Hofzug (Russland)

Zar Nikolaus II. mit seinen Kindern vor dem Hofzug in Werny

Die russischen Zaren besaßen für ihren Hofzug einen der größten Fuhrparks an Salonwagen, die je einem Herrscher zur Verfügung standen. Um das Jahr 1900 waren es 95 Fahrzeuge.[1]

Fahrzeuge

Zar und Zarin

Salonwagen des Zaren aus dem Hofzug für 1435 mm Spurweite (Aufnahme von 1899)
Inneres eines der kaiserlichen Salonwagen
Ankunft von Zar Alexander II. von Russland auf dem Bahnhof Bad Ems, 1871 – rechts sein Salonwagen

Die Zahl an Salonwagen für den Zarenhof sank von 95 im Jahr 1900 auf 54 im Jahr 1909.[1] Die hohe Zahl hing unter anderem damit zusammen, dass die einzelnen Bahngesellschaften je einen eigenen Zaren-Zug bereithielten. Erst ab 1870 bildeten alle größeren russischen Bahnen überhaupt ein zusammenhängendes Netz.[2] Im Einzelnen sind bekannt[3]:

  • Die erste russische Eisenbahn, die Eisenbahn St. Petersburg–Zarskoje-Selo, hatte selbstverständlich einen Hofzug. Sie verlief ja zwischen der Hauptstadt und einer Sommerresidenz des Zaren.[4]
  • Um 1860 ließ die Nikolaibahn (Sankt PetersburgMoskau) einen 12 Wagen umfassenden Hofzug bauen.
  • Die Eisenbahn Odessa–Balta–Krementschuk stellte ihren Hofzug in mehreren Chargen zwischen 1866 bis 1870 in Dienst. Er diente regelmäßig für die Sommerreisen des Hofes auf die Krim.
  • 1870 nahm die Moskau–Kursker Eisenbahn ihren ersten Zaren-Zug in Betrieb. Er kam gleich für eine Reise der Zarin nach Neapel bis zur preußischen Grenze zum Einsatz. Die Wagen des Zuges waren untereinander mit Faltenbälgen verbunden. Der Zug war 170 m lang und wog 224 t. Beheizt wurde er durch sechs über den Zug verteilte Dampfkessel, von denen jeder zwei oder drei Wagen versorgte. Die Innenbeleuchtung bestand noch aus Stearinkerzen. Der Zug hatte folgende Wagen:
    • Packwagen
    • Wagen für Hofpersonal
    • Liegewagen für Hofbeamte
    • Salonwagen mit fünf Abteilen für Minister
    • Tages-Salonwagen, auch für Besprechungen
    • Wagen der Zarin mit doppelt verglasten Fenstern
    • Wagen des Zaren
    • Wagen für die Großfürsten (Kinder des Zarenpaares)
    • Speisewagen mit Längstafel und 18 Sitzplätzen
    • Küchenwagen
    • Vorratswagen
    • Wagen für Küchenpersonal
    • Werkstattwagen
  • Ebenfalls von 1870 stammte der Hofzug der Warschau-Wiener Eisenbahn. Es war der erste russische Hofzug in Normalspur. Er hatte zunächst drei Wagen und wurde 1874 um einen weiteren ergänzt. Der Zug wurde selten benutzt und 1909 außer Dienst gestellt.
  • Noch vor 1871 betrieb auch die Petersburg-Warschauer Eisenbahn einen Hofzug für den Zaren.[5]
  • Ebenfalls noch vor 1871 ging der Zaren-Zug der Eisenbahn Kursk–Kiew in Betrieb.[6]
  • Auch vor 1871 gab es bereits einen Hofzug der Eisenbahn Kiew–Balta.[7],
  • 1873 bestellte die Baltische Eisenbahn drei Salonwagen für einen Jagdzug des Zaren bei der Waggonbaufabrik Pflug[8] in Berlin. Die Wagen waren 3,40 m breit.
  • Bereits 1874 nahm die Moskau–Kursker Eisenbahn ihren zweiten Zarenzug mit 12 vierachsigen Drehgestellwagen und dem sechsachsigen Zarenwagen in Betrieb. Letzterer war 26 m lang und wog 48 t. Dieser Wagen kostete 39.162 Rubel (ca. 83.000 Mark), der restliche Zug knapp 200.000 Rubel (ca. 425.000 Mark).
  • 1875: Die französische Kaiserin Eugénie besaß seit 1861 einen Hofzug, der – mehrfach ergänzt – schließlich auf 21 zwei- und dreiachsige Wagen anwuchs.[9] Neben den 19 Personenwagen führte der Zug zwei Packwagen. Im Salonwagen der Kaiserin dominierte roter Satin, die Vorhänge bestanden aus blauem Damast und die Achsbuchsen waren vergoldet. Nach dem Sturz der Monarchie in Frankreich in Folge des Deutsch-Französischen Kriegs 1871 war der Zug in Frankreich überflüssig und wurde zwischen 1871 und 1875 an Zarin Marija Alexandrowna verkauft. Er wurde nicht umgespurt, sondern für Fahrten im mittel- und westeuropäischen Normalspurnetz im Bahnhof Wirballen vorgehalten.[10]
  • 1878 wurden in England zwei Salonwagen bestellt, die eine „Klimaanlage“ besaßen: Im Sommer wurde die eingesaugte Luft durch einen Eisbehälter geleitet.
  • 1882 beschaffte die Nikolaibahn einen neuen Hofzug mit 12 Wagen. Außer dem dreiachsigen Packwagen bestand er aus vierachsigen Drehgestellwagen, wog 390 t und war für eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 50 km/h (45 Werst/h) zugelassen. Der Zug führte einen Telegrafenwagen und konnte durch sechsachsige Salonwagen ergänzt werden.
  • 1886 ließ die Nikolaibahn einen achtachsigen [!], 25 m langen Drehgestellwagen als Salonwagen für den Zaren bauen.
  • Die Finnischen Staatsbahnen hielten in der Zeit, in der Finnland zum Russischen Reich gehörte, also bis 1917, Salonwagen sowohl für den Zarenhof[11] als auch für den Generalgouverneur von Finnland[12] bereit. Ein erster Satz von vier Wagen ist für 1873 belegt. Sie wurden 1898 durch vier neue Wagen der Ringhoffer-Werke ersetzt.[13]
  • Ein ganz besonderes Fahrzeug war ein Dampf-Salontriebwagen, den Ganz in Ungarn für den russischen Zaren fertigte.[14]

Weitere Mitglieder der Zarenfamilie

Großfürst Michael Nikolajewitsch Romanow nutzte einen umspurbaren Zug, der aus zwei Salonwagen, zwei Gefolgewagen, zwei Schlafwagen und einem Küchenwagen bestand. Zulässige Höchstgeschwindigkeit waren 40 Werst/h bzw. 42 km/h. Um 1890 fuhr er jedes Jahr damit nach Monte Carlo zum Glücksspiel.[15]

Weitere Mitglieder der Zarenfamilie, die eigene Züge besaßen, waren[15]:

Auch eine Reihe von Mitgliedern des Hochadels hatte eigene Züge oder zumindest einen Salonwagen.[15]

Betrieb

Die beiden Lokomotiven des 1888 verunfallten Hofzugs Alexanders III.
Unterzeichnung der Abdankung Nikolaus’ II. in einem Salonwagen

Es gab sowohl Hofzüge in der russischen Breitspur als auch in der Normalspur für Fahrten nach Mittel- und Westeuropa. Im entsprechenden Spurwechselbahnhof mussten die Passagiere des Hofzugs umsteigen. Eine Umspurung war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nur in Ausnahmefällen möglich.[17]

Die Fahrt eines solchen Zuges erfolgte nur unter besonderen Sicherungsmaßnahmen: Eine einzeln fahrende Lokomotive fuhr dem Zug unmittelbar voraus („Pilot“), die Strecke wurde vor der Fahrt untersucht und bewacht und Kreuzungen mit anderen Zügen waren nur in größeren Bahnhöfen zugelassen, nie in Ausweichstellen.[18]

Beim Eisenbahnunfall von Borki entgleiste der Hofzug Zar Alexanders III. am 17. Oktoberjul. / 29. Oktober 1888greg. auf der Fahrt von der Krim nach Sankt Petersburg in der Nähe von Borki. 23 Menschen aus der Begleitung der kaiserlichen Familie starben, den Mitgliedern der Kaiserfamilie geschah nichts, obwohl der Speisewagen, in dem sie sich zum Unfallzeitpunkt aufhielten, stark beschädigt wurde.

Während des Russisch-Japanischen Kriegs 1904/1905 wurden aus einer Reihe von Hofzügen und privaten Salonzügen fünf Lazarettzüge gebildet.

Die Zarin-Mutter, Maria Fjodorowna, befand sich mit ihrem Hofzug bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 in Dänemark, ihrem Geburtsland. Sie reiste ohne ihren Zug über Schweden nach Hause, da die einzige Schienenverbindung nach Russland damals über das Territorium des russischen Kriegsgegners Deutschland führte. 1917 wurde der Zug über die inzwischen bis an den Grenzfluss Torne älv herangeführte Bahnstrecke Boden–Haparanda, die aber noch nicht an das damals russische, später finnische Netz bei Tornio angeschlossen war, nach Haparanda überführt. Nach sorgfältiger Messung der Eisdicke wurde ein Gleis über den Torne älv verlegt und dann wurden mit einer Rangierlokomotive immer zwei Wagen von Schweden nach Finnland gebracht.[19]

In einem der Salonwagen des kaiserlichen Zuges unterzeichnete Nikolaus II. am 2.jul. / 15.greg. März 1917 im Bahnhof von Pskow die Abdankungsurkunde.

Erhaltene Wagen

Im Finnischen Eisenbahnmuseum sind drei Wagen eines Hofzuges erhalten.[20]

Literatur

  • Mikko Alameri: Eisenbahnen in Finnland. Josef Otto Slezak, Wien 1979. ISBN 3-900134-22-7
  • Askenasy: Der Hofzug der kaiserlich südrussischen Eisenbahnen. In: Eisenbahnwagen in Originaldokumenten 1847–1874. Eine internationale Übersicht aus „Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens in technischer Beziehung“. Steiger, Moers, 1986/87, S. 158f. und Taf. 57f.
  • Paul Dost: Der rote Teppich. Geschichte der Staatszüge und Salonwagen. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1965.

Weblinks

Commons: Hofzug (Russland) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Paul Dost: Der rote Teppich. Geschichte der Staatszüge und Salonwagen. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1965, Seite 222
  2. Askenasy, S. 158.
  3. Soweit nicht anders angegeben, stammen die Daten aus Dost, S. 223f
  4. Askenasy, S. 158.
  5. Askenasy, S. 158.
  6. Askenasy, S. 158.
  7. Askenasy, S. 158.
  8. Zur Wagonbau-Fabrik vgl.: Berlingeschichte, Stichwort „Industrialisierung“
  9. Dost, S. 201.
  10. Dost, S. 24.
  11. Alameri, S. 181–183.
  12. Alameri, S. 60, 186.
  13. Dost, S. 231.
  14. Scécsey István und Villámyi György: Ganz. Vasúti jármüvek 1868–1918 / Railway Vehicles 1868–1918. Minden jog fenntartva, Budapest 2015. ISBN 978-963-88145-6-2, S. 161
  15. a b c Paul Dost: Der rote Teppich. Geschichte der Staatszüge und Salonwagen. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1965, Seite 226.
  16. Beschreibung bei historiskt.nu (schwed.)
  17. Zu den damals verfügbaren technischen Möglichkeiten siehe: Victor von Röll: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Zweite, vollständig neu bearbeitete Auflage 1912–1923 in 10 Bänden, Urban & Schwarzenberg Verlag, Berlin/ Wien 1912–1923, Bd. 9, S. 128–132
  18. Askenasy, S. 159.
  19. Beschreibung bei historiskt.nu (schwed.)
  20. Keisarin juna. Suomen Rautatiemuseo, abgerufen am 10. Februar 2023 (finnisch, Website des Museums).

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