Die Franklin-Expedition war die dritte große und letzte Forschungsreise des britischen Polarforschers Sir John Franklin. Ihr Ziel war es, die Nordwestpassage erstmals, und zwar von Ost nach West, vollständig zu durchsegeln, kartografisch zu erfassen und so einen kürzeren Seeweg von Europa nach Asien zu finden. Die Expedition scheiterte katastrophal; 1845 bis 1848 starben alle Beteiligten im kanadisch-arktischen Archipel. Letzte Spuren der Expeditionsteilnehmer wurden erst viele Jahre später nahe der King-William-Insel entdeckt. Erst 2014 fand man das Wrack des Schiffs HMS Erebus in der Victoria Strait. Die Überreste der HMS Terror wurden 2016 südlich der King-William-Insel, in der Terror Bay, entdeckt.
Die Franklin-Expedition und das Schicksal ihrer Teilnehmer, das lange Zeit im Dunkeln blieb, erfuhr seinerzeit eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit. Zeitungen erzielten mit Berichten und Spekulationen über das Schicksal Franklins hohe Auflagen und verwerteten das Thema nach allen Regeln moderner Massenmedien. Die Expedition selbst wie auch die intensiven Bemühungen von Lady Jane Franklin, ihren Mann mittels immer neuer Suchexpeditionen zu retten, beschäftigten die britische Öffentlichkeit über Jahre in bis dahin ungekanntem Maße und stoßen heute noch auf großes Interesse.
Die Franklin-Expedition hatte die Aufgabe, zur nationalen Ehre der Seemacht Großbritannien nach 300 Jahren vergeblicher Anläufe endlich die letzten noch unbekannten 500 Kilometer der seit Jahrhunderten als bedeutender Seeweg von Europa nach Asien angesehenen Nordwestpassage zu durchsegeln und zu kartieren. Als der ursprünglich als Expeditionsleiter vorgesehene Sir James Clark Ross, ein Neffe des berühmten Entdeckers Sir John Ross und selbst ein bedeutender Antarktisforscher, aus persönlichen Gründen diese ehrenvolle Aufgabe nicht annahm, übertrug die britische Admiralität 1845 Sir John Franklin das Kommando über die Expedition mit den beiden Expeditionsschiffen HMS Erebus und HMS Terror sowie dem Versorgungsschiff HMS Baretto Junior – eine nicht unumstrittene Entscheidung.
Franklin hatte sich zwar seit längerem einen Namen gemacht, als er in den 1830er Jahren bedeutende Teile der kanadischen Nordküste erforscht und sie teils zu Schiff, teils in langen Fußmärschen aufgesucht und kartiert hatte, doch galt der seit 17 Jahren nicht mehr in der Arktis gewesene Expeditionsleiter mit seinen nunmehr 59 Jahren vielen als zu alt und nicht wendig genug für das schwierige Unternehmen. Auch hatten sich weder er noch seine Offiziere – außer dem erfahrenen Kapitän Francis Crozier, der schon unter William Edward Parry gedient hatte – zuvor selbst in der zu durchsegelnden Region aufgehalten. Die Admiralität setzte jedoch auf die Erfahrung Franklins und das Können seiner zur Elite der britischen Marine zählenden Offiziere.
Insgesamt umfasste die Expedition 133 Teilnehmer, von denen vier nach Großbritannien zurückkehrten, bevor die Schiffe das Polarmeer erreichten. Die übrigen 129 Männer fanden den Tod.[1]
Die Beschaffenheit und die Ausrüstung der beiden Expeditionsschiffe Erebus und Terror entsprachen uneingeschränkt dem damaligen Stand der Technik. Die Grundkonstruktion beider Schiffe basierte auf dem Kriegsschifftyp Bomb Vessel (Bombarde), einem gepanzerten Schiff, dessen Aufgabe es war, mit Mörsern Sprengladungen auf an Land gelegene Festungen abzufeuern, diese also zu bombardieren. Um selbst nicht gefährdet zu werden, war dieser Schiffstyp auch mit besonderem Stahlschutz versehen. Beide Schiffe hatten schon an mehreren erfolgreichen Expeditionsfahrten in die Arktis und die Antarktis teilgenommen.
Für den Einsatz in polaren Gewässern waren sie noch weiter verstärkt worden, unter anderem durch eine zusätzliche Stahlarmierung des Bugs und der Rumpfflanken, wodurch ein Zerquetschen der Schiffe durch den Druck des Packeises verhindert werden sollte. Um Erebus und Terror auch bei Flaute oder ungünstiger Windrichtung im Treibeis manövrierfähig zu halten, wurde in jedes der Schiffe eine etwa 15 Tonnen schwere Dampfmaschine eingebaut, die einen speziell konstruierten, zwei Meter hohen Propeller antrieb. Propeller und Ruder wurden so montiert, dass sie im Falle eines Festsitzens im Packeis entfernt und in Sicherheit gebracht werden konnten. Ergänzt wurde die Ausstattung durch eine kohlenbetriebene Heißwasserheizung, und in die Kombüsen wurden Entsalzungsanlagen zur Gewinnung von Trinkwasser aus dem Meer eingebaut.
Die Vorräte an Proviant und Heizstoffen wurden auf eine Vollversorgung der Schiffsbesatzungen von mindestens drei Jahren ausgelegt. Vor allem die Nahrungsmittel wählte man sorgfältig aus und plante sogar einen gewissen Luxus ein; keine Polarexpedition war jemals so großzügig ausgestattet worden. Neben den üblichen Vorräten, darunter neu entwickelte Konservendosen mit frischem Fleisch sowie 4200 Liter Zitronensaft zur Vitamin-C-Versorgung (Skorbut-Prophylaxe), wurden zum Beispiel mehrere Tonnen Tee, Schokolade, Alkoholika (vor allem Rum, Schnaps und Wein) sowie Tabak an Bord genommen.
Die Offiziere erhielten unter anderem Schreibtische aus Mahagoni und Silberbesteck, und zur Unterhaltung der Besatzungen wurden auf der Erebus etwa 1700 und auf der Terror rund 1200 Bücher mitgeführt, darunter 200 Bibeln und Gebetbücher sowie eine größere Zahl von Schulbüchern zur Unterrichtung von Analphabeten unter den Matrosen. Eine Drehorgel mit 50 Melodien und verschiedene Musikinstrumente sowie ein Daguerreotypie-Apparat (Vorläufer der Fotokamera) ergänzten die Ausstattung, wobei über die Arktistauglichkeit wohl kaum nachgedacht wurde. Selbstverständlich nahm man auch das modernste Gerät zur Messung von Magnetfeldern und zur Navigation in den damals ungenau kartierten Gewässern mit. Eine nennenswerte Zusatzversorgung durch Jagd auf Land- oder Meeressäuger war dagegen nicht geplant; im Wesentlichen bestanden die mitgeführten Jagdwaffen aus Schrotflinten zur Vogeljagd, um den Speiseplan zu variieren.
Am 19. Mai 1845 liefen Erebus und Terror sowie das Versorgungsschiff HMS Baretto Junior mit insgesamt 134 Offizieren und Mannschaften unter großer öffentlicher Anteilnahme aus. Das Versorgungsschiff begleitete die Expedition bis zur Davisstraße an der westlichen Küste Grönlands, wo schließlich der letzte Proviant mitsamt dem Fleisch aus frischer Schlachtung von zehn Ochsen auf Erebus und Terror umgeladen wurde. Am 12. Juli scherte das Versorgungsschiff aus dem Verband aus, um mit Briefen der Mannschaft und fünf Besatzungsmitgliedern, welche die Reise nicht fortsetzen wollten oder konnten, nach Großbritannien zurückzukehren. Den Briefen der Besatzung ist eine große Selbstsicherheit und Vorfreude auf den bereits zum Greifen nah geglaubten Entdeckerruhm sowie ein starkes Vertrauen auf die Führung Franklins zu entnehmen; die Männer waren zuversichtlich, die Reise wohl noch im ersten Sommer erfolgreich beenden zu können.
Am 26. Juli begegneten den beiden vor einem Eisberg ankernden Schiffen die Walfangboote Prince of Wales und Enterprise; man besuchte sich gegenseitig. Auch auf die Kapitäne der beiden Walfänger wirkte die Expeditionsmannschaft höchst motiviert und zuversichtlich. Es war der letzte Kontakt der Expeditionsteilnehmer mit der europäischen Außenwelt.
Erebus und Terror segelten weiter Richtung Westen und kreuzten zwischen Devon- und Cornwallis-Insel nordwärts in den Wellingtonkanal, den sie nach eigenen Angaben bis zum 77. Breitengrad hinaufsegelten – vermutlich suchten die Expeditionsteilnehmer, von der damals gängigen Theorie vom eisfreien Nordpolarmeer beeinflusst, den Durchgang in den Pazifik zunächst im Norden. Gegen Ende des kurzen Sommers jedoch steuerten die beiden Schiffe an der Westküste der Cornwallis-Insel vorbei wieder Richtung Süden, und man überwinterte 1845/46 (nicht 1846/47, wie auf dem letzten gefundenen Papier angegeben) vor der Beechey-Insel (Lage ) unmittelbar an der Südwestecke der Devon-Insel.
Die Beechey-Insel war auf der Polarexpedition von Parry 1819 entdeckt und nach dessen erstem Offizier Frederick William Beechey benannt worden. Ihre Lage zwischen dem Lancastersund und dem Wellington Channel machte sie offenbar für Sir John Franklin geeignet, hier mit seinen beiden Schiffen zu überwintern. Die Expeditionsmitglieder errichteten dabei ein Winterlager, das unter anderem aus einem Lagerhaus und einer kleinen Schmiede bestand, und begruben hier drei Mitglieder der Mannschaft, deren Leichname 1983 in gut erhaltenem Zustand geborgen werden konnten:[2]
Im folgenden Sommer 1846 brachen die Schiffe zur Weiterfahrt auf und drangen nach Südwesten durch den bis dahin nur als Bucht angesehenen Peelsund bis zur King-William-Insel vor, wo dann aber im September 1846 dichtes, aus dem McClintock-Kanal herantreibendes Packeis jedes Manövrieren stoppte.
Der Sommer 1847 brachte dann so geringe Erwärmung, dass sich das Eis nicht lockerte und die Schiffe vor der King-William-Insel eingefroren blieben. Am 11. Juni 1847 starb hier Sir John Franklin aus unbekannter Ursache (möglicherweise an einer durch Lötstellen der Konservendosen herbeigeführten Bleivergiftung, diese Theorie ist jedoch umstritten)[4] – etwa 200 Kilometer von jener Stelle auf der Kent-Halbinsel entfernt, die er von Westen kommend bei der ersten von ihm geleiteten Arktisexpedition (1819–1822) kartiert hatte.
Nach einer dritten Überwinterung im Packeis gaben die bis dahin noch am Leben gebliebenen 105 Expeditionsteilnehmer am 22. April 1848 ihre Schiffe auf und versuchten unter Führung des Kapitäns der Terror, Francis Crozier, und des nach Franklins Tod die Erebus kommandierenden Ersten Offiziers James Fitzjames (1813–1848/1849) verzweifelt, zu Fuß einen etwa 350 km südlich gelegenen Außenposten der Hudson’s Bay Company am Back River zu erreichen. In einem Steinmal am Victory Point im Nordwesten der King-William-Insel deponierten sie ein Papier mit wenigen, aber wesentlichen Angaben; es ist bislang das einzige schriftliche Zeugnis erster Hand zum Schicksal der Expedition geblieben. Weitere entdeckte Hinterlassenschaften der Expedition deuten darauf hin, dass die Mannschaft in Fehleinschätzung ihrer Kräfte versuchte, die schweren Beiboote als Schlitten über die raue Tundra zu ziehen, vollgepackt mit Proviant und diversen mehr oder weniger unnützen Gegenständen. Nach und nach rafften Hunger, Kälte, Entkräftung und wohl auch Krankheiten alle Männer dahin. Am Ende herrschte sogar Kannibalismus, wie Inuit Jahre später berichteten. Forensische Untersuchungen aus den 1980er Jahren bestätigen das: An gefundenen Knochen wurden entsprechende Schnitte festgestellt.
Der Umstand, dass die HMS Terror 2016 südlich von King William Island entdeckt wurde, 96 km südlich der bis dahin nach dem Wrack durchsuchten Gebiete, lässt vermuten, dass zumindest ein Teil der Überlebenden versuchte, sich mit dem Schiff zu retten, bevor sie dort endgültig scheiterten.[5]
1847 kamen infolge des völligen Ausbleibens von Nachrichten bei der Admiralität erste Zweifel am Erfolg der Franklin-Expedition auf, doch tröstete man sich damit, dass James Clark Ross und seine Expedition einige Jahre zuvor vier Winter in der Arktis verbracht und dabei nur drei Männer verloren hatten. Für Franklins exzellent ausgestattete Mannschaft sollte deshalb nach Ansicht der Admiralität die Belastung durch arktische Bedingungen kaum ein Problem darstellen.
Erst im März 1848 entschloss sich die Admiralität schließlich, erste Schritte zur Rettung der Expedition einzuleiten, und setzte eine Belohnung von 20.000 Pfund Sterling (nach heutigem Wert etwa 1,6 Mio. Pfund oder 2 Mio. Euro) für das Auffinden und Retten von Überlebenden aus. Die Presse machte in diesem Zusammenhang ausgiebig von neuartigen farbigen Berichtillustrationen Gebrauch und vermittelte so der Leserschaft realistische Bilder der mutmaßlichen Ereignisse um Franklins Expedition; das öffentliche Interesse war nun geweckt.
Zunächst wurden drei Such-Expeditionen ausgesandt unter dem Kommando von
Nachdem alle drei Expeditionskorps jedoch keinerlei Hinweise auf den Verbleib der Franklin-Expedition gefunden hatten, wurde 1850 von verschiedenen Seiten eine große Anzahl weiterer Rettungsexpeditionen mit insgesamt 14 Schiffen veranlasst:
Am 23. August 1850 fand Austins Suchmannschaft die ersten eindeutigen Spuren der Franklin-Expedition, als Erasmus Ommanney mit der Assistance vor der Beechey-Insel kreuzte. Am 27. August entdeckte die Besatzung der Lady Franklin auf dieser Insel drei Seemannsgräber und Überreste von Franklins erstem Winterlager, und bald fanden sich alle in der Nähe befindlichen Schiffe hier ein, um in den Relikten nach Hinweisen zu suchen. Bis auf weggeworfenes Material und die Gräber fand sich jedoch nichts, was über das weitere Schicksal der Franklin-Expedition Aufschluss geben konnte. Forsyth entdeckte dann an anderer Stelle einige persönliche Ausrüstungsgegenstände der Expedition und kehrte daraufhin mit der Prince Albert nach Großbritannien zurück.
Als Penny zur Überlegung gelangte, die Station auf der Beechey-Insel habe einen Beobachtungsposten dargestellt, von dem aus Franklin im Frühjahr 1846 nach einer Lücke im Packeis des Wellingtonkanals Ausschau gehalten haben könnte, fuhren alle Suchschiffe bei erster Gelegenheit nach Norden in diesen Kanal ein. Dabei gerieten insbesondere Horatio Austins Schiffe mehrmals in große Bedrängnis und drohten vom Druck des Eises zerquetscht oder gegen Felsen gedrückt zu werden. Schließlich kehrten Austin, Ross, Penny und De Haven im Herbst 1851 unverrichteter Dinge zu ihren Heimathäfen zurück. Nur von den beiden von der Beringstraße her operierenden Schiffen Enterprise und Investigator fehlte jede Nachricht.
Umgehend wurden neue Expeditionskorps aufgestellt:
Im September 1852 fand die Besatzung der Resolute auf der Melville-Insel eine in einem Steinhaufen verborgene Botschaft mit Auskünften über den Verbleib der lange vermissten Investigator – Robert McClure hatte 1850 die Banksinsel erreicht und darauf in der Prince of Wales Strait überwintert. 1851 war er in die Banksstraße vorgedrungen, doch zwang ihn schließlich das Eis, in einer von ihm „Bay of God’s Mercy“ benannten Bucht im Norden der Banksinsel zu überwintern. In den beiden folgenden Sommern brach jedoch das Eis in der Mündung der „Bucht der Gnade Gottes“ nicht auf, während das Meer vor der Bucht passierbar wurde. Für die von Skorbut geschwächte Mannschaft bestand kaum Hoffnung, ihr Schiff wieder freizubekommen. Da traf ein Schlittentrupp der Resolute bei ihnen ein (1853), was McClure veranlasste, sein Schiff aufzugeben und mit seiner Mannschaft etwa 230 Kilometer ostwärts über das Eis zur Resolute zu marschieren. Er vollendete auf diese Weise die „Nordwestpassage“ und wurde für diese Leistung bei seiner Rückkehr mit der Hälfte des von der britischen Admiralität für die Entdeckung und Durchquerung der Nordwestpassage ausgeschriebenen Preisgeldes von 20.000 Pfund Sterling belohnt.
Auch Kelletts Schiffe Resolute und Intrepid wurden 1854 wieder vom Eis festgehalten. Nun beschlossen McClure und Kellett gemeinsam mit Belcher, der seine Schiffe Assistance und Pioneer im Wellingtonkanal aufgeben musste und auch Kellet veranlasste, seine Schiffe im Eis zurückzulassen, mit ihren Mannschaften zur Beechey-Insel aufzubrechen, die inzwischen der Hauptstützpunkt aller Expeditionen zur Suche nach Franklin geworden war. Dort wurden sie von der North Star und den Versorgungsschiffen HMS Phoenix und HMS Talbot aufgenommen und nach Großbritannien zurückgebracht. Dem Verband hatte ursprünglich noch HMS Breadalbane angehört; sie war jedoch im August 1853 dem Druck des Packeises nicht mehr gewachsen und vor der Beechey-Insel gesunken.
Die unter dem Kommando von Richard Collinson stehende Enterprise, die mit der Investigator unter McClure einen Verband gebildet hatte, blieb drei Winter lang im Eis eingeschlossen, bis es Collinson und seiner Mannschaft gelang, das Schiff aus eigener Kraft zu befreien und 1854 über die Beringstraße in Sicherheit zu bringen.
Belcher, der Kellett das Aufgeben seiner Schiffe befohlen hatte, wurde zwar von einem Militärgericht freigesprochen, jedoch nie wieder mit einer Expedition betraut. Die Resolute, von der Kellett angenommen hatte, sie noch aus dem Eis freizubekommen, wurde von einem amerikanischen Walfangboot am 16. September 1855 in der rund 1500 km östlich entfernten Davisstraße treibend aufgefunden und am 13. Dezember 1855 der britischen Regierung zurückgegeben.
Eher zufällig entdeckte schließlich der schottische Forscher John Rae bei seinen im Auftrag der Hudson’s Bay Company durchgeführten Erkundungen des arktischen Küstenbereiches, dass einige bei der King-William-Insel ansässige Inuit verschiedene Artefakte der Franklin-Expedition mit sich führten. Er begann systematisch, in den Inuit-Camps nach Schiffen und weißen Männern zu fragen und Artefakte aufzukaufen. Dabei wurde ihm glaubhaft von weißen Männern erzählt, die sich verzweifelt und hungernd über Land nach Süden schleppten und dabei nach und nach gestorben waren. Den Berichten war auch als erschreckendes Detail zu entnehmen, dass die letzten Überlebenden Kannibalismus praktiziert hatten. Ferner erzählten die Inuit von mehreren Gräbern, deren eines mit etwa 30 Leichen gefüllt sei. Im Vertrauen auf seine Berichterstatter verzichtete Rae auf einen persönlichen Besuch der Gräber, da dies eine etwa 14-tägige, sehr anstrengende und gefährliche Wanderung bedeutet hätte.
„Rae hatte im April 1854 an der Pellybai (69° nördl. Breite, 72° westl. Länge) von Eskimos gehört, daß 10–12 Tagereisen weiter gegen Westen eine Anzahl von mehr als 40 weißen Männern durch Mangel an Lebensmitteln umgekommen wären. Bei Fortsetzung seines Weges erfuhr er nun, daß im Frühjahr 1850 einige Eskimos, die in der Nähe des nördlichen Gestades der König Williams Insel auf den Robbenfang ausgegangen waren, etwa 40 weiße Männer über das Eis dem Süden zuwandernd gesehen hatten; einige Wochen später wurden 30 Leichname weißer Männer an der Küste des amerikanischen Continents, eine Tagereise im Nordwesten eines großen Flusses, u. dazu 5 andere auf einer nahe liegenden Insel gefunden. Es ergab sich, daß die Eskimos noch Pulver, Kugeln, Schrote, Uhren, Compasse, Fernröhre u. Flinten vorgefunden hatten, da von letztern Gegenständen wenigstens Theile, sowie silberne Löffel, Gabeln etc. von Rae entdeckt u. eingekauft wurden.“
Raes Bericht begegnete trotz der nicht wegzudiskutierenden Artefakte, die er von den Inuit eingetauscht hatte, besonders in Kreisen der englischen Gesellschaft viel Skepsis, und sein Vertrauen in die Authentizität der Aussagen von „Wilden“ wurde ihm als Charakterschwäche ausgelegt. Vor allem galt als undenkbar, dass christliche Seeleute unter dem Kommando eines Ehrenmannes wie Sir John Franklin zu kannibalistischem Verhalten fähig sein könnten. Immerhin wurde Rae 1856 die zweite Hälfte der von der Admiralität ausgesetzten 20.000-Pfund-Prämie für Nachrichten über das Schicksal der Franklin-Expedition zugesprochen.
Lady Franklin, die das Gedenken ihres Mannes nicht beflecken lassen wollte, drängte Admiralität und Regierung fast zehn Jahre nach dem Aufbruch der Franklin-Expedition, weitere Suchexpeditionen auszurüsten, um endgültig zu klären, was ihrem Ehemann und seinen Untergebenen zugestoßen war. Infolge des sich ausweitenden Krimkrieges war die britische Admiralität jedoch nicht mehr bereit, Schiffe für eine vermutlich erfolglose Suche zur Verfügung zu stellen. Die Suchaktionen nach Franklin hatten inzwischen bereits mehr Menschenleben gekostet als die eigentliche Expedition, und allgemein bestand kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden. Im Frühjahr 1854 wurden die Expeditionsteilnehmer offiziell für tot erklärt.
Lady Franklin hingegen wollte nicht an ein derart klägliches Ende ihres Mannes glauben. Daher finanzierte sie, unterstützt von einem öffentlichen Spendenfonds, 1857 eine letzte Expedition. Kapitän Francis Leopold McClintock, der zuvor bereits als 2. Offizier an Bord der Enterprise an den Suchaktionen beteiligt gewesen war, wurde von ihr mit dem Kommando über die kleine Dampfyacht Fox mit 26 Mann Besatzung betraut. Er wählte als seinen Stellvertreter Leutnant William Robert Hobson.
Die Fox stach am 1. Juli 1857 Richtung Lancastersund in See. Nach zwei Überwinterungen in der Baffin Bay und an der Beechey-Insel erreichte das Schiff durch den Peelsund die King-William-Insel. Zwischen April und Juni 1859 entdeckten McClintock und Hobson bei Schlittentouren im Westen der Insel letzte Zeugnisse der Franklin-Expedition. Dazu gehörten verstümmelte Skelette, die auf dem Tundraboden verstreut waren, sowie zwei Leichen in einem zum Schlitten umfunktionierten Beiboot. Am Boot fanden sich einige unter diesen Umständen recht merkwürdig anmutende Ausrüstungsgegenstände wie Silberbesteck, parfümierte Seife, seidene Taschentücher, Kämme und Bürsten, sechs Bücher, fünf goldene Uhren, etwas Tee und 40 Pfund Schokolade. Der wichtigste Fund von McClintock und Hobson war jedoch die letzte Nachricht, die Crozier und Fitzjames im April 1848 in einem Steinmal am Victory Point deponiert hatten. Danach stand zweifellos fest, dass John Franklin schon nicht mehr lebte, als das erste Suchschiff England verlassen hatte, und dass auch die von Rae gesammelten Berichte der Inuit im Wesentlichen der Wahrheit entsprochen hatten.
Als McClintock im September 1859 nach England zurückkehrte, wurde er mit Ehrungen überhäuft. Seine Methode, zur Erkundung langer Strecken Hundeschlitten einzusetzen und Zwischenlager zu errichten, wurde für spätere Polarexpeditionen richtungweisend.
Trotz der entmutigenden Funde McClintocks hielt der Amerikaner Charles Francis Hall an dem Gedanken fest, Überlebende der Franklin-Expedition hätten sich einer Gruppe von Inuit angeschlossen und seien noch am Leben. Unterstützt von Henry Grinnell startete er deshalb in den Jahren 1860 und 1864 Expeditionen, um die Gegend um die King-William-Insel erneut zu untersuchen und die dort ansässigen Inuit zu befragen. Seine erste Expedition verlief wenig erfolgreich, da er sein Zielgebiet bei weitem nicht erreichte, doch konnte er einige Ergänzungen zur Geografie der Baffin-Insel erheben und die vermeintlichen Goldabbaustätten von Martin Frobisher entdecken, der Katzengold nach England verschifft hatte. Auf seiner zweiten Expedition verbrachte er mehrere Jahre allein unter den Inuit und sammelte deren Erzählungen zur Expedition. Schließlich erreichte er Boothia und die King-William-Insel und fand dort weitere menschliche Skelette und Relikte der Expedition. Die von ihm notierten Aussagen der Inuit stimmten zwar größtenteils mit denen John Raes überein, jedoch sind Hall an vielen Stellen auch Übersetzungsfehler und Verwechslungen unterlaufen, die sich eher auf John Ross’ Expedition von 1829 bezogen.
Halls Expeditionen und seine Berichte vom Leben in der Arktis inspirierten den jungen Leutnant der United States Army Frederick Schwatka dazu, 1878 das Kommando über eine von der American Geographical Society finanzierte Forschungsgruppe zu übernehmen. Das Ziel dieser Überland-Expedition galt nicht mehr dem Aufspüren von Überlebenden der Franklin-Expedition, sondern der Suche nach weiteren in Steinmalen niedergelegten Dokumenten. Schwatkas Expedition, die sich ganz der Lebensweise der Inuit anpasste, stellte mit dem Überwinden von über 5200 Kilometern einen neuen Streckenrekord für Schlittenreisen auf. Sie entdeckte jedoch nur weitere Leichenteile. Das Buch Als Eskimo unter Eskimos des Expeditionsteilnehmers Heinrich Klutschak ist eine frühe ethnografische Studie der Inuit.
1992 erklärte Kanada die vermutete Untergangsstelle der Schiffe zu einem Ort von nationaler Bedeutung (National Historic Site of Canada).[7] Die kanadische Regierungsbehörde Parks Canada hat seit 2008 sechs große Expeditionen organisiert, um die Wracks der HMS Erebus und HMS Terror zu finden.
Viele Jahre lang lockte die Aussicht, fast unbeschädigte, vom kalten Wasser der Arktis konservierte Wrackteile eines der Schiffe oder auch Franklins Grab im Eis zu entdecken, Abenteurer sowie Film- und Fernsehleute zu Reisen auf die King-William-Insel. Gemäß den kanadischen Gesetzen unterliegen solche privaten Forschungen jedoch strengen Regeln; Verstöße gegen sie werden mit hohen Strafen geahndet.
Für Kanada war es eine nationale Aufgabe geworden, sich an der Suche der Franklin-Expeditionschiffe – beispielsweise mit der Marine – zu beteiligen. Es geht dabei auch um Gebietsansprüche im nördlichen Polargebiet mit seinen reichen Gas- und Ölvorkommen. Mit dem Beweis, vielschichtige wissenschaftliche und technische Herausforderungen unter den extremen Bedingungen der Arktis zu meistern, möchte der Mitanrainerstaat seine territorialen Ansprüche gegenüber Russland, den USA, Norwegen und Dänemark in der Region untermauern.[8] Der kanadische Premier hob in den Medien hervor, die Unterstützung bei der Suche nach der verschollenen Franklin-Expedition habe „die Grundlage für Kanadas staatliche Souveränität“ in der Arktis gelegt.[9]
Am 9. September 2014 gab der kanadische Premierminister Stephen Harper in Ottawa bekannt, eines von Franklins Schiffen sei zwei Tage zuvor in der Wilmot and Crampton Bay vor der Adelaide-Halbinsel mit Hilfe eines U-Boots auf der Position 68° 15′ N, 98° 45′ W lokalisiert worden. Es stellte sich im Lauf der Untersuchungen heraus, dass es sich um die HMS Erebus handelte. Einem Sonarbild zufolge waren Teile der Deckstruktur noch intakt, inklusive des Hauptmasts, von dem man vermutet hatte, er sei beim Schiffsuntergang vom Eis abgerissen worden.[10][11]
Im September 2016, fast 170 Jahre nach ihrem Untergang, wurde das sehr gut erhaltene Wrack der HMS Terror weitab der vermuteten Lage in der Terror Bay, einer Bucht im Süden von King William Island, auf der Position 68° 54′ N, 98° 56′ W gefunden.
Zu dem Fund führte ein Hinweis, dem zufolge zwei Inuit, Sammy Kogvik und James Klungnatuk, während eines Jagdausflugs rund sechs Jahre vorher in der Terror Bay ein großes Stück Holz – möglicherweise einen Mast – aus dem Eis hatten ragen sehen. Kogvik erzählte dies am 3. September 2016 auf dem Forschungsschiff Martin Bergmann, für die Arctic Research Foundation bei der Suche nach der Terror, dem Chef der Foundation Adrian Schimnowski. Der Umstand, dass die HMS Terror 2016 südlich der King-William-Island entdeckt wurde, an einem Ort 96 km südlich der bisherigen Suchgebiete, lässt vermuten, dass zumindest ein Teil der Überlebenden versucht hatte, sich mit dem Schiff zu retten, bevor sie dort endgültig scheiterten.[12][13]
1997 einigten sich Kanada und Großbritannien darauf, dass mögliche Goldfunde auf den Wracks zwischen den beiden Staaten und eventuellen Dritten, soweit sie Ansprüche stellen sollten, geteilt würden. Die Besitzrechte an allen anderen Gegenständen, die auf den Wracks gefunden wurden, sprach man Kanada zu. Bei der Gründung des Nunavut-Gebietes 1999 wurde den Inuit in Hinblick auf die mögliche Entdeckung der Wracks vertraglich zugesichert, dass Kanada und der Inuit Heritage Trust sich die Eigentumsrechte an allen archäologischen Funden in diesem Gebiet teilen. Das National Museum der Royal Navy auf britischer Seite, die kanadische Regierung und der Inuit Heritage Trust werden nun gemeinsam über den Verbleib von Gegenständen, die bereits von der HMS Erebus geborgen wurden, sowie über alle weiteren Bergungsfunde beraten.[14] Seit Sommer 2017 werden ausgewählte Fundstücke auf einer Ausstellung in London (Greenwich) gezeigt.
Ein gemeinsames Forschungsprojekt der University of Waterloo, Lakehead University und Trent University glich im Rahmen einer genealogischen Untersuchung menschliche Überreste, die im Jahr 2013 auf der King-William-Insel gefunden worden waren, mittels DNA-Analyse mit Proben von Nachfahren der Expeditionsteilnehmer ab. Ein Leichnam der damaligen Ausgrabung konnte somit im Mai 2021 als derjenige des Warrant Officers John Gregory identifiziert werden.[15]
Beim Scheitern der Expedition hat offenbar eine Vielzahl von Ursachen zusammengewirkt. Ein Grund könnten die Konservendosen sein, die mit Blei verlötet waren. An Bleivergiftung als eine der Ursachen für die Schwächung der Expeditionsteilnehmer glaubte zunächst nach eingehender Untersuchung von drei gut erhaltenen Leichen auf der Beechey-Insel und weiteren Knochenfunden auf der King-William-Insel der kanadische Wissenschaftler Owen Beattie 1986, bis Untersuchungen kanadischer Physiker 2013 diese Todesursache wieder in Frage stellten.[4] Konservierte Lebensmittel waren in erster Linie vorgesehen, um die Vitamin-C-Mangelerkrankung Skorbut zu verhindern. Zur Vorbeugung waren auch mehr als vier Tonnen Zitronensaft mitgenommen worden, doch wusste man damals noch recht wenig über dessen Haltbarkeit.
Zu den katastrophalen Auswirkungen von extremer Kälte, Hunger, Skorbut und möglicherweise Bleivergiftung kamen vermutlich Krankheiten wie Tuberkulose und Lungenentzündung. Die von Scott Cookman in dessen Dokumentation Ice Blink – The fate of Franklin’s last expedition aufgestellte These, in der Nahrung sei wegen der mangelhaften Herstellung der Konserven tödliches Botulinumtoxin entstanden, wurde näher untersucht,[16] hat sich jedoch nicht durchgesetzt.
Beanstandet wird die mangelhafte Ausstattung, etwa das Fehlen von Schutzbrillen gegen Schneeblindheit. Den Mitgliedern der Expedition fehlten Ausrüstung und Kenntnisse, um unabhängig von den Vorräten an Bord überleben zu können, etwa durch die Jagd auf Karibus oder Robben. Es fehlten auch Schlitten, mit denen die Teilnehmer im Notfall größere Strecken über Land hätten überwinden können; die Beiboote eigneten sich dafür nicht.
Es kam zwar zu Begegnungen der Expeditionsteilnehmer mit Inuit, jedoch baten sie diese nicht um Hilfe, und dies auch dann nicht, als ihre Lage sich zu einer Notlage entwickelte.
Verhängnisvoll war zudem, dass es noch drei Jahre nach Beginn der Expedition (bis 1848) keinerlei Pläne für eine eventuell notwendige Rettung von Mannschaften und Schiffen gab. Ein weiterer Fehler war das Versäumnis, an so vielen Stellen wie möglich Nachrichten zum bisherigen und weiteren geplanten Verlauf der Expedition zu deponieren, was die Aussichten von Rettungsaktionen erheblich einschränkte.
Aus historischer Sicht haben der Verlauf der Franklin-Expedition und die anschließenden Suchexpeditionen der Arktisforschung generell positive Impulse verliehen und die Handlungsweise der Entdecker verändert. Die Annahme des viktorianischen Englands, sich auch die unwirtlichsten Regionen der Welt durch mitgeführte Errungenschaften der Zivilisation erträglich machen zu können, hatte sich als falsch erwiesen. Die Arktisforscher des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gingen immer häufiger dazu über, sich an den Überlebenstechniken der Inuit zu orientieren. Roald Amundsen etwa, der als Erster 1906 die Nordwestpassage durchfuhr und auch als Erster den geografischen Südpol erreichte, kleidete sich wie die Inuit in leichte, warme Karibu-Felle; bei Hundeschlittenfahrten mit unsicherem Ziel plante er ein, einen Teil seiner Schlittenhunde wenn nötig zu verspeisen und an die verbleibenden Hunde zu verfüttern. Männer wie Amundsen waren ein vollkommen anderer Typ Entdecker als die Seekapitäne des viktorianischen Jahrhunderts.
Der Artikel Franklin-Expedition in der deutschen Wikipedia belegte im lokalen Ranking der Popularität folgende Plätze:
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