zu Beginn der Pandemie gab es große Unsicherheit über das Risiko von zahnärztlichen Behandlungen. Bei der Behandlung entstehen Aerosole, die das Virus verbreiten können. Das Problem wurde durch den Mangel an Schutzausrüstung verstärkt.[300][301] Im März 2020 sollten Patienten deshalb nur bei Notfällen und dringenden Behandlungen einen Zahnarzt aufsuchen.[302] Im Mai 2020 erklärte die Bundeszahnärztekammer, die Situation im Bereich Schutzausrüstung habe sich verbessert und die Hygienestandards seien auf die Pandemie-Situation angepasst worden. Also könnten alle zahnärztlichen Behandlungen wieder durchgeführt werden.[303] Umfangreiche aktuelle Informationen stellt die Bundeszahnärztekammer auf ihrer Webseite zur Verfügung.[304]
Im März 2020 arbeiteten Kliniken daran, Testzentren einzurichten und geordneten Zugangsmöglichkeiten für Tests zu schaffen. Bspw. richteten in Berlin die Charité und das Virchow-Klinikum besondere Anlaufstellen ein, um die Fälle von den normalen Notfallaufnahmen zu trennen.[305][306] Andere Kliniken arbeiteten mit sogenannten Drive-in-Testzentren: Verdachtsfälle konnten nach vorheriger Absprache in ihrem Auto vorfahren und der Abstrich wird der zu untersuchenden Person entnommen, ohne dass sie aussteigen muss.[307][308]
Da in Italien und in Frankreich ein Teil der Kliniken mit COVID-19-Intensivpatienten überlastet war, wurden Patienten von der deutschen und der italienischen Luftwaffe in deutsche Krankenhäuser ausgeflogen.[309][310] So wurden mindestens 117 Patienten aus dem Ausland in Deutschland intensivmedizinisch behandelt und beatmet.[311]
Im ersten Halbjahr 2020 hatten die 100 gesetzlichen Krankenkassen etwa 1,3 Milliarden Euro erwirtschaftet, weil teure Operationen und Behandlungen verschoben worden waren. Durch eine stark angestiegene Anzahl an Corona-Tests und durch nachgeholte Operationen bilanzierten die gesetzlichen Krankenkassen allein im dritten Quartal 2020 ein Minus von drei Milliarden Euro.[312]
Die fachliche Grundlage der Pandemiebekämpfung in Deutschland ist der Nationale Pandemieplan mit seinen Ergänzungen vom März und Oktober 2020.[152][153][313] Insgesamt orientiert sich die Pandemiebekämpfung an drei Zielen:
Wichtige Maßnahmen dazu sind insbesondere:
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt auf ihrer Webseite ausführliche und fachlich gesicherte Informationen und Erklärungen zum Schutz gegen COVID-19 bereit.[314]
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Eine der zentralen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist die Isolation von Infizierten und die Quarantäne von Kontaktpersonen.[153][315] Im Zuge des Kontaktpersonenmanagements kam es mehrfach auch zu größeren Quarantänemaßnahmen, bei denen ganze Betriebe vorsorglich geschlossen und alle Mitarbeitenden oder auch ganze Wohnblocks in Quarantäne geschickt wurden. Flüchtlingsunterkünfte waren aufgrund beengter Wohnverhältnisse besonders häufig von mehrwöchigen Quarantänemaßnahmen betroffen.[316] Da infizierte und nicht-infizierte Personen teilweise nur unzureichend räumlich getrennt wurden, kam es während der Quarantäne in einigen Unterkünften zu einem dynamischen Infektionsgeschehen.[317]
Am 29. Januar 2020 schloss der Autozulieferer Webasto seine Zentrale in Stockdorf bei München für zwei Wochen, nachdem bei Mitarbeitern des Unternehmens zum ersten Mal in Deutschland Infektionen mit SARS-CoV-2 nachgewiesen worden waren.[318] Zwischen Ende Februar und den allgemeinen Kontaktbeschränkungen Mitte März kam es zu einer Reihe weiterer örtlicher oder betriebsspezifischer Quarantänemaßnahmen.[319][320] Im Sommer 2020 kam es im Zuge des Ausbruchs im Tönnies-Stammwerk zu umfangreichen lokalen Quarantänemaßnahmen.
Auch das Bildungs- und Erziehungssystem war stark von Infektionsschutzmaßnahmen betroffen. Einerseits wurde versucht, mit Schließungen von Schulen und Kindertagesstätten und Distanzunterricht an Schulen und Hochschulen die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen. Andererseits wurde versucht, das Infektionsrisiko in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu senken, um auch während der Pandemie Präsenzunterricht zu ermöglichen – bspw. durch Lüften, Maskenpflicht und die Entzerrung von Lerngruppen. Es kam zu zahlreichen Debatten um die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen: bspw. um die Frage, welche Rolle Schulen als Treiber der Pandemie spielen, oder um die Folgen von Schulschließungen für benachteiligte Schüler und Familien.
Nachdem das Robert Koch-Institut am 28. Februar 2020 das Absagen, Verschieben oder die Umorganisation von Massenveranstaltungen für sinnvoll erklärt hatte,[321] kam es zur Verschiebung oder Absage unzähliger Veranstaltungen. Am 8. März sprach Gesundheitsminister Jens Spahn angesichts des Anstiegs der Fallzahlen die Empfehlung aus, alle Veranstaltungen mit mehr als eintausend Teilnehmern abzusagen.[322] In den darauffolgenden Tagen kam es zu einer Welle von Veranstaltungsverboten in den einzelnen Bundesländern, die zunächst Veranstaltungen mit über 1000 Teilnehmern[323][324] und anschließend auch kleinere Veranstaltungen betrafen.[325][326] Mit der Umsetzung des am 22. März von Bund und Ländern vereinbarten Kontaktverbots wurden in allen Bundesländern alle öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen unabhängig von der Größe verboten.[22]
Am 15. April 2020 beschlossen die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der 16 Länder Deutschlands, alle Großveranstaltungen in Deutschland bis zum 31. August 2020 zu untersagen. Das betrifft zum Beispiel größere Konzerte, Schützenfeste, Kirmes-Veranstaltungen und größere Sportveranstaltungen. Konkrete Regelungen, vor allem zur genauen Bestimmung des Begriffs „Größe“, sollten die Länder treffen.[327] Die Regelung wurde von mehreren Bundesländern bis in den Herbst 2020 verlängert. Bei einer Videoschaltkonferenz beschlossen Bundeskanzlerin Merkel und die Regierungschefs der Länder am 27. August, dass Großveranstaltungen, bei denen eine Kontaktverfolgung und die Einhaltung von Hygieneregeln nicht möglich sind, mindestens bis zum 31. Dezember 2020 untersagt bleiben.[182]
Im Sport wurden alle Großveranstaltungen abgesagt und der Spielbetrieb in allen Bundesligen eingestellt, später in Form von Geisterspielen ohne Publikum wieder erlaubt.[328]
Jahrmärkte waren von Schließungen betroffen oder wurden in veränderter Form als „Pop-up-Freizeitparks“ veranstaltet.[329]
Im Frühjahr 2020 waren Präsenzgottestdienste für jede Religionsgemeinschaft verboten; als Alternative wurden sie vermehrt per Livestream und im Fernsehen übertragen.[330] Dies hat jedoch negative Folgen für den Klingelbeutel.[331]
Während des Lockdowns blieben auch Kultureinrichtungen wie Theater, Konzerthallen und Museen geschlossen. Veranstaltungen wie Musikfestivals und Buchmessen fielen aus. Als Alternative initiierten Autoren, Schriftsteller und Literaturhäuser Online-Lesungen und andere Formen des Online-Gedankenaustauschs. Museen und Filmfestivals stellten einen Online-Zugang bereit.[332][333] Viele Hilfs- und Spendenaktionen wurden ins Leben gerufen, um Künstler, Kulturschaffende und freie Kultureinrichtungen in der Zeit ohne Veranstaltungen und Einnahmen zu unterstützen.[334] Mehrere deutsche Hochschulen gründeten gemeinsam ein Public-History-Coronarchiv, das Fotos, Texte und Tonaufnahmen sammelt, um die Wochen der Pandemie und das öffentliche Leben im Ausnahmezustand in den Monaten danach für die Zukunft zu dokumentieren.[335]
Im Mai 2020 verständigten sich die Kunst- und Kulturminister der Länder auf Eckpunkte, die eine Wiederaufnahme des Kulturbetriebs ermöglichten. Kinos, Bibliotheken, Museen und andere Kultureinrichtungen können seitdem grundsätzlich wieder öffnen. Sie müssen aber die Besucherzahlen begrenzen, Kontaktdaten von Besuchern erheben und weitere Hygienestandards einhalten.[336][337] Nachdem Kulturschaffende und -einrichtungen vielfach auf ihre prekäre finanzielle Lage hingewiesen hatten, kündigte die Bundesregierung im Rahmen des Konjunkturpakets eine Unterstützung von einer Milliarde Euro für die Kulturszene an.[338]
In mehreren Wellen beschloss die Bundesregierung Reisewarnungen und Grenzschließungen, um die Ausbreitung der Pandemie zu bekämpfen. Für viele Einreisende nach Deutschland legten Bund und Bundesländer Quarantänepflichten fest. Nachdem im März 2020 die deutschen Grenzen weitgehend geschlossen worden waren, waren ab Juni Reisen insbesondere innerhalb Europas wieder möglich. Anschließend wurde ein zunehmend differenziertes System von Risikogebieten, Reisewarnungen für einzelne Länder und Test- und Quarantänepflichten für Reisende eingeführt. Als im Herbst 2020 die Infektionszahlen stiegen, wurden auch große Teile Europas wieder als Risikogebiete ausgewiesen, für die bei Reisen Test- und Quarantäneregelungen zu beachten sind. (1.) Virusvarianten-Gebiete – Gebiete mit besonders hohem Infektionsrisiko durch verbreitetes Auftreten bestimmter SARS-CoV-2 Virusvarianten, (2.) Neue Hochinzidenzgebiete – Gebiete mit besonders hohem Infektionsrisiko durch besonders hohe Inzidenzen für die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, (3.) Neue Risikogebiete – Gebiete mit erhöhtem SARS-CoV-2 Infektionsrisiko sowie (4.) Gebiete, die nicht mehr als Risikogebiete gelten, werden auf einer Website des Robert Koch-Instituts (RKI) gelistet.
Seit dem 24. Januar 2021 prüft die Bundespolizei am Flughafen Frankfurt am Main umfassend alle Einreisenden aus Ländern, in denen eine der hochansteckenden Virusmutationen grassiert. Am 24. Januar begingen 64 von 2260 Menschen (= 2,8 %) Verstöße (fehlende digitale Einreiseanmeldungen[339] und/oder fehlende negative Corona-Tests), am 25. Januar waren es 63 von 1900 (3,3 %).[340][341] Im Februar 2021 wuchs die Sorge vor einer reduzierten Wirksamkeit der Impfstoffe infolge von „Escape-Mutationen“, was die Bundesregierung zur Ausweisung von „Virus-Mutationsgebieten“ und Einreisebeschränkungen aus diesen Gebieten nach Deutschland veranlasste,[342] wobei die bayerische Landesregierung Ausnahmen für den Pendlerverkehr mit Tirol beschloss.[343]
Die Deutsche-Telekom-Tochter Motionlogic stellte dem Robert Koch-Institut Mitte März 2020 kostenfrei anonymisierte Handydaten der Funkzellen zur Verfügung,[344] da auf diese Weise – insbesondere durch den Vergleich früherer Bewegungsmuster mit den aktuellen – nachvollziehbar sein solle, in welchem Ausmaß die regierungsamtlich dringend angeratene Zurückhaltung beim Aufhalten außerhalb der eigenen Wohnung von der Bevölkerung befolgt werde.[345] Eine solche Weitergabe von Daten wird allerdings von vielen Seiten als nutzlos kritisiert,[346] so wurde sie auch von der Telekom selbst wenige Tage zuvor als „Unfug“ bezeichnet, da eine Funkzellenabfrage viel zu ungenau ist, um den Standort einzelner Menschen auf einen Haushalt einzugrenzen.[347] Datenschützer kritisieren außerdem, dass „anonymisierte“ Datensätze selten wirklich anonym sind und weit über 90 % der Personendatensätze aus einem Pool „anonymisierter“ Daten korrekt einzelnen Personen zugeordnet werden können.[348]
Am 16. Juni 2020 wurde eine Kontakt-Nachverfolgungs-App namens Corona-Warn-App veröffentlicht. Die Corona-Warn-App soll Nutzer darüber informieren, ob sie in Kontakt mit einer infizierten Person geraten sind und daraus ein Ansteckungsrisiko entstehen kann. Das soll dazu beitragen, Infektionsketten schneller zu unterbrechen.[349] Es sind weitere Apps für verschiedene Zwecke entwickelt worden.
Aufgrund der Pandemie und der in Folge ergriffenen Maßnahmen kam es zu einer weltweiten Wirtschaftskrise, von der auch Deutschland stark betroffen ist. Viele Branchen waren während des Lockdowns direkt von Betriebsschließungen betroffen. Andere litten unter indirekten Folgen der Pandemie, insbesondere dem Einbruch der Nachfrage oder dem Zusammenbruch von Lieferketten.[350] Die am stärksten betroffenen Branchen waren nach einer Studie des Ifo-Instituts Reisebüros und Veranstalter (Einbruch der Geschäfte im April 2020 um 84 %), die Luftfahrtbranche (minus 76 %), das Gastgewerbe (minus 68 %), das Gesundheitswesen (minus 45 %), Kunst, Unterhaltung und Erholung (minus 43 %) sowie der Fahrzeugbau (minus 41 %). Profitieren konnte nur die Pharmaindustrie mit einem Anstieg der Auslastung um 7 %.[351] Bis zum 26. April meldeten Unternehmen für 10,2 Millionen Menschen Kurzarbeit an – mit Abstand der höchste Wert aller Zeiten.[352] Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das zweite Quartal von April bis Juni 2020 lag 9,7 Prozent unter dem Wert im ersten Quartal von Januar bis März. Das war der stärkste Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen Berechnungen für Deutschland im Jahr 1970.[353]
Im dritten Quartal erholte sich die Wirtschaft deutlich.[354] Insgesamt sank das BIP in Deutschland im Jahr 2020 laut dem Statistischen Bundesamt trotzdem um 5,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die staatlichen Haushalte beendeten das Jahr 2020 nach vorläufigen Berechnungen mit einem Defizit von 158,2 Milliarden Euro (4,8 % des BIP). Die Zahl der Erwerbstätigen sank um 1,1 % auf 44,8 Millionen. Besonders betroffen waren geringfügig Beschäftigte sowie Selbstständige. Dagegen wurden bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Entlassungen nach Einschätzung des Statistischen Bundesamts durch die erweiterten Regelungen zur Kurzarbeit verhindert.[355]
Eine am 13. Mai 2020 erschienene Studie von ifo Institut für Wirtschaftsforschung und Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung stellt fest, dass Gesundheitsschutz und wirtschaftliche Entwicklung nicht in direktem Gegensatz stehen. Sowohl ein sehr harter Lockdown als auch eine zu starke Lockerung der Maßnahmen könnten die wirtschaftliche Entwicklung stark einschränken. Den geringsten wirtschaftlichen Schaden vermuten die Autoren bei einer leichten, schrittweisen Lockerung der Beschränkungen und einer Reproduktionszahl von ca. 0,75.[145]
Einzelhändler verzeichneten insbesondere zu Beginn des ersten Lockdowns höhere Umsätze an Desinfektions- und Reinigungsmitteln, an haltbaren Lebensmitteln sowie frischen Lebensmitteln.[356] Teilweise kam es anfangs zu Lieferengpässen im Einzelhandel. Betroffen waren zeitweilig, insbesondere Nahrungsmittel wie Nudeln, Mehl, Reis, H-Milch und Fertiggerichte sowie manche Toilettenartikel. Der Absatz von Toilettenpapier stieg im Februar 2020 auf zum Teil das 7-Fache.[357] Als Ursachen kommen Hamsterkäufe, die Verlagerung des Bedarfs hin zu privaten Haushalten und Störungen in Logistik- und Zulieferketten in Betracht. Eine Reihe von Unternehmen reagierten auf die veränderte Nachfrage mit Produktionsumstellungen: Bspw. von Speiseeis auf Pasta,[358] von alkoholischen Getränken zu Desinfektionsmitteln[359] oder von Bekleidung zu Atem- oder Mundschutzmasken.[360]
Direkte gesundheitliche Folgen der Pandemie sind die Erkrankungen und Todesfälle von COVID-19-Patienten und eine erhebliche Übersterblichkeit, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf COVID-19-Todesfälle zurückzuführen ist.[73][77] Verlässliche, repräsentative Daten zum Anteil der Erkrankten mit Langzeitfolgen liegen derzeit nicht vor.[100]
Darüber hinaus hatte die Pandemie eine Reihe von indirekten Folgen für die Gesundheit und das Gesundheitssystem in Deutschland. Zu den indirekten Folgen gehört ein Mangel an medizinischer Schutzausrüstung im Frühjahr, der erst im Laufe des Frühsommers allmählich behoben wurde.[211] Auch sank während des Lockdowns im Frühjahr die Bereitschaft, Blut und Blutplasma zu spenden. Das Bundesgesundheitsministerium warnte deshalb am 19. März 2020 vor einem drohenden Mangel an Blutspenden.[361] Die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie rief verstärkt auf, Blut zu spenden.[362]
Während des Lockdowns kam es außerdem zu einem erheblichen Rückgang an Arztbesuchen und Krankenhausbehandlungen, auch bei Symptomen mit möglichen schwerwiegenden Ursachen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.[363][364] Die gesundheitlichen Folgen des Rückgangs an Arztbesuchen und Behandlungen sind unklar. Nach einer Online-Befragungsstudie des RKI hielt die Mehrheit der Befragten die Versorgung mit Medikamenten und die Möglichkeit für Arztbesuche im notwendigen Maße für gewährleistet.[365]
Aufgrund der COVID-19-Infektionsschutzmaßnahmen kam es auch zu einem drastischen Einbruch der Fälle von anderen Infektionskrankheiten. Vor allem in den jüngeren und älteren Altersgruppen wurden wesentlich weniger Infektionen von Masern, Grippe und anderen Infektionskrankheiten registriert als in anderen Jahren.[366]
Gleichzeitig hat sich die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf der Corona-Pandemie deutlich verschlechtert. Fast jedes dritte Kind litt nach einer im Januar 2021 veröffentlichten Studie unter psychischen Auffälligkeiten. Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund sind besonders stark betroffen.[367] Berthold Koletzko von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin erklärte im April 2021, dass fast jedes zehnte Kind unter 14 Jahren, das bisher normalgewichtig gewesen sei, im vergangenen Jahr Übergewicht entwickelt habe. Zugleich ist, wie die von Ersatzkassen erhobenen Daten erkennen lassen, die Zahl der Magersüchtigen im ersten Quartal 2021 um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen.[368] Allein die zunehmenden Fälle von Magersucht mit ihren oft schweren Folgen stellen für das Leben von Jugendlichen eine ungleich größere Bedrohung dar als COVID-19 selbst.[369][370]
Neben den Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft hatte die COVID-19-Pandemie auch zahlreiche Folgen in weiteren gesellschaftlichen Bereichen. So wurden Personen tatsächlich oder vermeintlich chinesischer Herkunft diskriminiert und ausgegrenzt. Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wie Kontaktbeschränkungen, Heimarbeit und Schulschließungen hatten erhebliche Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr oder die Arbeitsteilung in Familien. Gleichzeitig kam es zu neuen Formen sozialen Engagements wie freiwilligen Initiativen zur Herstellung von Behelfsmasken.
Aufgrund des drohenden Mangels an Schutzmasken begannen manche Kliniken im März 2020, Behelfsmundschutz herzustellen,[371] oder riefen die Bevölkerung zu Spenden von geeignetem Behelfsmundschutz auf.[372] Als Reaktion auf die Maskenknappheit bildeten sich auch Initiativen zur Herstellung von Behelfsmasken, etwa die Herstellung von Alltagsmasken durch Werkstätten für behinderte Menschen und Freiwillige, darunter auch Näh-Initiativen von Geflüchteten.[373][374][375]
Wie schon während der SARS-Epidemie kam es außerhalb Asiens zu Diskriminierung und Ausgrenzung von Personen tatsächlich oder vermeintlich chinesischer Herkunft.[376][377][378] Auch in Deutschland wurden vielfach Diskriminierungen von Menschen ostasiatischer Herkunft festgestellt und in den Medien dargestellt, beispielsweise Abweisungen in Arztpraxen,[379][380] die Nichtzulassung zu Aufnahmeprüfungen an einer Hochschule,[381][379] außerdem Verunglimpfungen und Anfeindungen im Alltag bis hin zu tätlichen Angriffen.[382][383] Amnesty International Deutschland e. V. erklärte, auch in deutschen Medien lasse sich eine Mischung aus diffuser Angst und rassistischen Stereotypen beobachten[384] und kritisierte insbesondere zwei Ende Januar 2020 erschienene Schlagzeilen von Bild[385] und Der Spiegel.[386]
Dies beschränkt sich zudem nicht auf eine bestimmte Ethnie.[387] Hiervon sind besonders Flüchtlinge und Migranten betroffen.[388]
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtete am 6. Mai 2020 zusammenfassend über mehr als 100 Anfragen zu Diskriminierungen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus.[389] Mehr als die Hälfte der Fälle betrafen Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, im gesamten Spektrum von rassistischem Verhalten in der Öffentlichkeit über Racial Profiling und Hassbotschaften am Arbeitsplatz bis zu körperlichen Übergriffen. Diskriminierungen richteten sich laut Antidiskriminierungsstelle aber auch gegen andere benachteiligte Gruppen. Beispielsweise scheiterten Menschen mit Gehhilfe an Auflagen in Supermärkten, wenn dort ein Einkaufswagen vorgeschrieben wurde.[389]
Die Plattform Ichbinkeinvirus.org ist ein Netzwerk, in dem Erfahrungsberichte von Betroffenen Corona-spezifischem Rassismus thematisiert werden und das ihnen gleichzeitig Hilfsangebote macht.[390][391]
Die Pandemie und der Lockdown führten auch zu einer Verschiebung der Kriminalität.[392] Einerseits häuften sich Berichte über Corona-spezifische Straftaten wie den Diebstahl von Desinfektionsmitteln und Mund-Nasen-Schutzmasken,[393] teils gewalttätige Konflikte um Ausgangsbeschränkungen und Abstandsgebote[394] oder neue Formen der Cyber-Kriminalität wie eine Fake-Internetseite, die sich als Antragsseite des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums für Soforthilfen ausgab.[395] Andererseits ging durch die Ausgangsbeschränkungen die Zahl der Einbrüche und Raubüberfälle drastisch zurück.[392] Weiter wird von vielen unberechtigten Soforthilfeempfängern ausgegangen. So hatte allein Berlin Anfang Juni 2020 bereits für 209.000 Selbstständige und Kleinstunternehmen Anträge auf Soforthilfe bewilligt, obwohl nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsstaatssekretär Ulrich Nußbaum nur etwa 170.000 anspruchsberechtigte Unternehmen in Berlin existierten.[396] Stand März 2021 ermittelten Staatsanwälte in mehr als 25.000 Fällen wegen des Verdachts der illegalen Inanspruchnahme von Soforthilfen und anderer Corona-bezogener Delikte.[397]
Als Folge der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen wird eine Zunahme häuslicher Gewalt befürchtet, die allerdings schwer nachzuweisen ist.[398]
Während des Lockdowns im März und April 2020 fuhren 70 bis 90 Prozent weniger Personen mit dem ÖPNV.[399] Die Deutsche Bahn und andere Unternehmen reduzierten ihren Fahrplan.[400] In der ersten Maihälfte kehrten die meisten Unternehmen wieder zum Regelfahrplan zurück.[401][402] Die Fahrgastzahlen lagen allerdings zunächst noch deutlich unter dem Normalniveau.[403][399][404] Dies setzte sich auch nach dem Jahreswechsel fort und es stellte sich die Frage, ob im ÖPNV ein neuer Gefahrenherd entstünde.[405]
Es wurde diskutiert, ob die Pandemie angesichts des ausgeprägten Fahrgastrückgangs – bei einem Anstieg der Homeoffice-Nutzung, einem Anstieg des Fahrradverkehrs und einem nur leichten Rückgang des Kfz-Verkehrs und öffentlicher Förderung der Automobilhersteller – die Verkehrswende infrage stelle. Dieser Einbruch der Fahrgastzahlen liegt im Lockdown mit umfangreicher Schließung von Zielen im Einkaufs- und Freizeitverkehr, den stark gesunkenen Pendlerzahlen und dem entfallenen Schülerverkehr begründet.[406]
Nach Beginn der Pandemie wurde das Netz von Radwegen in Deutschland weiter ausgebaut, es handelt sich hier zumeist jedoch um zeitweilige Lösungen. Fahrradverkäufe und Fahrradverleihe verzeichneten nach Beginn der Lockerungen eine erhöhte Nachfrage.[407]
Das geringe Verkehrsaufkommen aufgrund der Corana-Pandemie wird vom Statistischen Bundesamt in einer Presseerklärung zum Unfallatlas für gesunkene Unfallzahlen verantwortlich gemacht. Die Zahl der Verkehrsunfälle ist im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 um fast ein Fünftel auf 1,1 Millionen zurückgegangen. Die Zahl der Verletzten sank um 18,7 % auf 148.051 und die Zahl der Unfalltoten ist um 13,2 % (195 Personen) auf 1.281 gesunken. Seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden von Januar bis Juni nie weniger Menschen bei Verkehrsunfällen getötet oder verletzt.[408]
Viel diskutiert wurden die Folgen von Schul- und Kitaschließungen für die Arbeitsteilung in Familien. Im April und Mai 2020 wurde vielfach davor gewarnt, dass Mütter wesentlich mehr belastet seien als Väter. Auch eine Reihe von Studien kamen zum Ergebnis, dass der Großteil der anfallenden Hausarbeit wie auch des Homeschoolings von Frauen bewältigt werde und Frauen sich erzwungenermaßen aus dem Arbeitsmarkt zurückzögen.[409][410] U. a. die Soziologin Jutta Allmendinger warnte vor einer Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen und befürchtete einem „Rückfall auf eine Rollenteilung wie zu Zeiten unserer Großeltern“.[411][412]
Eine repräsentative Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zur Situation von Familien während des Lockdowns sah dagegen „keine Retraditionalisierung“: „Die gegenwärtig diskutierte These der Retraditionalisierung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung lässt sich auf Basis der in dieser Studie analysierten repräsentativen Daten nicht bestätigen.“ So sei die elterliche Aufgabenteilung bereits vor der Krise überwiegend traditionell gewesen und der Hauptteil der Haus- und Familienarbeit wurde von Müttern geleistet. Während der Schul- und Kitaschließungen seien dagegen die Geschlechterunterschiede bei der Zeitverwendung für Haus- und Familienarbeit eher geringer geworden. Im Durchschnitt sei der tägliche Zeitaufwand für Haus- und Familienarbeit der Eltern von Kindern unter 16 Jahren im April 2020 im Vergleich zum Referenzwert 2018 bei den Müttern von 6,6 auf 7,9 Stunden angestiegen, bei Vätern von 3,3 auf 5,6 Stunden.[32] Auf Basis größerer Panel-Datensätze fanden zwei Studien heraus, dass Väter und Mütter durch die Pandemie ihre Zeit mit Kinderbetreuung zu gleichen Teilen erhöhten. Väter mit niedrigem oder mittlerem Einkommen haben dabei mehr Zeit mit den Kindern verbracht, als vor der Krise. Allerdings haben Frauen vor der Krise das Groß der Kinderbetreuung übernommen und dies hätte sich nicht verändert.[413][137] Eine der beiden Studien kommt auf Basis des deutschen Familienpanels zu dem Ergebnis, die Arbeitsteilung habe sich in verschiedenen Haushalten sehr unterschiedlich entwickelt. Bei den Paaren, die sich vor der Krise die Haushalts- und Betreuungsarbeiten gleichmäßig aufgeteilt hatten, seien nun vermehrt die Mütter dafür zuständig. Den Haushalten, in denen der Anteil der Frauen an Haushalts- und Familienarbeit gestiegen sei, stehe allerdings eine ebenso große Zahl von Haushalten gegenüber, in der Anteil der Väter an Haushalts- und Familienarbeit gestiegen sei. Insgesamt, so die Autoren, „bestätigen die Ergebnisse weder die Vorstellung einer ‚patriarchalischen Pandemie‘, noch zeigen sie, dass die Corona-Krise Trends zur Konvergenz der Geschlechter befördert haben könnte. Wir beobachten stattdessen heterogene Reaktionen von Paaren auf den Corona-Schock.“[137] Die andere der beiden Studien kommt auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels im Durchschnitt zu dem Ergebnis, Mütter und Väter hätten ihren Anteil an der Kinderbetreuung im selben Umfang gesteigert. Während Väter mit einem geringen und mittlerem Bildungsgrad, die zuvor besonders wenig Betreuungsaufgaben übernommen hätten, ihren Anteil während der Krise stark gesteigert hätten, sei die Beteiligung aber bei den Vätern mit hohem Bildungsgrad zurückgegangen. Für die Autorinnen der Untersuchung beschreiben diese Ergebnisse „ein recht positives Bild der Möglichkeiten einer Beteiligung von Vätern“.[413]
Diese Interpretation ist allerdings keineswegs unstrittig. So kommt eine Studie auf Basis von Online-Umfragedaten zum Ergebnis, die Mehrzahl der Belege spreche dafür, dass die Gleichstellung der Geschlechter durch die Pandemie abgenommen habe. „Eltern arbeiteten während der Pandemie mit größerer Wahrscheinlichkeit als Nicht-Eltern weniger Stunden als zuvor, und Mütter arbeiteten mit größerer Wahrscheinlichkeit als Väter weniger Stunden, nachdem die Sperren aufgehoben worden waren. Auch wenn die Eltern die Kinderbetreuung zumindest vorübergehend gleichmäßiger aufteilten, schultern die Mütter immer noch mehr Kinderbetreuungsarbeit als die Väter. Die Aufteilung der Hausarbeit blieb weitgehend unverändert. Es überrascht daher nicht, dass Frauen, insbesondere Mütter, während des Beobachtungszeitraums eine geringere Zufriedenheit berichteten. Arbeitnehmerinnen in systemrelevanten Berufen erlebten weniger Veränderungen in ihrem Berufsleben als die Befragten in anderen Berufen.“[414] Dieses Ergebnis bestätigt auch eine weitere Studie auf Basis der Daten des Nationalen Bildungspanels und einer begleitenden Online-Umfrage. Auch ihre Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen während der Pandemie weiterhin die Hauptlast der Care-Arbeit in Familien trugen, dass die Pandemie Frauen aus dem Arbeitsmarkt dränge und dass die Pandemie damit letzten Endes existierende Ungleichheiten verstärke.[415][416]
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Deutschland fanden insgesamt hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Es kam aber auch zu einer Reihe von scharfen, öffentlich ausgetragenen Kontroversen um COVID-19 und die Reaktionen darauf in Politik, Wissenschaft und Gesundheitssystem. Das betraf die Gefährlichkeit der Krankheit, die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und nicht zuletzt mögliche unerwünschte Nebenfolgen dieser Maßnahmen.
→ Für Kritik und Kontroversen zu den Reisebeschränkungen siehe: Folgen der COVID-19-Pandemie für Grenzüberschreitende Mobilität und Tourismus in Deutschland#Kritik und Kontroversen
→ Für die Debatte zu den Schutzmaßnahmen im Bildungssystem siehe: Schulen und Kindertagesstätten #Debatte
Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte am 22. Januar 2020 erklärt, „dass nur wenige Menschen von anderen Menschen angesteckt werden können“ und dass sich das Virus nicht sehr stark auf der Welt ausbreiten würde.[417] Dies wurde vom Virologen Alexander Kekulé kritisiert, der am selben Tag erklärte, dass er „nicht ganz die Gelassenheit des Robert Koch-Instituts“ teile.[418] Ab dem 2. März bewertete das RKI die „Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland“ als „mäßig“.[419] Ab 17. März wurde die Risikobewertung mit „hoch“ angegeben.[117] Kritisiert wurde, dass das RKI häufig Falscheinschätzungen vorgenommen habe.[420] Wissenschaftler und Medien erklärten allerdings, es sei Kern der Wissenschaft, dass Erkenntnisse stets revidiert werden könnten. Wissenschaftler gewännen aus neuen Daten immer wieder neue Erkenntnisse und änderten daraufhin ihre Einschätzungen, gerade bei einer bislang unbekannten Krankheit. Außerdem seien Vorhersagen zur Entwicklung komplexer, nichtlinearer Systeme immer mit erheblicher Unsicherheit behaftet – aber deshalb keineswegs beliebig.[421][119]
Europaweit heftige Kritik gab es an den in den ersten Märztagen des Jahres 2020 von der deutschen Regierung verhängten Exportkontrollen für Schutzausrüstung, insbesondere Schutzmasken.[422] Dadurch wurden Lieferungen für schon stark betroffene Länder wie Italien, Schweiz oder Österreich zurückgehalten, in diesen Ländern kam es zu akuten Engpässen in Krankenhäusern und Arztpraxen.[423] Die EU-Kommission sprach eine Rüge gegen Deutschland – und auch Frankreich, das ein ähnliches Verhalten an den Tag legte – wegen mangelnder Solidarität aus.[424] Die Süddeutsche Zeitung sprach von einer „Deutschland-first“-Politik.[425] Italien, wo besonders die Krankenhäuser schon als Infektionsmultiplikatoren ausfindig gemacht worden waren, musste sogar mit Hilfslieferungen aus China versorgt werden,[426] und auch Österreich griff auf Direktbeschaffung mit Sonderflügen nach China zurück, für den Eigenbedarf und zur Weitergabe nach Italien.[427] Erst Mitte März konnte eine Einigung erzielt werden, die auf gemeinsame Beschaffung durch die Kommission und Exportbeschränkungen nur für EU-Drittländer hinausläuft.[424]
Besonders im März 2020 kritisierten Medien,[428] Politiker[429] und Wissenschaftler[430] den Föderalismus: Er verhindere klare Entscheidungen und deren schnelle, bundeseinheitliche Umsetzung. Das behindere die Bekämpfung der Epidemie. Das uneinheitliche Vorgehen bei Verboten von Großveranstaltungen wurde dabei als Negativbeispiel genannt. Positiv hervorgehoben wurden dagegen eher zentralistisch regierte Länder wie Vietnam,[431] China, Frankreich, Italien oder Spanien. Diese hätten bei Verboten oder dem Ausweisen von Sperrgebieten schneller und entschiedener gehandelt.
Schon im März 2020 wurde dagegen eingewandt, die Koordination zwischen Bund, Ländern und dem Robert Koch-Institut funktioniere prinzipiell gut.[432][433] Seit Mitte April 2020 wurde dann von den deutschen Medien der Föderalismus vielfach gelobt. Deutschland leide nur scheinbar unter dem Flickenteppich verschiedener Regeln. Der Föderalismus mache es möglich, unterschiedliche Wege auszuprobieren und lokal angepasste Lösungen zu finden. Das sei wichtig, weil das Ansteckungsrisiko und die Lebensverhältnisse in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern unterschiedlich seien.[434][435] Im Vergleich mit den Nachbarländern zeige sich, dass kein demokratisch verfasster Zentralstaat die Corona-Krise bislang besser gemeistert habe als Deutschland.[436][437]
Erst im Zuge der wachsenden Pandemiemüdigkeit im Frühjahr 2021 wurde der Ruf nach bundeseinheitlichen Regelungen wieder lauter. Die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes,[438] die genau das zum Ziel hat, sieht aber unter anderem die verbindliche Kopplung restriktiver Maßnahmen, wie etwa nächtlicher Ausgangssperren, an bestimmte Inzidenzwerte vor.[439] Genau ein solches Festhalten an abstrakten Inzidenzwerten kritisierte hingegen das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht als unzureichende Begründung für weitreichende Maßnahmen. Da nach mehr als einem Jahr mit der Pandemie mehr über die Infektionswege bekannt sein sollte, wären Maßnahmen, die nur auf Verdacht hin ergriffen würden, nicht mehr zu rechtfertigen.[440] Konkret ging es in einem Eilbeschluss vom 7. April 2021 darum, dass vor der Anwendung einer nächtlichen Ausgangssperre als „ultima ratio“ geprüft werden müsse, ob es in einer Region tatsächlich nachts in erheblichem Umfang verbotene Treffen gebe. Dies müsse vor Veröffentlichung von Allgemeinverfügungen ebenso geprüft werden wie die Frage, ob die Behörden alles Erforderliche unternommen hätten, um verbotene Treffen festzustellen und zu unterbinden. „Insbesondere sei es nicht zielführend, ein diffuses Infektionsgeschehen ohne Beleg in erster Linie mit fehlender Disziplin der Bevölkerung sowie verbotenen Feiern und Partys im privaten Raum zu erklären“, stellt das OVG fest.[441]
Am 22. Oktober 2020 beschäftigte sich Spiegel Online mit der Zuverlässigkeit der Daten des RKI. Demnach wurde die 7-Tage-Inzidenz einzelner Landkreise vom RKI immer wieder unterschätzt. Als besonders krassen Fall einer Fehlberechnung führte die Redaktion die Berechnungen des RKI im Fall des Landkreises Cloppenburg an. Am 8. Oktober 2020 habe das RKI eine 7-Tage-Inzidenz von 24 statt 90 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner angegeben. Grund ist, dass mitunter ein Tag oder mehr vergeht, bis örtliche Gesundheitsämter die Landesbehörden über neue Fälle informieren und Letztere die Meldung ans RKI weitergeleitet haben bzw. dass Adressaten abgeschickte Daten nicht zügig registrieren (können).[442]
Im Verlaufe der Ausbreitung in Deutschland und des Lockdowns bezweifelten einige Mediziner, darunter Wolfgang Wodarg, Sucharit Bhakdi und Stefan Hockertz, die Gefährlichkeit des Virus und kritisierten die ihrer Ansicht nach überzogenen Maßnahmen. Ähnlich äußerte sich der BMI-Beamte Stephan Kohn, der einen auf Grundlage von eigenen Recherchen und einigen Experteneinschätzungen erstellten Bericht zur Kosten-Nutzen-Analyse der Anti-Corona-Regierungsmaßnahmen unabgestimmt an Behörden von Bund und Ländern versandte und nach öffentlichem Bekanntwerden vom Dienst suspendiert wurde.[443] Es gab unterschiedliche Positionen darüber, wie mit diesen von zahlreichen Fachwissenschaftlern zurückgewiesenen Ansichten umgegangen werden sollte.
Der Konfliktforscher Johannes M. Becker kritisierte, dass die Regierung bei der Bewertung ihrer Maßnahmen nur eine kleine Zahl an Experten-Meinungen und Denkrichtungen berücksichtige. Er forderte Multidisziplinarität. Auch Leute wie Wodarg hätten „bestimmte Erfahrungen, Wissen und Lösungsansätze“. Die Verengung im öffentlichen Diskurs habe die Proteste gegen die Maßnahmen verstärkt und das Gefühl erzeugt, hinter dem Handeln der Regierung würden andere Interessen stehen.[444] Der Wissenschaftsredakteur Martin Mair hält die Thesen von Wodarg im März 2020 für „gefährlich verkürzt“. Jedoch gehören die Ansichten und Mahnungen von Wodarg und weiteren Bürgern für Mair mit zur Demokratie, genauso wie es auch unterschiedliche wissenschaftliche Positionen gäbe, müsse man auch unterschiedliche Ansichten von Bürgern aushalten.[445]
Theodor Dingermann bedauerte, dass auf Verschwörungstheorien basierende oder wichtige Teilaspekte nicht berücksichtigende Denkansätze diesem Diskurs mehr schaden würden, wie dies beispielsweise bei Wodarg oder Bhakdi geschehe. So könnten seriöse Alternativmeinungen, zu denen er die Ansichten von Carsten Scheller zählt, nicht ausreichend wahrgenommen werden. Scheller hatte sich kritisch über Verzerrungen in der Statistik geäußert, die zu falschen Vorhersagen führten.[446] Joachim Müller-Jung vertrat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Standpunkt, Meinungsvielfalt bedeute nicht, jede wissenschaftliche Minderheitenmeinung trotz offensichtlicher methodischer Schwächen als gleichwertig zu behandeln. Auswahl nach Kompetenz und Fehlern sei kein Totschweigen oder Rosinenpicken.[447]
Anfang 2021 stellte der Wissenschaftsrat fest, die Wissenschaft habe Politik und Öffentlichkeit insgesamt erfolgreich über den Erkenntnisstand zu SARS-CoV-2 und COVID-19 informiert. Die Politikberatung sei allerdings zu Beginn der Pandemie stark von Medizinern und Epidemiologen dominiert worden und damit nicht vielfältig genug bezüglich der Fachrichtungen, aber auch Alter, Geschlecht und kulturellem Hintergrund.[124] Eine Studie zu Protesten gegen Infektionsschutzmaßnahmen kam 2021 zu dem Ergebnis, wissenschaftliche Außenseiter seien zu Galionsfiguren einer Protestbewegung geworden, die sich ein eigenes „Gegenwissen“ aufbaue. Die Bewegung nutze die in der Wissenschaft üblichen Unsicherheiten, um den gesamten von anerkannten Experten getragenen wissenschaftlichen Erkenntnisprozess für ungültig zu erklären. Eine wichtige Rolle spielten dabei einzelne ehemalige „Insider“ aus der kritisierten „Mainstream"-Wissenschaft“ wie Sucharit Bhakdi, die Teile der eigenen Ansichten stützten. Sie würden zu Kronzeugen eines Gegenwissens, das sich aus einem fundamentalen Misstrauen gegen politische, wissenschaftliche und mediale Eliten sowie aus emotionalen Beweisführungen und konspirationistischen Unterstellungen speise.[125]
Prominente italienische Forscher kritisierten am 16. März 2020 die Maßnahmen in Deutschland als zu schwach und empfahlen dringend eine sofortige Ausgangssperre, um die Anzahl der Infizierten im Griff zu behalten. Sie warnten davor, die Gefahr zu unterschätzen, wie das in Italien geschehen sei.[448] Dementgegen äußerten sich in Deutschland in den darauffolgenden Tagen zahlreiche Vertreter von Ärzteverbänden und prominenten Virologen kritisch zu Ausgangssperren. So nannte der Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery Ausgangssperren „politischen Aktionismus“.[449] Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Klaus Reinhardt nannte Ausgangssperren kontraproduktiv und warnte vor einer gespenstischen Atmosphäre, die die Menschen extrem ängstige.[450] Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit befürwortete in einem Interview Räumliche Distanzierung, äußerte sich aber kritisch über mögliche Ausgangssperren, weil sie den sozialen Stress förderten, was ebenfalls Krankheiten auslösen könne.[451] Gérard Krause, der Abteilungsleiter Epidemiologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, warnte vor den gesellschaftlichen Folgen der Anti-Corona-Maßnahmen „die möglicherweise mehr Schaden anrichten können als die Infektion selbst“. Zum Beispiel würden auch Arbeitslosigkeit und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit erhöhte Sterblichkeit erzeugen. Man müsse deshalb „die schwerwiegenden gesamtgesellschaftlichen Maßnahmen so kurz und so niedrig intensiv wie möglich halten“.[452]
Die Nationale Akademie der Wissenschaften erklärte am 22. März 2020: „Es deutet sich an, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein deutschlandweiter temporärer Shutdown mit konsequenter räumlicher Distanzierung aus wissenschaftlicher Sicht empfehlenswert ist. Dabei müssen notwendige und gesundheitserhaltende Aktivitäten weiterhin möglich bleiben.“[453] Am 13. April rief sie dazu auf, Nutzen und eventuelle unbeabsichtigte Folgen von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sorgfältig abzuwägen und die psychologischen und sozialen Folgen der Pandemie und der Kontaktbeschränkungen mit gezielten Maßnahmen abzufedern.[130] Michael J. Ryan, Direktor des WHO-Programms für Gesundheitsnotfälle, warnte Ende März 2020 vor den Nachteilen von "lock-downs". Sie seien aber derzeit die einzige zur Verfügung stehende Maßnahme, um die Verbreitung des Virus zu stoppen.[454] Der Gesundheitswissenschaftler und Statistiker John Ioannidis verwies darauf, dass aktuelle Entscheidungen ohne zuverlässige Datengrundlage fielen, aber von großer Tragweite seien und große Schäden nach sich ziehen könnten.[455]
Im April 2020 wiesen Mediziner und Krankenkassen darauf hin, dass die Zahl von Behandlungen und Arztbesuchen sinke, und warnten vor den gesundheitlichen Folgen, falls Menschen aus Angst vor dem Virus trotz dringendem Behandlungsbedarf nicht in die Krankenhäuser kämen.[456] Nach mehr als einem Jahr Pandemie kritisierten Aerosolforscher im April 2021, dass die in der Politik diskutierten Corona-Maßnahmen nicht dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprächen. Die Übertragung von COVID-19 finde vor allem in Innenräumen statt. Statt Spaziergänge und Treffen in Parks zu verbieten, solle das Leben und der soziale Austausch nach Möglichkeit ins Freie verlegt werden, da es an der frischen Luft so gut wie nie zu Infektionen käme und wenn, dann nicht zu sogenannten Clusterinfektionen.[457][458]
Die Debatte um die Bewertung von Folgen und Nutzen von Lockdowns setzte sich im Rahmen der Meinungsverschiedenheiten zu Zielsetzung und Strategie der Pandemiebekämpfung fort.
Eine Reihe von Geistes- und Sozialwissenschaftlern wie der Historiker René Schlott und der Philosoph Julian Nida-Rümelin sprachen sich im März 2020 dafür aus, die Einschränkungen von Grundrechten wie Versammlungsfreiheit, Gewerbefreiheit oder Recht auf Asyl schnellstmöglich zu beenden und möglichst bald das soziale, kulturelle und ökonomische Leben wieder hochzufahren. Beide warnten vor den Gefahren durch dauerhafte Grundrechtseinschränkungen und die – so Schlott – „Bereitwilligkeit, fast Willfährigkeit“, mit der die Einschränkungen hingenommen würden.[459] Dagegen erklärte zeitgleich die Nationale Akademie der Wissenschaften die von Bund und Ländern ergriffenen Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen für „derzeit dringend erforderlich“.[453] Hans-Jürgen Papier, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, erklärte, der Staat müsse zwischen Freiheit und Sicherheit der Bürger abwägen. Deshalb müsse auch im Krisenfall die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen regelmäßig mit Hilfe Sachverständiger geprüft werden. Die Auswahl der Sachverständigen müsse alle einschlägigen wissenschaftlichen Fächer berücksichtigen, also neben Medizin und Naturwissenschaften auch Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften und andere.[460]
Immer wieder gab es Kritik an der Nichteinhaltung oder inkonsequenten Umsetzung von Kontaktbeschränkungen. So stieß die Durchführung der ersten Runde der Kommunalwahlen in Bayern 2020 am 15. März 2020 mit Wahllokalen auf deutliche Kritik, weil bereits zwei Tage zuvor einschneidende Kontaktbeschränkungen angekündigt worden waren.[461] Berichte über Corona-Partys und ändere Verstöße gegen Kontaktbeschränkungen führten zu Aufrufen von Prominenten und Ärzten, zu Hause zu bleiben.[462] In einigen Fällen wurde die Quarantäne für Erkrankte und Kontaktpersonen mit Polizeigewalt durchgesetzt.[463]
Am 28. März 2020 äußerte Kanzleramtsminister Helge Braun die These, ältere Menschen müssten „noch deutlich länger als Jüngere mit Kontakteinschränkungen rechnen“.[464] Alexander Kekulé, Julian Nida-Rümelin, Boris Palmer, Christoph M. Schmidt, Thomas Straubhaar und Juli Zeh gaben in einem „Appell“ zu bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit, dass nicht vorerkrankte Jüngere an COVID-19 sterben, um den Faktor 50 niedriger liege als bei Hochaltrigen. Da das Bundesverfassungsgericht es erlaube, „Ungleiches ungleich zu behandeln“, spreche nichts gegen besondere Kontaktbeschränkungen für Hochrisikogruppen.[465]
Franziska Giffey hingegen erklärte am 9. April 2020 in ihrer Eigenschaft als für Seniorenfragen zuständige Bundesministerin, sie sei nicht der Meinung, „dass wir eine Zweiklassengesellschaft aufmachen sollten zwischen denen, die rausdürfen[,] und denen, die drin bleiben müssen.“ Man könne an die älteren Menschen appellieren, sich vernünftig zu verhalten, statt ihnen verbieten zu wollen, das Haus zu verlassen. „Ältere Menschen sind mündige Bürger“, betonte sie.[466]
Im April 2020 veröffentlichte das Deutsche Institut für Menschenrechte eine Stellungnahme mit dem Titel „Menschenrechte Älterer auch in der Corona-Pandemie wirksam schützen“. Der Staat müsse versuchen, auf seinem Staatsgebiet das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit älterer Menschen effektiv zu schützen. Es sei eine „Fehleinschätzung“, dass alle älteren Menschen schutzbedürftig sind, weil verkannt werde, dass Ältere keine homogene Gruppe sind, sondern das Risiko vom individuellen Gesundheitszustand und von der Lebenssituation abhänge. Werde zu häufig betont, dass Ältere vor allem schutzbedürftig seien, würden negative Altersbilder bekräftigt, die dann beim weiteren Umgang mit der Krise auch Grundlage für diskriminierende Regelungen sein könnten, etwa wenn verlangt würde, dass Ältere schwerwiegende Einschränkungen ihrer Rechte auch für längere Zeit hinnehmen sollen.[467]
Mehrfach kam es zu Kontroversen über Reisebeschränkungen: Etwa um den Umgang mit Flugreisen zu Beginn der Pandemie oder um den Umgang mit Skitouristen in der Wintersaison 2020/21.[468]
Der Einsatz von einfachen Masken und Behelfsmasken wurde insbesondere im März und April 2020 kontrovers diskutiert. Die WHO empfahl ursprünglich, in der Öffentlichkeit keine Masken zu tragen, weil die Gefahr bestünde, dass sich die Menschen zu sicher fühlten. WHO-Nothilfedirektor Michael J. Ryan warnte vor zusätzlichen Infektionsrisiken durch inkorrektes Abnehmen der Masken und riet davon ab, Mundschutz zu tragen, wenn man nicht selbst krank sei.[469] Auch das Robert Koch-Institut wies wegen fehlender Nachweise für die Schutzfunktion von selbstgemachten Masken im Vergleich zu MNS und FFP-Masken von einer Nutzung durch breite Bevölkerungsschichten zunächst ab. Am 2. April 2020 änderte das Robert Koch-Institut seine Aussagen dahingehend, dass auch einfache Schutzmasken sinnvoll seien, um das Risiko der Ansteckung anderer zu verringern.[470]
Schon im März 2020 hatten sich verschiedene Wissenschaftler und Medien für die Nutzung von Schutzmasken ausgesprochen. Der Virologe Christian Drosten erklärte am 23. März in seinem Podcast, dass einfache Schutzmasken zwar nicht gegen eine eigene Infektion, aber als Schutz für Fremde sinnvoll sein könnten.[471] In der taz erschien am 30. März ein Artikel, der in Deutschland eine Maskenpflicht für alle forderte.[472] Die Rheinische Post gab wiederum zu bedenken, dass eine Maskenpflicht ohne vorhandene Masken nicht funktioniere. Dieser Engpass müsse dringend behoben werden.[473] Allerdings warnten weiterhin Experten, wie bspw. der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Bernd Salzberger, die Wirkung einfacher Masken zum Selbstschutz (aber nicht zum Fremdschutz) sei ausgesprochen schlecht.[474]
Am 16. April 2020 empfahl auch die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina eine Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr.[130] Anfang Juni 2020 hat die WHO ihren Standpunkt zum Tragen von Gesichtsmasken gewechselt und erklärt nun, dass das Tragen in der Öffentlichkeit empfohlen werde, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, denn neue Informationen zeigten, dass Masken eine Barriere für infektiöse Tröpfchen sein können.[475] Die WHO empfiehlt in ihren im August 2020 veröffentlichten Richtlinien das Tragen von Masken für Erwachsene und in gleicher Weise für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren, während Kinder bis 5 Jahre keine Masken tragen sollen. Für Kinder von 6 bis 11 Jahren hänge es von der besonderen Situation ab.[476]
Die Kehrtwende vom RKI im April und der WHO im Juni 2020 wurde vom Wissenschaftsmagazin Spektrum der Wissenschaft als unverständlich spät kritisiert, dies habe in Deutschland wertvolle Zeit gekostet; so hätte bei früherer Einführung des Maskentragens der Lockdown weniger einschneidend sein können.[477]
Auch nachdem Filtermasken, die bei korrekter Verwendung besseren Eigen- und Fremdschutz als einfache Masken bieten,[478] ab dem Sommer verfügbar waren, wurde von Seiten der Behörden im öffentlichen Raum auch weiterhin das Tragen eines Schals oder Tuchs als ausreichend erachtet und erst ab Dezember 2020 wurden FFP2-Masken kostenlos bzw. verbilligt für Menschen ab 60 und andere Risikogruppen zur Verfügung gestellt, siehe Abschnitt #Kostenlose bzw. verbilligte Schutzmasken für Risikogruppen und Bedürftige.
Angesichts der trotz „Lockdown“ weiterhin hohen Infektionszahlen und der Gefahr der schnellen Verbreitung noch ansteckenderer Mutationen des Virus ist in Bayern seit dem 18. Januar 2021 das Tragen einer FFP2-Filtermaske (oder dem vergleichbaren Schutzstandard KN95 bzw. den besseren Schutzstandards FFP3, KN99) im öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel (zumindest für die Kunden) bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 15 Jahren zur Pflicht.[479] Von den Sozialverbänden in Bayern kam Kritik an den Kosten für die Betroffenen, woraufhin die bayerische Landesregierung die kostenlose Ausgabe an Bedürftige versprach.[480]
Johannes Knobloch, Leiter des Bereichs Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, gab zu bedenken, dass die FFP2-Masken so getragen werden müssen, dass sie gut abschließen. Wegen des größeren Atemwiderstands des Gewebes im Vergleich zu Stoffmasken kann es sonst sein, dass die Luft zu einem größeren Anteil ungefiltert durch die Lücke eingeatmet wird.[481]
Derzeit (Stand Januar 2021) gibt es eine Reihe von Kontroversen um Vorbereitung, Organisation und Ablauf der COVID-19-Impfung in Deutschland. Seit November 2020 wurde zunächst über die Priorisierung der COVID-19-Impfmaßnahmen diskutiert. Seit der Zulassung des ersten Impfstoffs durch die EU-Kommission im Dezember 2020 wird verstärkt debattiert, ob EU-Kommission und Bundesregierung alles Nötige für die Bereitstellung ausreichender Mengen von Impfstoff getan haben.[482][483]
Die richtige Strategie zur Bekämpfung der Pandemie war und ist politisch umstritten. Auch verschiedene wissenschaftliche Beratungsgremien und Ärzteverbände schlugen unterschiedliche Wege zum Umgang der Pandemie vor. Während die Nationale Akademie der Wissenschaften im September 2020 vor einem erneuten Anstieg der Infektionen warnte und empfahl, Infektionsschutzmaßnahmen bei Bedarf zu verschärfen,[484] kritisierte das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin im selben Monat in einer Stellungnahme einen Mangel von belastbaren Belegen zu COVID-19 und zur Effektivität der Infektionsschutzmaßnahmen. Mangels dieser sah das Netzwerk „keinen Anlass für einschneidende Maßnahmen“. Das Netzwerk sah, ebenfalls im Widerspruch zur Nationalen Akademie der Wissenschaften, ein erhebliches Risiko falsch-positiver Tests und warnte vor „irreführenden Meldungen“ von absoluten Infektionszahlen. Außerdem schlug es vor, alle politischen Entscheidungen in Form randomisierter Studien zu begleiten, also für unterschiedliche Regionen mit den gleichen Ausgangsbedingungen unterschiedliche Regelungen beschlossen werden, damit man die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen könne.[485] Die Stellungnahme wurde von anderen Wissenschaftlern, in der Öffentlichkeit und in Medien teils heftig kritisiert. Der Studie wurde vorgeworfen, sie berücksichtige wichtige wissenschaftliche Studien zum Thema nicht, zitiere die genutzten Studien teils im Widerspruch zu den Schlussfolgerungen der Autoren und verwende falsche Zahlen bei ihren Berechnungen beispielsweise zur Sterblichkeit und zur Zahl von falsch-positiven Tests.[486][487][488][489] Im Oktober 2020 hat das Netzwerk daraufhin eine Erwiderung zu der geäußerten Kritik veröffentlicht.[490]
Am 27. Oktober 2020 veröffentlichten die Präsidenten von sechs großen deutschen Forschungsorganisationen, darunter die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, eine gemeinsame Erklärung zur COVID-19-Pandemie in Deutschland. Sie warnten vor einem unkontrollierbaren Anstieg der Infektionen mit schweren Folgen für Behandlungskapazitäten und Sterbezahlen. Sie forderten eine systematische Reduzierung sozialer Kontakte, um eine effektive Fallverfolgung durch die Gesundheitsämter wieder möglich zu machen. Nur so könne eine Überlastung des Gesundheitssystems vermieden werden.[35] Dagegen warnten am 30. Oktober 2020 die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit, die Schäden eines „Lockdowns“ könnten schwerer sein als die Schäden durch höhere Infektionszahlen. Sie schlugen vor, Schutzmaßnahmen auf Risikogruppen zu konzentrieren, bei der Kontaktreduzierung auf Freiwilligkeit zu setzen und hoffen, so eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden zu können.[36]
Im Januar 2021 schlug eine Gruppe von Wissenschaftlern eine No-Covid-Strategie nach dem Vorbild von Australien und Neuseeland vor, mit kurzfristig wesentlich härteren Infektionsschutzmaßnahmen. Europaweit solle überall so lange ein Lockdown gelten, bis regional die Inzidenz von 10 unterschritten werde. In sogenannten lokalen „Grünen Zonen“ könnten dann erste Lockerungen stattfinden. Die damit verbundene kurzfristige Belastung von Psyche und Volkswirtschaft habe sozial und wirtschaftlich weniger negative Folgen als immer wiederkehrende Lockdown-Maßnahmen ohne durchgreifenden Erfolg. Zu der Gruppe gehören die Physikerin und Modelliererin Viola Priesemann sowie die Virologinnen Sandra Ciesek und Melanie Brinkmann ebenso wie zahlreiche prominente Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler wie Heinz Bude und Clemens Fuest.[491][492] Ein ähnliches Ziel verfolgt die kapitalismuskritische Kampagne Zero Covid – Für einen solidarischen europäischen Shutdown (von engl. zero = null), schlägt dafür aber deutlich andere Mittel vor, als die Wissenschaftler in der No-Covid-Strategie, insbesondere einen Lockdown der Wirtschaft.[493] Ein vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet am 3. April 2020 einberufener Expertenrat[494] schlug dagegen am 18. Januar 2021 eine Strategie vor, die darauf ziele, "öffentlich und privat mit dem Virus leben zu können.“ Sie empfahlen, durch Impfungen und Schutzmaßnahmen für Risikogruppen das Virus zu kontrollieren und damit auf ein im Vergleich mit anderen Infektionskrankheiten hinnehmbares Maß zu bringen. Als medizinischer Experte war auch an dieser Empfehlung Hendrik Streeck federführend beteiligt.[495]
Das Robert Koch-Institut schlug im Februar 2021 eine „Control COVID“-Strategie vor. Eines der Ziele ist, eine Inzidenz unter 10 pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen zu erreichen, damit ein exponentielles Wachstum der Pandemie ausgeschlossen werden kann, solange noch nicht große Teile der Bevölkerung geimpft sind.[496]
Der Pandemieverlauf und mögliche Gegenstrategien werden auch von Volkswirtschaftlern und Physikern erforscht.[497]
In März 2021 kam es wegen spät bzw. unzureichend bestellter Schnelltests zu gegenseitigen Vorwürfen der Verantwortlichen in Bund und Ländern.[498]
Martin Michaelis, Vorsitzender der Pfarrervertretung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, kritisierte Überlegungen, die Teilnahme an Gottesdiensten nur noch unter Vorlage eines tagesaktuellen negativen Schnelltests oder Impfnachweises zu erlauben. Er verglich entsprechende Pläne mit der Versuchung Jesu.[499]
Der stellvertretende Präses des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), Frank Uphoff, forderte in einem Gottesdienst am 28. März 2021 eine Änderung der Rechtsvorschriften zum Schutzes vor COVID-19, um den Gesang in Präsenzgottesdiensten wieder zu erlauben. Seiner Ansicht nach sei die darin liegende geistliche Bedeutung „wesentlich stärker als der zusätzliche Schutz, den wir dadurch erreichen, wenn wir es nicht tun.“[500]
Die Maßnahmen gegen die Pandemie wurden auch juristisch beurteilt. Vielfach wurden Versammlungs- und Veranstaltungsverbote geprüft, da diese grundrechtlich geschützte Freiheiten einschränkten. Auch die Frage nach der Ungleichbehandlung bei den Maßnahmen war Thema gerichtlicher Auseinandersetzung, wie etwa die 800-Quadratmeter-Regel im Einzelhandel vom Frühjahr 2020. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, bezeichnete die Maßnahmen gegen die Epidemie als in Ausmaß und Tragweite bislang einmalige Grundrechtsbeschränkungen, die in jedem Einzelfall auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden müssten.[460] Einige Gerichte erklärten einzelne Regelungen für unverhältnismäßig und hoben sie auf, darunter Ausgangssperren, Beherbergungsverbote und Demonstrationsverbote.[501]
Ab dem 12. März 2020 veröffentlichte Infratest dimap Ergebnisse ihrer Trendstudie „CoronaTREND Deutschland“ zur Haltung der Bevölkerung zu den getroffenen Maßnahmen als auch zu Verschärfungen, Lockerungen oder der kompletten Aufhebung von Maßnahmen. Seit dem 12. März 2020 wurden mittels dieser Online-Befragung täglich rund 300 Personen ab 18 Jahre interviewt. Im August wurde die Studie zunächst eingestellt. Seither gab es jedoch andere gleichgelagerte repräsentative Umfragen von Infratest dimap,[502][503][504][505][506][507][508] der Forschungsgruppe Wahlen[509][510][511][512][513][514][515][516] und anderen Instituten.
Die COSMO-Beobachtungsstudie stellt mit Stand Januar 2021 eine stabile allgemeine Akzeptanz für die Maßnahmen der Politik fest.[517] Allerdings nehme der Ärger über Maßnahmen deutlich zu (von 24 % im Dezember 2020 auf 32 % im Januar 2021). Nur noch 40 % vertrauten der Regierung (im Dezember 2020 seien es 48 % gewesen).[518] Eine absolute Mehrheit der Befragten empfindet es COSMO zufolge als „(eher) schlecht“, dass das eigene Bundesland Regelungen eingeführt hat, die nicht mit den Beschlüssen der Videoschaltkonferenz der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder am 10. Januar 2021 übereinstimmen.[519]
Der Artikel COVID-19-Pandemie in Deutschland in der deutschen Wikipedia belegte im lokalen Ranking der Popularität folgende Plätze:
Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2021-06-13 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=11177966