Louis-Armstrong-Tournee durch die DDR

Louis Armstrong während der Pressekonferenz in Berlin, 19. März 1965

Die Louis-Armstrong-Tournee durch die DDR fand im März und April 1965 statt. Sie bestand aus 17 Konzerten[1] des US-amerikanischen Musikers Louis Armstrong in Ost-Berlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin.

Vorgeschichte

Ab den frühen 1960er Jahren nahmen die Vorbehalte gegenüber Jazz und Blues in den realsozialistischen Ländern im östlichen Europa etwas ab. 1959 hatte Armstrong erstmals in Jugoslawien gespielt, 1962 Benny Goodman in der Sowjetunion, 1964 gastierte das American Folk Blues Festival in Ost-Berlin und im März 1965 spielte Leo Wright in Dresden.

Das Management von Louis Armstrong bot diesen Ländern 1965 für seine Europatournee Auftritte an. Das wurde vom Außenministerium der Vereinigten Staaten maßgeblich unterstützt, da es Armstrong als prominenten Kulturbotschafter der westlichen Welt ansah. In der DDR übernahm die Künstler-Agentur der DDR die Organisation, als sachkundiger Begleiter wurde der Jazz-Experte Karlheinz Drechsel ausgewählt. Die DDR beglich die Kosten selbst, obwohl die USA sie bei solchen Konzerten in östlichen Ländern oft übernahmen. Dafür wurden dem Schweizer Musikunternehmer Werner Schmid Wertobjekte wie Optik vom VEB Carl Zeiss Jena und wahrscheinlich auch Jagdwaffen aus Suhl und Antiquitäten zum Weiterverkauf geliefert. Die Erlöse wurden an Armstrongs Management als Entgelt für die Konzerte weitergegeben.

Verlauf

Die Band kam am 10. März zunächst nach Kopenhagen in Dänemark und flog noch am selben Tag in die ČSSR nach Prag. Dort spielte sie vom 12. bis 18. März neun Konzerte im Lucerna-Palast.[2]

Louis Armstrong singt während seiner Ankunft in Schönefeld

Am 19. März landeten die Musiker auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. In der Empfangshalle wurden sie von den Jazz-Optimisten Berlin mit dem Standard Sleepy time begrüßt, bei dem Armstrong spontan mitsang. Danach hielt der Leiter der Künstleragentur Zielke eine längere politische Rede. Anschließend gab es eine Pressekonferenz im Hotel Metropol, bei der westliche und östliche Journalisten vor allem politische Fragen stellten, denen der Musiker jedoch diplomatisch auswich.[1]

Am 20. März fanden die ersten beiden Konzerte im Friedrichstadt-Palast in Berlin statt, die bekannte US-Sängerin Ella Fitzgerald sang bei mindestens einem mit.[3] In den nächsten beiden Tagen folgten vier weitere Konzerte in Berlin mit jeweils 3000 Zuschauern im ausverkauften Haus. Am 23. und 24. März traten die Musiker in der Messehalle in Leipzig viermal auf, ebenfalls vor jeweils 3000 begeisterten Zuschauern.

Am nächsten Tag war Armstrong bei der ZDF-Fernsehshow Der goldene Schuß in Frankfurt am Main zu Gast. Danach reiste er zu Konzerten nach Bukarest in Rumänien (27./28. März), Belgrad, Novi Sad und Ljubljana in Jugoslawien und nach Bulgarien.[4]

Anschließend kehrten die Musiker in die DDR zurück. Sie spielten am 5. April noch einmal im Friedrichstadt-Palast in Berlin, an den folgenden Tagen in Magdeburg, in Erfurt in der Thüringenhalle und in Schwerin in der Sport- und Kongresshalle. Dort musste eine der Vorstellungen wegen mangelnder Nachfrage ausfallen.[5][1]

Am 9. April flog die Band vom Flughafen Barth zunächst in die USA zurück. Am 23. Mai kam sie in die Niederlande zu weiteren Konzerten, und am 9. Juni trat sie im Budapester Népstadion vor etwa 91.000 Zuschauern auf.

Einzelheiten

  • Zu den All Stars gehörten bei diesen Konzerten Jewel Brown (Gesang), Billy Kyle (Piano), Tyree Glenn (Posaune), Eddie Shu (Klarinette), Arvell Shaw (Kontrabass) und Danny Barcelona (Schlagzeug). Sie wurden von dem Moderator Karlheinz Drechsel in den Konzerten namentlich angesagt, was Louis Armstrong später sehr lobte, da dies sonst nicht üblich sei.
  • Die Band fuhr mit einem Tourbus durch das Land. Wegen einer Panne mussten die Musiker einen ungeplanten Zwischentopp in Genthin bei Magdeburg einlegen. Dort erhielt Louis Armstrong in der beliebten HO-Gaststätte „Grüne Kachel“ keine Bockwurst, weil die ausverkauft war, dafür aber Bier. Einige Schulkinder nutzten die unverhoffte Gelegenheit, um Autogramme zu bekommen.[1]
  • In Leipzig brauchte Louis Armstrong einen Zahnarzt, dem er 50 Mark und zwei Konzertkarten für die Behandlung gab, ebenso in Erfurt, wo er kostenlos behandelt wurde.[1]
  • Beim Empfang für Louis Armstrong in Magdeburg saß der damals 19-jährige Reinhard Lakomy am Klavier.[6]
  • In Erfurt erhielt Louis Armstrong auch Blumensamen als Geschenk; mit einem Foto davon warb das Unternehmen N.L. Chrestensen jahrelang für seine Produkte.[1][7]
  • In Leipzig wies das Ministerium für Staatssicherheit alle inoffiziellen Mitarbeiter an, verdächtige Personen im Zusammenhang mit den Konzerten genauer zu beobachten.[1]

Nachwirkungen

Die Auftritte lösten bei vielen Besuchern große Begeisterung aus. Auch Zeitungen berichteten sehr positiv. Seitdem war Jazzmusik in der DDR akzeptiert, es erschienen in den nächsten Jahren etliche Schallplatten, seit den 1970er Jahren gab es verschiedene Jazzfestivals.

2010 veröffentlichte der Journalist Stephan Schulz ein umfangreiches Buch über diese Tournee mit Informationen aus Zeitzeugeninterviews, Archivmaterialien, Zeitungsberichten und Fotos. 2023/24 gab es die Fotoausstellung I’ve Seen the Wall im Kunsthaus Das Minsk in Potsdam über die Tournee, auch mit Kunstinstallationen mit Bezügen zu Louis Armstrong.[8]

Aufnahmen

Von dem Konzert im Friedrichstadtpalast am 22. März 1965 gibt es

  • Louis Armstrong & His All Stars, TV-Aufzeichnung[9]
  • Louis Armstrong And His All Stars. Satchmo live in Friedrichstadtpalast, 2000, 2 CD

Auch von den Konzerten in Prag und Budapest gibt es Aufnahmen mit der gleichen Bandbesetzung

  • Louis Armstrong. Lucerna Hall Prague 1965, 1979, 3 LP[10]

Literatur

  • Stephan Schulz: What A Wonderful World. Als Louis Armstrong durch den Osten tourte. Neues Leben, Berlin 2010, ISBN 978-3-3550-1772-5; erweiterte Neuauflage 2017, ISBN 978-3-7450-5244-2
  • Stephan Domes: Stephan Schulz. What A Wonderful World. In: Forum Musikbibliothek. 2011. S. 77ff. Text, Rezension mit einigen Einzelheiten
  • Janko Tietz: Louis in Leipzig. Jazzmusiker auf DDR-Tournee. In Der Spiegel vom 23. Mai 2015 Text, mit Fotostrecke

Weblinks

Commons: Louis Armstrong in der DDR – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g Louis Armstrong in der DDR: Gastspiel einer Jazz-Legende, mdr.de, 22. Juli 2022, aufgerufen am 17. Februar 2024
  2. Louis Armstrong in Prague, in Prague morning vom 5. August 2021 Text (englisch)
  3. Ella Fitzgerald am 20.03. 1965 in Berlin Alamy, auch Berliner Abendschau vom 30. April 2021
  4. Louis Armstrong. König hinter dem Eisernen Vorhang Der Standard. Balkan Blog von Ovidiu-Victor Olar vom 27. Oktober 2020, zu den Hintergründen der Konzerte in Bukarest; (für die angeblichen Konzerte in Sofia sind keine Hinweise in bulgarischen und englischen Websites zu finden)
  5. Konzert von Louis Armstrong in der Schweriner Sport- und Kongreßhalle, in Schweriner Volkszeitung vom 14. Dezember 2018 (zum 8. April 1965)
  6. www.welt.de: Satchmo blies gegen die Kälte, vom 10. Juli 2010, abgerufen am 13. Februar 2024
  7. Louis Armstrong mit Samen aus Erfurt, Foto auf der Unternehmenswebsite von N.L. Chrestensen, abgerufen am 18. Februar 2024
  8. Robert Mießner, Das Lachen des Louis Armstrong, in taz vom 18. September 2023 Text, mit einigen Details zu der Tournee
  9. Louis Armstrong & His All Stars Youtube, vollständige Aufzeichnung, auch weitere Aufnahmen Louis Armstrong in East Berlin und ähnlich
  10. Louis Armstrong. Lucerna Hall Prague 1965 youtube

Information

Der Artikel Louis-Armstrong-Tournee durch die DDR in der deutschen Wikipedia belegte im lokalen Ranking der Popularität folgende Plätze:

Der präsentierte Inhalt des Wikipedia-Artikels wurde im 2024-03-14 basierend auf extrahiert https://de.wikipedia.org/?curid=12979114