Alice Wu

Alice Wu, 2005

Alice Wu (eigentlich Wu Siwei, chinesisch 伍思薇, Pinyin Wǔ Sīwēi; geboren 21. April 1970 in San José) ist eine sino-amerikanische Regisseurin und Drehbuchautorin. Bekannt wurde sie durch ihr auf mehreren renommierten Filmfestivals aufgeführtes Debüt Saving Face aus dem Jahr 2004, in dem es um eine sino-amerikanische Ärztin geht, die sich in eine andere Frau verliebt, sowie um ihre Mutter, die von ihrer Gemeinschaft ausgestoßen wird, da sie unverheiratet mit 48 Jahren noch einmal schwanger ist. Obwohl es Gemeinsamkeiten zwischen Wu und einer der Hauptfiguren gebe, sei der Film keine Autobiografie.

Leben

Alice Wu wurde in San José im US-Bundesstaat Kalifornien geboren, wo sie zunächst auch aufwuchs. Später zog ihre Familie nach Los Altos; dort machte Wu im Alter von 16 Jahren ihren Abschluss an der örtlichen High School.[1] 1990 erhielt sie einen Bachelor in Informatik an der Stanford University, zwei Jahre später einen Master im selben Fach.[2] Zuvor war sie auch Studentin am Massachusetts Institute of Technology.[1]

Nach ihrem Abschluss arbeitete Wu zunächst in Seattle als Softwareentwicklerin für Microsoft, anschließend als Produkt-Managerin bei Cinemania and Music Central, einer Unterhaltungs-Abteilung des Konzerns, die Film- beziehungsweise Musikdatenbanken auf CD-ROMs produzierte, allerdings Ende der 1990er Jahre eingestellt wurde, da sie durch die Weiterentwicklung des Internets nicht mehr profitabel erschien.[2]

Wu ist offen lesbisch; nach eigenen Angaben bemerkte sie ihre sexuelle Orientierung, als sie am Massachusetts Institute of Technology einen Kurs in Gender Studies (Geschlechterforschung) besuchte. Sie outete sich während ihres letzten Studienjahrs an der Stanford University bei einem Besuch gegenüber ihrer Mutter, wodurch es zum Zerwürfnis kam. Wu versöhnte sich wenige Jahre später allerdings mit ihrer Mutter, die ihre Homosexualität schließlich akzeptierte.[1] Wu widmete ihr auch Saving Face, da sie ihr nach eigenen Angaben aufzeigen wollte, dass es nie zu spät sei, sich zum ersten Mal im Leben wirklich zu verlieben. Zudem sei der Film eine Möglichkeit gewesen, ihre Mutter auf eine positive Art und Weise zu repräsentieren.[3] Laut Wu sei Wil, eine der Hauptfiguren, an sie angelehnt,[4] jedoch basierten die Geschehnisse in Saving Face nicht auf ihren eigenen Erfahrungen.[2]

Karriere

Saving Face

Während ihrer Zeit bei Microsoft begann Wu, einen Roman über ihr Coming-out gegenüber ihrer Mutter zu verfassen. Sie entschied, dass die Geschichte besser als Skript geeignet wäre, weswegen sie einen zwölfwöchigen Kurs für Drehbuchautoren an der University of Washington besuchte. Dort verfasste sie ein komplettes Skript, dem sie den Titel Saving Face gab, eine Anspielung auf das vor allem im ost-asiatischen Raum verbreiteten Konzept des Gesichts. Der Kursleiter ermutigte sie, ihr Drehbuch zu verfilmen, weswegen Wu Ende der 1990er Jahre bei Microsoft kündigte, nach New York City zog, einen Kurs für aufstrebende Filmemacher besuchte und sich ein Zeitfenster von fünf Jahren gab, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.[2][3]

2002, im vorletzten Jahr ihres selbstgesetzten Zeitplans, reichte Wu ihr Drehbuch bei einem Wettbewerb ein, der von der Coalition of Asian Pacifics in Entertainment gesponsert wurde, einer Organisation, die asiatische Amerikaner und pazifische Insulaner beim Einstieg in die Unterhaltungsindustrie unterstützt.[2] Durch ihren Sieg beim Wettbewerb lernte sie Teddy Zee kennen, den ebenfalls chinesisch-stämmigen Präsidenten der von Will Smith gegründeten Produktionsfirma Overbrook Entertainment.[5]

Laut Wu wollte sie den Zuschauern mit ihrer Produktion verdeutlichen, dass es für sie, egal welcher Sexualität oder kulturellen Hintergrunds, nie zu spät sei, etwas zu erhalten, was sie eigentlich schon ihr ganzes Leben lang haben wollten. Zudem sei es ihr Ziel gewesen, mit Saving Face eine universelle Geschichte erzählen, die nicht nur in ihrer eigenen sino-amerikanischen Gemeinschaft, sondern für alle nachvollziehbar sei, die schon einmal die verzückte Instabilität romantischer Zuneigung erlebt hätten.[6]

Wu sah sich bei der Verwirklichung ihrer Produktion einigen Hürden ausgesetzt. Zwar hätten mehrere bekannte Studios an dem Skript Interesse bekundet, von ihr aber etliche Änderungen gefordert. So sollte die Handlung der von My Big Fat Greek Wedding – Hochzeit auf griechisch ähneln, weswegen die Charaktere in einem derartigen Film auch Hispanics und nicht Sino-Amerikaner werden sollten,[7] als Alternative legten sie ihr nahe, Mutter und Tochter in weiße Charaktere umzuschreiben, damit sie von bekannten Darstellerinnen wie Reese Witherspoon und Ellen Burstyn gespielt werden.[3] Da sich Wu nicht darauf einließ, verlangten die Studios als Kompromiss, zumindest den Schwarm der Tochter in eine weiße Frau umzuändern, damit jemand wie Scarlett Johansson in der Rolle besetzt werden und dem Film so mehr öffentliche Aufmerksamkeit bringen könne. Ferner stellten die Studios auch die Dialoge in Mandarin, die lesbische Beziehung an sich sowie Wus Tätigkeit sowohl als Regisseurin als auch als Drehbuchautorin in Frage. Aus diesen Gründen entschloss sich Wu schließlich, das Skript nicht an eine große Produktionsfirma zu verkaufen, sondern sich an Teddy Zee zu wenden, der den Film gemeinsam mit Will Smith finanzierte, Produktionsfirma war Destination Films, eine Sparte von Sony Pictures Entertainment, die sich auf Nischen-Filme fokussiert.[2]

Auch bei der Besetzung der Rollen hatte Wu einige Schwierigkeiten, da sie zunächst keine Darsteller finden konnte, die Mandarin beherrschten. Sie musste sich mit ungefähr 1000 Schauspielern treffen, bevor sie das Ensemble zusammenstellen konnte.[7] Zudem hätte ihr in China lebender Wunschkandidat für eine der Hauptrollen aufgrund von Visa-Problemen nicht in die Vereinigten Staaten einreisen können, weswegen sie seine Zweitbesetzung engagierte.[5] Lynn Chen musste für die Rolle von Viv mehrmals vorsprechen, da sie beim ersten Mal keinen Zugang zum Drehbuch hatte und ihre Rolle sozusagen falsch spielte, da sie nichts von der Homosexualität ihrer Figur wusste.[6] Michelle Krusiec war keine Muttersprachlerin, weswegen Wu sie zu einem dreimonatigen Sprachkurs nach Taiwan fliegen ließ und ihr erlaubte, im Film nur dann Mandarin zu sprechen, wenn Wil in Streit mit ihrer Film-Mutter geriet.[7]

Die Dreharbeiten in den New Yorker Stadtteilen Flushing, Queens, Brooklyn und Manhattan[5] starteten im Herbst 2003, das Budget betrug dabei 2,5 Millionen Dollar. Das knappe Budget erwies sich als Problem, weil Wu in der Produktion Landschaftsaufnahmen der Stadt verwenden wollte. Die entsprechenden Mitglieder des Produktionsteams durften schließlich in einem Helikopter mitfliegen, dessen Pilot Luftaufnahmen von Manhattan für den Film Hitch – Der Date Doktor machte.[2]

Für Saving Face erhielt Wu 2005 eine Nominierung bei den Gotham Awards in der Kategorie Bester neuer Regisseur.[8] Auf dem Golden Horse Film Festival im selben Jahr erhielt der Film den Publikumspreis, Michelle Krusiec war zudem in der Kategorie Beste Darstellerin nominiert.[9] Bei den GLAAD Media Awards 2006 erhielt der Film eine Nominierung in der Kategorie Bester Film – Limitierte Veröffentlichung.[10]

Nicht realisierte Projekte

2005 nahm Wu im Auftrag von Paramount Pictures ihre Arbeit an Foreign Babes in Beijing auf. Der Film sollte eine Adaption des gleichnamigen Buches der Schauspielerin und Autorin Rachel DeWoskin werden, die 1994 im Alter von 22 Jahren als PR-Beraterin nach Peking zog, dort bis 1999 lebte und eine Hauptrolle in der äußerst erfolgreichen Seifenoper Yáng niū zài Běijīng verkörperte. Das Buch enthält zudem die Schilderungen DeWoskins über die kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen der Stadt aufgrund Chinas Modernisierungs-Maßnahmen. Allerdings wurde der Film letztendlich nie über die Vorproduktion hinaus realisiert.[11][12]

2008 wurde Wu mit ihrer Idee zu Foobar bei ABC vorstellig. Die Drama-Serie sollte von jungen Angestellten eines großen Software-Unternehmens handeln, die sowohl mit ihrer Arbeit einen technologischen Durchbruch erzielen wollen, als auch durch wachsendes Verantwortungsbewusstsein langsam erwachsen werden. Der Titel bezog sich auf FUBAR, einem vor allem im Militär genutzten Akronym für fucked up beyond all recognition (sinngemäß etwa über die Vorstellbarkeit hinaus beschissen). Die Handlung war von Wus eigenen Erfahrungen bei Microsoft inspiriert. Neal H. Moritz sollte neben Wu als Executive Producer fungieren, Produktions-Unternehmen war Sony Pictures Television. Wu führte zudem bei der Pilotfolge die Regie und verfasste das Drehbuch. Die Serie wurde schließlich von ABC nicht ins Programm aufgenommen.[13][14]

Nur die halbe Geschichte

Am 22. April 2019 wurde bekanntgegeben, dass Wu bei Nur die halbe Geschichte (Originaltitel The Half of It) als Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin fungieren wird, dessen Drehbuch im Vorjahr auf der Black List der laut US-amerikanischen Filmkritikern besten noch nicht verfilmten Skripte stand. Er handelt von der schüchternen, sino-amerikanischen Schülerin Ellie Chu, die sich in ihrer kleinen Heimatstadt einsam fühlt. Sie verdient Geld, indem sie für ihre Mitschüler die Aufsatz-Hausaufgaben schreibt. Eines Tages erklärt sie sich bereit, für den Jock Paul Munsky Liebesbriefe an Aster Flores zu verfassen, für die Ellie selbst heimlich schwärmt.[15] Eigentlich war die Premiere am 18. April 2020 auf dem Tribeca Film Festival angesetzt,[16] das jedoch aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden musste.[17] Der englische Originaltitel ist eine Anspielung auf ein Zitat in Platons Symposion, in dem Aristophanes die Ursprünge der menschlichen Suche nach der anderen Hälfte, also einem gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Liebespartner, zur persönlichen Vollkommenheit erläutert.[18] Der Film wurde am 1. Mai weltweit auf Netflix veröffentlicht,[19] Wu erhielt als Mit-Produzentin von der Jury der online stattfindenden Tribeca-Preisverleihung den Hauptpreis für den besten Spielfilm.[20] Wu wurde zudem unter anderem für ihre Arbeit am Film im Juni 2020, zum 50. Jubiläum der ersten Pride Parade der Vereinigten Staaten, von der sich an LGBT-Leser richtenden Online-Publikation Queerty zu einer der 50 Personen ernannt, die die USA in Richtung Gleichheit, Akzeptanz und Würde für alle lenkten.[21]

Filmografie

Weblinks

Commons: Alice Wu – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c G. Allen Johnson: Alice Wu saved up her own doubts and struggles and turned them into the new comedy 'Saving Face'. In: San Francisco Chronicle. 6. Juni 2005, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  2. a b c d e f g Ed Leibowitz: Kissing Vivian Shing. In: The New York Times. 29. Mai 2005, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  3. a b c Logan Hill: Debut Director: Alice Wu. In: New York. 26. Mai 2005, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  4. SAVING FACE WITH ALICE WU. In: Film Threat. 27. Mai 2005, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  5. a b c Jason Guerrasio: Production Report: “American Hardcore,” “Patch,” “P.S.,” “Saving Face,” & “Vineyard Haven”. In: IndieWire. 2. März 2004, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  6. a b Sarah Warn: Interview with Alice Wu and Joan Chen of “Saving Face”. In: After Ellen. 26. Mai 2005, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  7. a b c Kera Bolonik: Message to Mom. The Advocate, Ausgabe vom 7. Juni 2005, S. 65.
  8. Saving Face and Murderball nominated for Gotham Awards. In: The Edit Center. 25. Oktober 2005, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  9. 42nd 2005. In: Golden Horse Film Festival. Abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  10. Lawrence Marcus: GLAAD hands out noms. In: Variety. 24. Januar 2006, abgerufen am 10. April 2020 (englisch).
  11. Brian B.: Paramount Taps Alice Wu for Foreign Babes in Beijing. In: MovieWeb. 16. Dezember 2005, abgerufen am 9. April 2020 (englisch).
  12. Rachel DeWoskin: Foreign Babes in Beijing W. W. Norton & Company (2005), S. 10.
  13. Josef Adalian: Alice Wu, Neil Moritz team on ‘Foobar’. In: Variety. 20. September 2007, abgerufen am 9. April 2020 (englisch).
  14. Mariano Glas: Foobar: ABC mit TV-Serie über Computer-Freaks. In: Serienjunkies.de. 24. September 2007, abgerufen am 9. April 2020.
  15. Etan Vlessing: Leah Lewis, Alexxis Lemire to Star in Alice Wu's 'The Half of It' Teen Romance for Netflix. In: The Hollywood Reporter. 22. April 2019, abgerufen am 9. April 2020 (englisch).
  16. Jill Goldsmith: Tribeca Fest 2020 Sets Feature Film Lineup With 95 World Premieres. In: Deadline.com. 3. März 2020, abgerufen am 9. April 2020 (englisch).
  17. Hilary Lewis, Trilby Beresford: Tribeca Film Festival Postponed Amid Coronavirus Fears. In: The Hollywood Reporter. 3. Dezember 2020, abgerufen am 9. April 2020 (englisch).
  18. Peter Debruge: ‘The Half of It’ on Netflix: Film Review. In: Variety. 28. April 2020, abgerufen am 4. Mai 2020 (englisch).
  19. Dino-Ray Ramos: ‘The Half Of It’ Trailer: Alice Wu’s Coming-Of-Age Netflix Dramedy Delivers A Different Kind Of Love Story. In: Deadline.com. 9. April 2020, abgerufen am 9. April 2020 (englisch).
  20. Chris Lindahl: Tribeca Film Festival Awards ‘The Half of It,’ ‘Socks on Fire’ Top Honors. In: IndieWire. 29. April 2020, abgerufen am 4. Mai 2020 (englisch).
  21. David Reddish: Meet the world-class performers who are diversifying LGBTQ representation. In: Queerty. 1. Juni 2020, abgerufen am 17. August 2020 (englisch).

Information

Der Artikel Alice Wu in der deutschen Wikipedia belegte im lokalen Ranking der Popularität folgende Plätze:

Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2021-06-13 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=11241885