Wladimir Wladimirowitsch Kara-Mursa

Wladimir Kara-Mursa (2017)

Wladimir Wladimirowitsch Kara-Mursa (russisch Влади́мир Влади́мирович Кара́-Мурза́; * 7. September 1981 in Moskau) ist ein russischer Politiker und Journalist.

Leben

Kara-Mursa war von 1999 bis 2001 Mitglied der Partei „Demokratische Wahl Russlands“.[1] Zwischen 2001 und 2008 gehörte er zur Union der rechten Kräfte. 2015 war er Berater des in Moskau ermordeten Boris Nemzow. Gemeinsam veröffentlichten sie im Januar 2004 in der Zeitung Nesawissimaja gaseta einen Artikel mit dem Titel „Über die Gefahr des Putinismus“ und waren Mitglieder des Oppositionsbündnisses Komitee 2008.

Seit 2014 arbeitete Kara-Mursa für Open Russia, eine Stiftung des Kremlkritikers Michail Chodorkowski.[2]

Giftanschlag 2015

Im Mai 2015 lag er nach plötzlichem Nierenversagen eine Woche im Koma.[3] Die Ärzte stellten eine schwere Vergiftung fest, konnten aber keine verursachende Substanz identifizieren. Zur medizinischen Rehabilitation verbrachte Kara-Mursa ein halbes Jahr in den USA. Seine Frau und seine drei Kinder leben seitdem aus Sicherheitsgründen in Washington, D.C.[4] Seit der Ermordung Boris Nemzows wurde Kara-Mursa von Mitarbeitern des Inlandsgeheimdienstes der Russischen Föderation FSB auf seinen Reisen beschattet und überwacht.[5]

Giftanschlag 2017

Anfang Februar 2017 wurde Kara-Mursa wieder intensivmedizinisch behandelt.[6] Nach Angaben seiner Frau stellten seine Ärzte eine Vergiftung fest.[7] Am 19. Februar 2017 verließ Kara-Mursa Russland, um seine medizinische Behandlung im Ausland fortzusetzen. Sein Anwalt erklärte gegenüber der Presse, dass ein „toxischer Einfluss einer unbekannten Substanz“ diagnostiziert worden sei.[8] Kara-Mursa erstritt auf gerichtlichem Wege die Freigabe von US-Geheimdokumenten über seinen Fall.[9]

Vorstellung des Nemzow-Berichts der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Wien, 20. Februar 2020, Bibliotheksaal des Kongress- und Veranstaltungszentrums Hofburg. Links: Wladimir Kara-Mursa.

Nach der plötzlichen Erkrankung des Oppositionellen Alexei Nawalny im August 2020 zeigte er sich überzeugt, dass dieser vergiftet wurde.[10]

Laut Recherchen von Spiegel, Bellingcat und The Insider wurde Kara-Mursa im direkten Vorfeld seiner zwei Zusammenbrüche mit multiplem Organversagen im Mai 2015 und im Februar 2017 von Mitarbeitern des Geheimdienstes FSB verfolgt, die laut der Recherchegruppe auch am Giftanschlag auf Alexei Nawalny beteiligt gewesen waren.[2][5] Mit dem vierten Sanktionspaket nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 setzte die Europäische Union mit den Beschlüssen von Mitte März 2022 mehrere Personen im Zusammenhang mit Giftanschlägen auf die Liste der Sanktionen gegen Russland seit dem Überfall auf die Ukraine. In der Arte-Dokumentation Putins Weg in den Krieg ist Kara-Mursa einer von über 60 Interviewpartnern. In der Dokumentation wird nachgezeichnet, wie Wladimir Putin vom unbedeutenden KGB-Agenten zum mächtigen Präsidenten wurde.[11]

Ärzte diagnostizierten beim Kara-Mursa Polyneuropathie, wahrscheinlich als Folge der Giftanschläge.[12]

Inhaftierung 2022

Nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 beschnitt die russische Regierung die Pressefreiheit in Russland weiter. Ende Februar gründete Kara-Mursa mit Garri Kasparow, Michail Chodorkowski und anderen ein Antikriegskomitee. Am 11. April 2022 wurde er vor seinem Wohnhaus in Moskau von der Polizei festgenommen und tags darauf in einem Eilverfahren zu 15 Tagen Haft verurteilt.[13][14] Am 22. April 2022 wurde er in Russland als ausländischer Agent eingestuft.[15] Außerdem wurde ein Strafverfahren wegen „Falschaussagen über die russische Armee“ eröffnet.[16] Die Anschuldigung bezieht sich auf eine Rede, die Kara-Mursa am 15. März 2022 vor dem Repräsentantenhaus des Staates Arizona gehalten hat.[17]

Verurteilung 2023

Am 17. April 2023 wurde Kara-Mursa aufgrund seiner öffentlichen Kritik am Ukraine-Krieg wegen Hochverrats zu 25 Jahren Strafkolonie verurteilt, der möglichen Höchststrafe und trotz seiner Polyneuropathie-Erkrankung. Ein Gericht in Moskau urteilte, er sei des Hochverrats sowie weiterer Vergehen wie der Verbreitung von „Falschinformationen über die Armee“ und Arbeiten für eine „unerwünschte“ Organisation schuldig. Kara-Mursa streitet alle Vorwürfe ab, erklärte aber wenige Tage zuvor, er bereue keine seiner getätigten Äußerungen.[18] Es ist die erste Verurteilung wegen Hochverrats, seit dem Zerfall der Sowjetunion.[19]

Trotz extremer Geheimhaltung wurde das Schlusswort Kara-Mursas öffentlich. Darin lehnte er es ab, das Gericht um Freispruch zu bitten, und führte unter anderem aus: „Verbrecher sollten für ihre Taten Buße tun. Ich hingegen sitze wegen meiner politischen Ansichten im Gefängnis. Ich weiß auch, dass der Tag kommen wird, an dem sich die Dunkelheit über unserem Land verziehen wird.“[20] Kara-Mursas Anwältin kündigte Berufung an.[21] Kara-Mursa verglich seinen Prozess mit den Schauprozessen unter Josef Stalin.[22]

Die Europäische Kommission stuft das Urteil als „politisch motiviert“ ein und der EU-Kommissionssprecher sagte, dies sei ein weiterer Beweis, dass die russischen Behörden die Justiz politisch missbrauchen, um Druck auf die Gegner des Ukraine-Kriegs auszuüben.[23]

Siehe auch

Weblinks

Commons: Wladimir Wladimirowitsch Kara-Mursa – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Биография Владимира Кара-Мурзы. In: ria.ru. 27. Mai 2015, abgerufen am 1. Februar 2021 (russisch).
  2. a b Fidelius Schmid, Christo Grozev, Roman Dobrokhotov: Oppositioneller Wladimir Kara-Mursa: Russischer Geheimdienst vergiftete offenbar weiteren Kremlkritiker. In: Spiegel.de. 11. Februar 2021, abgerufen am 11. Februar 2021.
  3. Friedrich Schmidt: Russische Opposition: Angst um Leib und Leben. In: faz.net. 31. Mai 2015, archiviert vom Original am 1. Juni 2015; abgerufen am 17. April 2023.
  4. Julian Hans: Putins letzter Gegner. In: tagesanzeiger.ch. 16. September 2016, archiviert vom Original am 17. September 2016; abgerufen am 17. April 2023.
  5. a b Контрсанкции. Как сотрудники ФСБ пытались отравить Владимира Кара-Мурзу. In: The Insider. 11. Februar 2021, abgerufen am 17. April 2023 (russisch).
  6. Russian critic Vladimir Kara-Murza suffers sudden organ failure. In: BBC News. 2. Februar 2017, abgerufen am 17. April 2023 (englisch).
  7. Sabine Stöhr: Kara-Mursa vergiftet. Russischer Oppositioneller kämpft um sein Leben. In: tagesschau.de. 9. Februar 2017, archiviert vom Original am 15. Februar 2017; abgerufen am 17. April 2023.
  8. ‘Poisoned’ critic Vladimir Kara-Murza leaves Russia for treatment. In: BBC News. 19. Februar 2017, abgerufen am 17. April 2023 (englisch).
  9. Mike Eckel, Carl Schreck: Mystery Over Russian’s Suspected Poisoning Deepens With New FBI Records. In: RFE/RL. 24. September 2020, abgerufen am 17. April 2023 (englisch).
  10. Julian Hans: Kremlkritiker Wladimir Kara-Mursa im Interview: „Gift lässt sich besser leugnen“. In: sueddeutsche.de. 24. August 2020, abgerufen am 24. August 2020 (nur Teaser einsehbar).
  11. Putins Weg in den Krieg. (Streaming-Video auf YouTube; 51:21 Minuten) In: ZDF. 21. März 2022, abgerufen am 17. April 2023.
  12. Regimekritiker Kara-Mursa zu 25 Jahren Haft verurteilt. In: sueddeutsche.de. Süddeutsche Zeitung, abgerufen am 17. April 2023.
  13. Alwin Schröder u. a.: Russischer Oppositioneller: Kara-Mursa in Moskau festgenommen. In: Spiegel.de. 12. April 2022, abgerufen am 13. April 2022.
  14. Kara-Mursa zu 15 Tagen Haft verurteilt. In: ZDF. 12. April 2022, abgerufen am 17. April 2023.
  15. Milena Hassenkamp, Henning Jauernig, Nina Golombek: Ukraine-News am Freitag: Merz sieht Mehrheit im Bundestag für Lieferung schwerer Waffen. In: Spiegel,de. 22. April 2022, abgerufen am 22. April 2022.
  16. Kremlin Critic Kara-Murza Faces Prison on War ‘Fakes’ Charges. In: The Moscow Times. 22. April 2022, abgerufen am 17. April 2023 (englisch).
  17. Russian Opposition Leader Vladimir Kara-Murza Addresses the Arizona House of Representatives. (Streaming-Video auf YouTube; 17:07 Minuten) 15. März 2022, abgerufen am 17. April 2023 (englisch).
  18. fr.de: Kreml-Kritiker Kara-Mursa wegen „Hochverrats“ zu 25 Jahren Haft verurteilt. Abgerufen am 18. April 2023.
  19. Silke Bigalke: Oppositionelle gelten jetzt in Russland offiziell als Verräter. In: tagesanzeiger.ch. 17. April 2023, abgerufen am 17. April 2023.
  20. tagesschau.de: Dokumentation: Kara-Mursas Schlussworte vor Gericht. Abgerufen am 18. April 2023.
  21. Russland: Kremlkritiker Kara-Mursa zu 25 Jahren Strafkolonie verurteilt. In: Spiegel Online. 17. April 2023, abgerufen am 17. April 2023.
  22. Kremlkritiker Kara-Mursa zu 25 Jahren Strafkolonie verurteilt. In: spiegel.de. 17. April 2023, abgerufen am 17. April 2023.
  23. "Politisch motiviert": EU übt scharfe Kritik an Verurteilung des Kremlgegners Kara-Mursa Access to the comments. In: euronews.com. 17. April 2023, abgerufen am 17. April 2023.

Information

Der Artikel Wladimir Wladimirowitsch Kara-Mursa in der deutschen Wikipedia belegte im lokalen Ranking der Popularität folgende Plätze:

Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2023-04-18 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=9771187