Zu der Tötung von Nahel Merzouk kam es am Morgen des 27. Juni 2023 im Verlaufe einer polizeilichen Verfolgung im Pariser Vorort Nanterre. Der Todesfall des 17-jährigen französischen Jugendlichen mit algerischer Abstammung sorgte für große Aufregung und entfachte eine erneute Debatte über Gewalt und Rassismus in der französischen Polizei. In Folge des Todes des Jugendlichen entwickelten sich tagelang anhaltende gewaltsame Unruhen im Großraum Paris und in zahlreichen anderen Städten Frankreichs. Symbole des Staates wie Rathäuser, Schulen, rund 250 Polizeistationen sowie zahlreiche andere Gebäude wurden angegriffen. Nach Angaben des französischen Innenministeriums wurden fast 1000 Gebäude niedergebrannt, beschädigt oder geplündert. Zudem wurden mehr als 5000 Fahrzeuge in Brand gesteckt.[1][2]
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Nanterre bemerkten um 7:55 Uhr zwei Motorradfahrer der Polizeipräfektur Paris zu Schichtbeginn ein Fahrzeug der Mercedes-AMG A-Klasse mit polnischem Kennzeichen, das mit hoher Geschwindigkeit auf der Busspur von einer Person in jungem Alter gesteuert wurde. Die Motorradfahrer aktivierten ihre Signalanlagen und forderten den Fahrer, Nahel Merzouk, an einer roten Ampel auf, zu parken. Dieser überfuhr dann die rote Ampel; die Polizisten verfolgten ihn und meldeten den Vorfall. Der Fahrer beging mehrere Verkehrsverstöße, gefährdete an Fußgängerüberwegen einen Fußgänger und einen Radfahrer und musste schließlich wegen Staus anhalten.[3] Die abgestiegenen Polizisten richteten ihre Dienstwaffen auf Merzouk und forderten ihn auf, die Zündung auszuschalten.[4] Als er der polizeilichen Aufforderung nicht Folge leistete, sondern anfuhr, schoss einer der beiden Polizisten einmal auf ihn. Das Auto fuhr noch ein Stück und kollidierte um 8:19 Uhr auf der Place Nelson-Mandela mit einem Stadtmöbel. Die hinten sitzende Person wurde festgenommen; der Beifahrer flüchtete. Der Polizist, der den Schuss abgegeben hatte, leistete dem Fahrer Erste Hilfe. Um 8:21 Uhr wurden Rettungskräfte verständigt. Trotz deren Reanimationsbemühungen wurde Merzouks Tod um 9:15 Uhr festgestellt. Eine am Morgen des 28. Juni 2023 durchgeführte Obduktion ergab, dass das Geschoss seinen linken Arm sowie den Brustkorb von links nach rechts durchquert hatte.[5]
Der zum Todeszeitpunkt 17-jährige Nahel Merzouk war polizeibekannt, unter anderem wegen fünfmaligen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (seit 2021, zuletzt eine Woche vor seinem Tod). In der Gerichtsakte des algerisch-französischen Jugendlichen, die 15 Eintragungen bzw. Fälle umfasst, sind auch die Verwendung falscher Nummernschilder, Fahren ohne Versicherung, Verkauf und Konsum von Drogen[6][7] sowie Hehlerei dokumentiert.[3] Er war nicht vorbestraft,[8] hätte aber im September 2023 vor Gericht erscheinen müssen.[3]
Nach ersten Angaben der Polizei habe ein Beamter einen Schuss abgegeben, während der junge Autofahrer auf ihn zugefahren sei. Diese von der Gewerkschaft Unité SGP Police-Force Ouvrière unter Berufung auf Notwehr übernommene Version wurde hinfällig, nachdem ein Video in den sozialen Medien zeigte, dass ein Polizist mit der Waffe in Höhe des Fahrertürfensters auf den Fahrer zielte, wobei er seinen linken Ellenbogen an der vorderen Ecke des Fensters abstützte und seine linke Taille seitlich an die Motorhaube drückte. Er schoss, als der Fahrer anfuhr.[9][10]
Der Polizist, der den Schuss abgegeben hatte, Florian M., war vor seinem Eintritt in die Polizei Soldat beim 35e régiment d’infanterie[11] der französischen Armee gewesen und in Afghanistan eingesetzt.[12] Der 38-Jährige ist wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt und wurde am 29. Juni 2023 in Untersuchungshaft genommen, da die Voraussetzungen für den Waffeneinsatz nicht erfüllt gewesen seien.[13]
Es kam noch am selben Tag zu gewalttätigen Ausschreitungen. Diese weiteten sich bald auf mehrere französische Städte und auch auf die belgische Hauptstadt Brüssel aus. Bei den Unruhen wurden bis Ende Juni 522 Polizisten verletzt und 875 Menschen festgenommen.[14] Daraufhin entschied die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron, bis zu 45.000 zusätzliche Polizisten zu mobilisieren. Macron erklärte, dass der Tod des Jugendlichen nicht zu erklären oder entschuldigen sei.[15] Von Teilen der Opposition wurde der Regierung vorgeworfen, zu schwach zu regieren, auch weil diese nicht den Ausnahmezustand verhängt hatte.[16] Die Großmutter des 17-Jährigen rief die Randalierenden zur Ruhe auf und sagte, sie nutzen Merzouk als Vorwand.[17]
Auch in der Nacht zum 1. Juli kam es erneut zu Gewalt, Bränden und Plünderungen; z. B. in Lyon, Marseille und Grenoble,[18] wobei 1311 Menschen festgenommen wurden.[19] Dem französischen Innenministerium zufolge sind in jener Nacht 1350 Autos ausgebrannt und es habe 2650 Brände auf öffentlichen Straßen gegeben.[20] Die Ausschreitungen haben am 1. Juli auch auf Lausanne in der Schweiz übergegriffen, wo Geschäfte geplündert wurden.[21] Nach Nahel Merzouks Beerdigung flauten die Proteste ab.[22] Zusätzlich zu Hunderten von Verletzten starben bei den Unruhen zwei Menschen: in Cayenne in Französisch-Guayana ein unbeteiligter 50-Jähriger auf dem Balkon seiner Wohnung durch einen Schuss, der aus den Reihen von Plünderern abgegeben wurde, und in Le Petit-Quevilly bei Rouen ein 19-Jähriger, der vom Dach eines Supermarktes stürzte.[23][24][25] In der Nacht auf den 2. Juli kam es zu einem Angriff auf das Haus des Bürgermeisters von L’Haÿ-les-Roses, Vincent Jeanbrun. Die unbekannten Täter durchbrachen das Tor zum Grundstück mit einem Auto; anschließend setzten sie es sowie das Familienfahrzeug des Politikers und einige Mülltonnen in Brand. Jeanbruns Frau und ihre beiden Kinder wurden auf der Flucht mit Feuerwerkskörpern beschossen und dabei zum Teil verletzt.[26][27][28] Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen versuchten Mordes auf.[29]
Nach Angaben des französischen Innenministeriums wurden bis zum 3. Juli fast 1.000 Gebäude niedergebrannt, beschädigt oder geplündert. Symbole des Staates wie Rathäuser, Schulen, rund 250 Polizeistationen sowie zahlreiche andere Gebäude wurden angegriffen. Zudem wurden mehr als 5.000 Fahrzeuge in Brand gesteckt. 700 Beamte wurden während der Ausschreitungen verletzt.[30][31]
Das Monument aux Martyrs de la Déportation et de la Résistance in Nanterre, das der 200.000 während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslagern ermordeten französischen Deportierten gedenkt, wurde mit Grafitti beschmiert; der Spruch „Wir werden mit euch eine Shoah veranstalten!“ (on va vous faire une Shoah) wurde in unmittelbaren Umfeld gesprüht.[32]
Für die Familie des Getöteten wurde ein Spendenkonto eröffnet. Jean Messiha, Gründer eines rechten Think Tanks[33] und Anhänger des rechtsextremen Politikers Éric Zemmour, richtete hingegen ein Spendenkonto für den tatverdächtigen Polizisten ein. Die konservative Zeitung Le Figaro berichtete, Messiha habe mit der Aktion in Konkurrenz zu dem Spendenaufruf für die Familie des Opfers treten wollen. Er prahle damit, mehr Geld erhalten zu haben als jene, die für die Mutter des getöteten Jungen sammelten.[17][34][35]
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