Aerosolbombe

Test einer Aerosolbombe der US Navy im Jahr 1972 an dem ausrangierten Geleitzerstörer USS McNulty.

Eine Aerosolbombe (englisch Fuel-Air Explosive (FAE) oder Fuel-Air Bomb, thermobaric bomb), umgangssprachlich auch Vakuumbombe oder Druckluftbombe, ist eine Waffe, deren Wirkung auf der Zündung einer als Aerosol verteilten Substanz ohne enthaltenes Oxidationsmittel beruht. Derartige Waffen wurden in den 1960er Jahren in den USA und gleichzeitig in der Sowjetunion entwickelt; allerdings wurden die ersten Versuche schon während des Zweiten Weltkrieges von der deutschen Luftwaffe durchgeführt. Als ihr Erfinder gilt Mario Zippermayr.

Gemäß dem Genfer Protokoll III über Brandwaffen von 1980 ist der Einsatz eines solchen Systems in der Nähe von ziviler Infrastruktur oder gar gegen Zivilisten verboten.[1]

Aufbau

Eine Aerosolbombe besteht aus einem Behälter mit einer brennbaren, meist gesundheitsgefährdenden Substanz, z. B. Ethylenoxid, Propylenoxid oder Decan. Zur Zündung werden zwei Sprengladungen verwendet: Durch die erste Sprengung wird der Brennstoff fein in der Luft verteilt, das Aerosol entsteht. Danach, typischerweise etwa 0,15 Sekunden später, wird die Aerosolwolke entzündet. Moderne Varianten der Aerosolbomben kommen allerdings inzwischen mit einer Sprengladung aus, die gleichzeitig sowohl die Verteilung als auch die Zündung übernimmt.

Hauptprobleme bei der Konstruktion dieser Waffen sind das Herstellen des richtigen Verhältnisses von Luft und Brennstoff für eine Verpuffung und damit verbunden u. a. eine präzise Ausführung des Brennstoffbehälters, der dann für eine gleichmäßige Verteilung des Brennstoffs in der Luft sowie die genaue zeitliche Folge der Zündungen sorgt.

Wirkung

Eine A-1E der USAF mit einer BLU-72/B-Aerosolbombe im Vietnamkrieg

Die nach der Zündung durch die folgende Verpuffung entstehende Druckwelle ist zwar wesentlich schwächer als die eines vergleichbaren Sprengstoffes wie TNT, allerdings erfolgt die Verpuffung fast gleichzeitig in einer Kugel mit 10 bis 40 m Durchmesser. Der Brennstoff kann in Höhlensysteme, Bunker o. ä. eindringen, was diese Waffen auch gegen befestigte Ziele wirkungsvoll macht, gegen die konventionelle Sprengkörper wegen der mangelnden Druckwirkung nur eingeschränkt effektiv sind. Außerdem hält die Druckwirkung wesentlich länger an als bei einem konventionellen Sprengstoff. Darüber hinaus haben Aerosolbomben eine wesentlich stärkere Hitzewirkung als konventionelle Sprengladungen. Das macht diese Bombe effektiver für die Tötung von Menschen oder die Zerstörung ungepanzerter Fahrzeuge.

Als Folge der Verpuffung tritt nachfolgend auf die Druckwelle die „Vakuumwirkung“ ein, wie es auch bei herkömmlichen chemischen und nuklearen Sprengsätzen geschieht. Dieser Effekt gab der Waffe ihren umgangssprachlichen Namen. Durch den verhältnismäßig großen Feuerball ist allerdings die Sogwirkung im Vergleich zu einer gleich starken konventionellen Sprengladung wesentlich stärker. Dabei handelt es sich nicht um ein Vakuum im eigentlichen Sinne, sondern um eine Phase des Unterdrucks. Die Explosion entzieht der Luft Sauerstoff, weil der Sprengsatz kein eigenes Oxidationsmittel enthält, sondern dafür den vorhandenen Luftsauerstoff verwendet. Pro verbrauchtem Mol Sauerstoff entstehen mehr als ein Mol Reaktionsgase.

Der Erstickungstod ist eine häufige Folge einer Aerosolbombe. Der Grund liegt nicht in einem Sauerstoffmangel, sondern an Verletzungen der Lunge, einem sogenannten Barotrauma. Die Phase des Unterdrucks bewirkt eine Expansion der Luft in der Lunge, was zu entsprechenden Schäden führen kann. Die Eigenheiten einer Aerosolbombe – lange, relativ flache Druckwelle mit entsprechend ausgeprägter Druckabfallflanke, sowie der Verbrauch von atmosphärischem Sauerstoff – begünstigen dabei diese Wirkung.

Zudem wird durch die der Verpuffung folgende starke Sogwirkung die Schadwirkung der Bombe an Gebäuden und Fahrzeugen wesentlich erhöht.

Die Druckwirkung über einem großen Gebiet führte auch zur Entwicklung von Systemen, die mit einer solchen Verpuffung Minen räumen sollen.[2][3]

Thermobare Waffen

Auch wenn beide Begriffe oft als Synonym verwendet werden, unterscheiden sich thermobare Waffen von Aerosolbomben. Bei einer thermobaren Waffe genügt im Gegensatz zur Aerosolbombe eine einzelne Sprengladung bzw. Explosion, um beide Schritte, die Verteilung des Aerosols und dessen Entzündung, gleichzeitig auszuführen. Dazu wird zusätzlich zu einer „normalen“ Explosion eine brennbare Substanz ohne oder mit wenig Oxidationsmittel (z. B. Sauerstoff) in der Luft verteilt, die sich durch die Explosion sofort entzündet. Dadurch wird der Effekt der ursprünglichen Explosion verstärkt, um eine größere Hitze- und eine längere Druckwirkung zu erreichen.

Der anfänglichen Druckwelle und dem damit verbundenen Überdruck folgt eine Phase, in der der durch die Explosion entstandene Unterdruck ein Zurückströmen der umgebenden Luft ins Zentrum der Explosion bewirkt. Der verdrängte und nicht explodierte Teil der brennbaren Substanz wird dabei durch den Unterdruck wieder zurückgesaugt, wobei er – ähnlich wie Wasser in einen vorher zusammengedrückten Schwamm – in alle nicht luftdicht verschlossenen Objekte eindringt und diese verbrennt. Erstickung und innere Schäden bei Mensch und Tier sind – selbst, wenn sie sich während der eigentlichen Explosion außerhalb des Radius der sofortigen Einäscherung befanden, z. B. in tieferen Tunneln – die Folgen, zum einen durch die Druckwellen und den Sauerstoffentzug, zum anderen auch durch den quasi von den Objekten selbst „eingeatmeten“ Feuerball.

2007 wurde in Russland eine 7 t schwere thermobare Bombe namens Vater aller Bomben getestet, deren Sprengkraft mit 44 t TNT-Äquivalent angegeben wurde und die damit die stärkste konventionelle Bombe der Welt wäre.[4][5] Sie überträfe damit sogar die Sprengkraft der kleinsten Atombomben (W54: ab ca. 20 t TNT-Äquivalent). Die bis dato stärkste konventionelle Bombe der USA, die MOAB (oft als „Mother of all bombs“ interpretiert), besitzt eine nominelle Sprengkraft von 11 t TNT-Äquivalent, wiegt aber 9,5 Tonnen und ist so lang wie ein Kleintransporter.

Das in den 1980er Jahren entwickelte russische Raketenwerfersystem TOS-1 für thermobare Sprengköpfe kam im sowjetisch-afghanischen Krieg, im Zweiten Tschetschenienkrieg[6], bei der Schlacht um Mossul 2016/2017 gegen IS-Stellungen[7] sowie im syrischen Bürgerkrieg in Latakia zum Einsatz.[8] Nach Angaben der Sunday Times soll auch ein TOS-1A am 25. September 2016 in Aleppo im Häuserkampf eingesetzt worden sein.[9] Die OSZE stellte am 25. September 2015 ein TOS-1-System auf einem Übungsplatz 31 km südwestlich von Luhansk im Besitz pro-russischer Separatisten fest.[10]

Weblinks

Commons: Aerosolbombe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Aerosolbombe – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Brandwaffen. Der Bundesrat (Schweiz), 31. Mai 2013: „Es ist unter allen Umständen verboten, die Zivilbevölkerung als solche, einzelne Zivilpersonen oder zivile Objekte zum Ziel von Angriffen mit Brandwaffen zu machen.“
  2. Carpet Mine Breaching System (Memento vom 12. März 2008 im Internet Archive)
  3. TOS-1
  4. Russia tests superstrength bomb: military. reuters.com (englisch)
  5. Russland testet „Vater aller Bomben“. Spiegel Online
  6. army-guide.com, abgerufen am 24. Januar 2021 (englisch).
  7. Loveday Morris: Iraq has never seen this kind of fighting in its battles with ISIS. Washington Post, 11. November 2016, abgerufen am 24. Januar 2021 (englisch).
  8. Gernot Kramper: Soll Putins Höllenkanone Aleppo jetzt sturmreif schießen? stern.de, 25. September 2016, abgerufen am 24. Januar 2021.
  9. UNO-Sicherheitsrat – Wortgefechte statt Waffenruhe in Aleppo. In: Hannoversche Allgemeine (www.haz.de). 28. September 2016, abgerufen am 24. Januar 2021 (Alle Quellen beziehen sich auf den Artikel der Sunday Times.).
  10. Latest from OSCE Special Monitoring Mission (SMM) to Ukraine based on information received as of 27 September 2015. OSCE (osce.org), abgerufen am 6. Oktober 2015 (englisch).

Information

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Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2022-03-15 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=313697