Anton Wilhelm Amo, auch bekannt als Antonius Guilielmus Amo Afer ab Aximo in Guinea (* um 1703 in Nkubeam bei Axim, heute Ghana; † nach 1753 vermutlich im heutigen Ghana, laut Grabstein bei Shama † 1784), war der erste bekannte Philosoph und Rechtswissenschaftler afrikanischer Herkunft in Deutschland. Er stellte die Ungleichheit von schwarzen Europäern in Frage und gilt als ein Vordenker des Antirassismus.[1]
Amo wurde angeblich als Kind versklavt und von der Niederländisch-Westindischen Gesellschaft (niederländisch Geoctroyeerde West-Indische Compagnie, häufig kurz WIC) nach Amsterdam verschleppt. Von dort sei er an Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel „verschenkt“ worden, der ihn als „Kammermohren“ an seinen Sohn August Wilhelm „weitervererbt“ habe.
Der DDR-Historiker Burchard Brentjes hingegen berichtet, er habe 1975 bei einem Besuch der Familie Amos in Ghana gehört (→ Oral History), das Kind sei von seiner Mutter zu deren Schwestern nach Amsterdam geschickt worden, um dort ausgebildet zu werden. Kwame Nkrumah, erster Präsident des unabhängigen Ghana, der selber zu Amo geforscht hatte und aus derselben Gegend wie Amo stammte, hielt es für „sehr wahrscheinlich“, dass Amo zum Studium geschickt wurde.
1708 wurde Amo in der Schlosskapelle Salzdahlum in Wolfenbüttel evangelisch getauft und erhielt den Namen Anton Wilhelm Amo. 1721 wurde er ebenfalls in der Schlosskapelle konfirmiert. Seine Taufpaten und Namensgeber waren Herzog Anton Ulrich und sein Sohn August Wilhelm.
Amo erhielt am humanistisch geprägten Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel eine hervorragende Bildung. Vielleicht besuchte er von 1717 bis 1721 die Ritterakademie Rudolph-Antoniana in Wolfenbüttel und von 1721 bis 1727 die protestantische Universität Helmstedt.[2] Neben Deutsch erlernte er Französisch, Griechisch, Hebräisch, Niederländisch und Latein. Im braunschweigisch-Wolfenbütteler Hofkalender bzw. Adressbuch wird „Anthon Wilhelm Amo, der Mohr, Log. aufm Schloß“ 1721 unter den „Hertzogl. Laqveyen“ und 1725 als „Mohr, Anthon Wilhelm, bey Ihro Durchl. dem regierenden Hertzog Cammer-Bediente“ aufgeführt.[3]
Ab 1727 studierte er an der Universität Halle Philosophie und Rechtswissenschaften. 1729 verfasste er seine erste Disputation unter dem Titel De iure Maurorum in Europa in lateinischer Sprache (deutsch Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa).[4] 1730 immatrikulierte er sich an der Philosophischen Fakultät der Universität Wittenberg und erhielt schon nach einem Monat den akademischen Grad eines Magisters der Philosophie und Freien Künste, was ihm erlaubte, Vorlesungen anzubieten, während derer er gleichzeitig seine Studien fortsetzte. Wie angesehen er war, lässt sich daraus erschließen, dass er die Prozession anführte, mit der die Universität 1733 den neuen Kurfürsten Friedrich August II. bei seinem Besuch begrüßte. 1734 promovierte er in Wittenberg mit seiner Dissertation über das Leib-Seele-Problem mit dem Titel De humanae mentis apatheia (deutsch Über die Empfindungslosigkeit des menschlichen Geistes). 1736 wechselte er wieder an die Philosophische Fakultät der Universität Halle und unterrichtete dort als Privatdozent. 1739 lehrte er laut einer Vorlesungsankündigung aus seiner Feder an der Universität Jena. Seit 1740 ist Amo in Jena nicht mehr belegt, über seinen späteren Aufenthalt ist nichts bekannt.
1747 verließ er Deutschland in Richtung Ghana. Hintergründe sind vermutlich der Tod seiner Mentoren und Freunde, berufliche Schwierigkeiten, zunehmender Rassismus und gesellschaftliche Isolation: 1731 verstarb sein Mentor Herzog August Wilhelm, 1743 sein Freund Johann Peter von Ludewig. Auf einen Heiratsantrag folgte 1747 eine Spottkampagne, die in der Veröffentlichung rassistischer Spottgedichte des Hallenser Rhetorikprofessors Johann Ernst Philippi kulminierte.[5] Wenig wahrscheinlich ist die Vermutung, dass sich Amos Antrag an Anna Dorothea Gnüge (1715–1764) richtete,[6] seit 1737 Ehefrau von Samuel Gotthold Lange, die 1746 unter dem Pseudonym „Doris“ einen abgewiesenen Verehrer in einem Gedicht als Satyr und „Waldbewohner“ verspottete.[7]
Amo lebte danach zunächst als Einsiedler in Axim und später im Fort San Sebastian bei Shama. Sein genaues Todesjahr ist nicht bekannt; auf seinem neuen Grabstein vor dem Fort Shama steht das Sterbejahr 1784.
Die ausführlichsten biografischen Angaben zu Amo und seiner Familie finden sich in einem Nachruf von Isaac Winckelman (1723–1796)[8] auf den Mediziner David Henry Gallandat (1732–1782),[9] der Amo nach seinen Tagebuchaufzeichnungen 1753 auf einer Reise in Axim an der „Goldküste“ besucht hatte.[10]
Während des Studiums von Anton Wilhelm Amo war Halle ein wichtiges wissenschaftliches Zentrum innerhalb des deutschsprachigen Raumes, da dort sowohl die ersten Vertreter der Frühaufklärung als auch die Pietisten präsent waren. Dementsprechend ergaben sich zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten Pietisten und Rationalisten. Der Hallische Pietismus war unter anderem durch den bekannten Theologen August Hermann Francke geprägt. Er setzte sich für die Erneuerung der kirchlichen Tradition ein. Demgegenüber positionierte sich Christian Wolff als einer der ersten Vertreter der Frühaufklärung, der mit dem Begriff der Vernunft argumentierte und beispielsweise Deutsch als philosophische Sprache statt Latein betonte.
In diesem Umfeld studierte auch Amo und war dementsprechend zwangsläufig in diesen Diskussionen einbezogen, wobei er einer klaren Positionierung widersprach. So ist auch innerhalb der heutigen Debatte noch hoch umstritten, ob er ein Wolffianer war oder nicht.[11] Auch wenn es Unterschiede zu der Wolffianischen Tradition gab (Amo schrieb beispielsweise in Latein), lässt sich erkennen, dass er dieser deutlich näher stand als den pietistischen Vertretern. Dennoch umging er die Frontlinien und versuchte sich aktiv durch eine eigene Positionierung im Feld zu behaupten.
In seiner Zeit an der Hallenser Universität wurde er maßgeblich von dem damaligen Universitäts-Kanzler Johann Peter von Ludewig unterstützt.[12] 1729 veröffentlichte Amo seine erste Disputation unter dem Vorsitz von Ludewig mit dem Titel De iure Maurorum in Europa, oder vom Mohren-Recht. Sie beschäftigt sich mit der Rechtsstellung schwarzer Menschen im Europa der damaligen Zeit, die weitgehend rechtlos waren. Dieser Text konnte aber nicht wieder aufgefunden werden; auch in seinen späteren Werken griff er nicht direkt auf ihn zurück. Der Inhalt der Dissertation wurde jedoch in einem zeitgenössischen Zeitungsbericht zusammengefasst:[13]
„Darinnen dan̄ nicht allein ex LL. und der Historie gezeuget; daß der Mohren ihr König bey dem Römischen Käyser ehedem zu Lehen gegangen, und jeder von demselben ein Königs-Patent, welches auch Justinianus ausgetheilet, hohlen müssen; sondern auch vornehmlich dieses untersuchet, wie weit der von Christen erkaufften Mohren in Europa ihre Freyheit oder Dienstbarkeit, denen üblichen Rechten nach, sich erstrecke.“
Trotz Ludewigs Unterstützung wechselte Amo 1730 nach Wittenberg, wodurch er sich freiere Forschungsmöglichkeiten und Schutz vor den Pietisten erhoffte. In Wittenberg erlangte er sehr schnell den akademischen Grad des Magisters der Philosophie und der freien Künste. Damit konnte er selbst erste Lehrveranstaltungen durchführen. Weiterführend wandelte er mit der Zeit sein wissenschaftliches Profil hin zu medizinischen Studien, wobei er beispielsweise durch den Physiker Martin Gotthelf Löscher unterstützt wurde. Auf diesen Erfahrungen aufbauend, veröffentlichte er 1734 seine Dissertation zum Thema Körper und Seele, ein Dualismus, der zur damaligen Zeit ein wichtiges philosophisches Konzept darstellte. Die Dissertation hatte den Namen De humanae mentis apatheia. In dieser griff er auf Philosophen wie John Locke oder René Descartes zurück. Er postuliert dabei eine starke Trennung zwischen Leib und Seele. So steht seiner Meinung nach der Geist außerhalb jedes Leides des Körpers, wodurch körperliche Qualen, Nötigungen und Folter den Geist nicht zum Leiden bringen können. Damit ist die menschliche Seele von allem Materiellen und Körperlichen getrennt. Im Umkehrschluss kann sich der Geist jenseits materieller, physischer Gegebenheiten und Charakteristika des Körpers (z. B. Stigmata) frei entfalten.[14]
Wohl auch im Zusammenhang mit der Politik der Völkerfreundschaft der DDR lässt sich ein verstärktes (Forschungs-)Interesse an Anton Wilhelm Amo in den 1960er Jahren erkennen. Dies ist insbesondere auf den ersten Präsidenten Ghanas, Kwame Nkrumah, zurückzuführen, welcher sich für Amo interessierte. Daraufhin wurde in Halle ein Forschungszentrum zu Amo eingerichtet, wobei insbesondere Burchard Brentjes zu nennen ist. Er veröffentlichte 1965 beispielsweise das Buch Anton Wilhelm Amo. Der schwarze Philosoph in Halle.[15]
In diesem Kontext lässt sich auch die Statue erklären, welche zu Ehren Amos auf dem Universitätscampus neben dem Robertinum am Universitätsring aufgestellt wurde. Es handelt sich um eine Bronzeplastik des Bildhauers Gerhard Geyer. 1961 unternahm dieser eine Studienreise in das heutige Guinea und Ghana, organisiert von der Akademie der Künste der DDR. Inspiriert durch seine Reise gestaltete er die Plastik im Auftrag der DDR. Es war ursprünglich geplant, dass die Statue als Geschenk nach Ghana geschickt werden sollte, um dort vor einer Bibliothek aufgestellt zu werden. Die Motivauswahl lässt sich dementsprechend analysieren: Die Frau und der Mann stehen nebeneinander, symbolisch als Gleichgestellte im Sozialismus, dargestellt in der sozialistischen Arbeiterposition, mit den Händen zu Fäusten geballt. In Anlehnung an die Unabhängigkeitsbewegungen der afrikanischen Länder ist der Titel der Statue „Freies Afrika“. Nach der Fertigstellung der Statue wurde diese allerdings aufgrund veränderter politischer Umstände nicht überreicht. Stattdessen wurde sie 1965 auf dem Universitätscampus in einem komplett anderen Kontext aufgestellt und 1975 um eine Gedenkplatte ergänzt. Dementsprechend wurde die Statue nicht, wie vorher angegeben, im Auftrag der Universität Halle-Wittenberg erstellt. Gerhard Geyer hatte bei der Erstellung der Statue auch nicht an Amo gedacht. Zwar existiert kein Porträt von Amo, doch aufgrund seiner universitären Tätigkeit im 18. Jahrhundert ist nicht davon auszugehen, dass er so ausgesehen hat wie in Geyers Plastik dargestellt.
Seit 1994 verleiht die Universität Halle-Wittenberg den Anton-Wilhelm-Amo-Preis für besondere wissenschaftliche Arbeiten an Studenten und Graduierte. Seit 2016 findet regelmäßig die Anton Wilhelm Amo Lecture statt.[16]
Insbesondere für die afrodeutsche Gemeinschaft stellt Amo ein wichtiges Vorbild dar. So forderten 2018 beispielsweise Aktivisten in Berlin die Umbenennung der dortigen Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße, um unter anderem die Erinnerung an ihn und seine Geschichte weiterzutragen.[17] Im August 2020 wurde damit begonnen, die Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umzubenennen.[18]
Der Kunstverein Braunschweig ehrte Amo vom 28. März bis zum 13. September 2020 mit einer Ausstellung,[19][20] die von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Jule Hillgärtner und Nele Kaczmarek kuratiert wurde. Für die Dauer der Ausstellung benannte sich der Kunstverein auf Anregung des Architekten Konrad Wolf in Anton Wilhelm Amo Center um; umgesetzt wurde dies durch einen Eingriff auf der Internetseite des Vereins.[21] Die Umbenennung wie die Ausstellung sollten temporär einen Ort schaffen, der der kritischen Auseinandersetzung mit hegemonialem Wissen gewidmet ist.
Personendaten | |
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NAME | Amo, Anton Wilhelm |
ALTERNATIVNAMEN | Amo Afer, Antonius Guilelmus; Amo Afer ab Aximo in Guinea, Antonius Guilielmus; Amo, Wilhelm Anton; Amo, Anton; Amo, Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | afrodeutscher Philosoph und Wissenschaftler |
GEBURTSDATUM | um 1703 |
GEBURTSORT | Nkubeam bei Axim, heute Ghana |
STERBEDATUM | nach 1753 |
STERBEORT | unsicher: im heutigen Ghana |
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